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Es begann im März, als die ersten Blüten unter dem hier lange verweilenden Schnee sich durchkämpften und einen frühlingsversprechenden Duft versprühten.
Auf dem Weg zur Post geriet ich in Trudeln; ich war spät dran, denn die Filiale schloss jeden Freitag bereits um 15 Uhr. Also lief ich schneller, als ich hätte laufen sollen, denn da es einzelne rutschige Stellen auf dem unebenen Asphaltboden gab, auf dem der Winter noch etwas länger zu bleiben wollen schien, fiel ich in meiner Eile prompt auf die Knie.
Die Umschläge, die ich mir wie ein zu schmuggelndes Diebesgut unter den Arm geklemmt hatte, taten es mir gleich und landeten im matschigen, leicht braunen Schnee, oder dem, was davon übrig war.
Schmutzig würde die Bank sie nicht mehr haben wollen...
Ich hatte nur noch 20 Minuten Zeit, doch in diesem Zustand hätte ich die Briefumschläge nicht abliefern können. Was hätte ich tun sollen?
"Oh, kann ich Ihnen helfen?"
Eine angenehme Stimme kam von Nord-Westen meiner Position aus und der Besitzer dieser Stimme schien sich um mein Wohlergehen zu sorgen.
Wie ein kleines, enttäuschtes Kind saß ich dort auf dem Boden, hingefallen, gescheitert, gehetzt.
Ich blickte verwirrt nach oben, um den Fremden zu Gesicht zu bekommen. Wer mir da entgegenlächelte, hätte kein Normalsterblicher gewesen sein können, so schien es mir.
Fülliges, dunkles Haar, eine schwarze, breite Brille, ein blauer Pullover. Durchschnittlich, aber elegant. Doch diese Augen von einem leuchtenden maronenbraun, dieser Teint wie Karamell und Honig, dieses Lächeln so aufrichtig wie das eines Beschützers, eines Vaters, eines Heiligen, all das schien mir so besonders und schön, dass ich gar nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte. Verdutzt und peinlich berührt schaute ich den Mann an, der mir seine Hand hinabsteckte wie zur Verhandlung eines  Friedensvertrags. "Oh Gott, wahrscheinlich sehe ich absolut bescheuert aus", ging es mir primitiver Weise durch den Kopf. Anstatt seine Hand zu nehmen, versuchte ich, allein aufzustehen, und geriet wieder ins Schwanken, doch ich konnte mich aufrichten. Unbeholfen klopfte ich meine Knie ab, um den Schmutz zu entfernen, der sich längst in meine Jeans eingesogen hatte. Unangenehmer hätte es nur in äußerst komplizierten Umständen sein können, doch ich versuchte, mich nicht so zu benehmen, als ob ich am liebsten im Erdboden versunken wäre.
Also zwang ich mich, irgendwie das Lächeln des aufmerksamen Mannes zu erwidern und sagte: "Entschuldigen Sie... sehr freundlich von Ihnen".
Er schaute mich kurz ungläubig an und lachte daraufhin leicht. "Ah, nicht doch, gern. Sie scheinen in Eile zu sein, müssen Sie irgendwo hin?"
Wieso war er so freundlich?
Auf einmal hörte ich die besorgten Stimmen meiner etwas älteren Freundinnen, die sich an Mittwochen bei mir meldeten, um sich zum Kuchenessen zu verabreden und Ihre Sorgen loszuwerden. "Du brauchst einen Mann, Liebes!" "Du siehst ja ganz verloren aus!" "Schau mal, mein Kind ist 5 Jahre alt, und du bist immer noch alleine hinter deinen Büchern!"
Waren sie denn glücklicher als ich, wenn sie sich ihr Herz ausschütten mussten, weil sie Stress, Unzuverlässigkeit, Haushaltsaufgaben und Windeln um die Ohren hatten?
Waren die Männer, die sie hatten, auch auf Anhieb so freundlich und zuvorkommend gewesen, oder hatte ich Glück?
Mir kam dieser Mann jedenfalls sonderbar und diese Situation besonders vor. Also musste ich sie ergreifen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 09, 2021 ⏰

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