Rapunzel

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Der Feenwald

Irgendwo im Reich der Narben


Der Wald war dunkel und tief – und randvoll mit allen möglichen verfluchten Zweigen, die einem ins Gesicht schlugen, wenn man auch nur einen Moment nicht aufpasste! Bei den Wissenschaften, dies war kein Ort für einen gebildeten Mann, und doch war er hier: Mortin Cornelius Echser, der größte Alchimist und Gelehrte seiner Zeit, stolperte auf der Suche nach einem eigensinnigen Prinzen hinter dem berüchtigtsten Monsterjäger des Narbenreiches her. Sie waren fast wie ein paar kauzige Gestalten aus einem schlechten Märchen. Einfach lächerlich!

„Bei meiner Seele, Craven, warum hast du darauf bestanden, mich mitzunehmen?", stöhnte Echser und schlängelte seinen langen, schlaksigen Körper an einigen Farnen vorbei. Wahrscheinlich waren die Sträucher nur so von Zecken durchsetzt – und bei den Wissenschaften, er hasste Zecken! Blutrünstige kleine Biester kamen überall hin. „Dies ist kein Ort für einen Mann meines Standes. Du weißt, dass ich..."

„Betrachte es als eine Lernerfahrung", sagte Craven, kaum mehr als ein dunklerer Schatten in der Finsternis des nächtlichen Waldes. „Jetzt leise, alter Freund, ich glaube, ich höre Gesang."

„Was? Wo?" Echser eilte sich, zu seinem tödlichen Begleiter aufzuschließen – und prompt schlug ihm ein weiterer Zweig ins Gesicht. „Arg. Du Sohn einer Topfpflanz—"

„Still!"

Echser runzelte die Stirn und verstummte, während er mit Mordlust auf den Rücken seines „Arbeitgebers" starrte. Bald konnte er es jedoch auch hören, den Gesang, und selbst ein bodenständiger Mann wie er musste zugeben, dass dieser wunderschön war. Unheimlich schön... Die lieblichen Klänge schafften es sogar, seinen geschäftigen Geist zur Ruhe zu bringen, was ihn wiederrum selbst einen seltenen Schritt zur Gelassenheit brachte. Beunruhigend... sehr beunruhigend. Es war dennoch fast körperlich schmerzhaft, als das Lied endete und seine Gedanken und Ängste zurückflossen.

Echser achtete von nun an darauf, besonders nahe bei Craven zu bleiben und prallte gelegentlich sogar auf ihn. Nicht viel später endeten die Bäume abrupt an einem ziemlich steilen, felsigen Abhang, der eine fast kreisförmige Lichtung im Wald abgrenzte. Es würde zweifellos ein schrecklich gefährlicher Abstieg werden, aber im Moment hatte Echser nur Augen für das, was mitten in der Lichtung aufragte. Der Anblick war wundersam und unerwartet zugleich: ein hoher, schlanker Turm, dessen glatte Wände im spektralen Schein des Mondes wie poliertes Elfenbein glänzten.

Echser gaffte – dann gaffte er noch etwas mehr.

Dies war nicht die Art von Anblick, die man in diesem Teil des Waldes erwartet – die man in irgendeinem Wald erwarten würde! Normalerweise war der Feenwald so tief, dass man kaum einen Schritt machen konnte, ohne dass ein Baum einen anrempelte. Und dennoch war dies eindeutig ein Turm ... riesengroß und doppelt eindrucksvoll. Noch bizarrer war, dass es nicht einmal einen Eingang in das Ding zu geben schien, zumindest nicht so weit er sehen konnte. Ein Märchenturm, genau wie in den Fabeln...

Wer hätte das gedacht?

Der einzige sichtbare Eingang, war ein großes Fenster, hoch oben an der Spitze des Turms. Jemand stand dort. Eine junge Frau? Es war schwer zu sagen, Vollmond und sternenloser Himmel oder nicht. Lebte sie etwa dort drinnen? Warum? Und was machte dieser lächerlich gut gekleidete Mann dort unten? All die goldenen Spitzen und Rüschen und seine heroische Pose ließen ihn ziemlich lächerlich aussehen.

Craven zeigte mit einem behandschuhten Finger auf den Kerl. „Schau wer da ist... unser Märchenprinz."

„Das ist er? Ich dachte ..."

Tales of Ruuin - RapunzelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt