1; Exanimatio

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Meine Finger werden wieder taub. Und sie zittern und verkrampfen sich. Mir ist heiß und kalt, als ob jemand die Temperatur meines Körpers hoch und runter dreht, wie ein kleines Kind das die Funktion von Lichtschaltern entdeckt hat. Und das Gewicht einer Bowling Kugel liegt auf meinem Brustkorb, das atmen fällt mir immer schwerer. Und meine Atmung wird schneller. Nach einer Zeit bemerken es die Leute um mich herum und sehen mich an. Ich sehe mich nicht um, das würde alles nur noch schlimmer machen. Aber ich kann spühren, wie ihre Blicke mich förmlich durchbohren. Ich sacke langsam auf den Boden, denn meine Knien geben nach. Sie fühlen sich wie betäubt an.

Nicht auf dem Boden zusammenkauern, diese Leute werden dir helfen wollen, und dann wirst du ihnen in die Augen sehen müssen. Und das ist das letzte was du willst, oder?

Ich versuche mich wieder aufzurichten. Mir ist schwindelig, aber ich versuche gerade stehen zu bleiben. Wenn ich jetzt umkippe ist es vorbei, also muss ich hier weg kommen. Die ganzen Leute im Krankenhaus werden mit mir reden wollen, und vorallem werden sie mir in die Augen sehen. Das schaffe ich nicht nochmal.

Ich kämpfe mir meinen Weg durch diese riesige Ansammlung von Menschen, zwar taumelnd aber ich komme gut voran, denn die Menschen machen mir den Weg schon frei. Eines der wenigen guten Dinge in der heutigen Gesellschaft die ich sehr zu meinem Vorteil nutzen kann: nur die wenigsten Leute fragen noch nach wie es einem geht, sie sind lediglich noch höflich genug um einem aus dem Weg zu gehen wenn sie sehen, das es einem schlecht geht. Und helfen tun sie dir nur im notfall, oder auch gar nicht. Aber das Risiko will ich nicht eingehen.

Ich fühle mich jetzt etwas sicherer, mein schneller Gang wird stabiler. Ich starre sturr auf den Boden.

Augenkontakt vermeiden. Sieh nicht nach oben. NEIN! Lass den Kopf unten, das macht alles nur noch schlimmer.

Gleich habe ich es geschafft, ich kann schon die Tür sehen. Ich stolpere über eine kleine Erhebung auf dem Boden und falle beinahe hin bevor ich bemerke, dass diese kleinen Erhebungen eine Treppe sind. Drecksladen! Ich konzentriere mich auf meine Füße, versuche einen vor den anderen zu setzen. Nur noch ein paar Schritte...

Noch fünf, vier, drei, zwei, der letzte...

Ich stehe endlich vor der Ladentür. Aber hier sind es genauso viele Leute. Ich schaue schnell wieder starr auf den Boden, bevor ich ausversehen jemandem in die Augen sehe. Zum Glück wohne ich direkt über dem Laden. Eine der wenigen intelligenten Entscheidungen, die ich in meinem Leben bis jetzt getroffen habe. Jetzt da meine Panik ein wenig verflogen ist haste ich die Treppen hoch, stecke den Schlüssel ins Schloss und stürme in meine Wohnung. Ich werfe meine Einkaufstüte in die Küche ohne irgendwie darüber nachzudenken ob die Eier dabei kaputt gehen, die ich gekauft habe und gehe ins Wohnzimmer. Ich setze mich auf mein Sofa und kurz darauf fallen meine Augen zu- ich werde ohnmächtig.

• c r u e l  m i n d •Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt