Kapitel 3

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Maren

Sie erwachte in einem kleinen aber weichen Bett. Kurz schwebte sie in der angenehmen Benommenheit eines eben Erwachenden - und dann stürzten die Erinnerungen auf die ein. Und sobald sie sich bewegte kehrte auch der Schmerz zurück. Sie biss die Zähne zusammen.
Maren erinnerte sich an das wutverzerrte Gesicht ihres Vaters. An den Lärm.
Jetzt war alles still. Sie sah sich im Zimmer um.
Ganz zu ihrer Überraschung war es weder ihr eigenes, noch ein Krankenhauszimmer. Die wenigen Male, die sie von ihrem Vater bewusstlosgeschlagen worden war, hatte ihre Mutter sie entweder selbst versorgt oder - wenn es ganz schlimm aussah, so wie dieses Mal - ins Krankenhaus bringen lassen, obwohl das ein Vermögen kostete. Allein das Taxi in die Klinik war beinahe unbezahlbar.
Aber diesesmal konnte sie sich an keine anstrengende Fahrt oder beschäftigte Ärzte erinnern.
Das Zimmer besaß eine dunkelblaue Tapete mit goldenen Ästen und Bäumen darauf, die bis an die hohe Zimmerdecke reichten. Ein Erkerfenster ließ fahles Morgenlicht herein und es roch nach Pflanzen. Maren bekam den erdigen, kühlen Duft beinahe nie in die Nase, denn Zuhause hab es kaum Blumen oder Topfpflanzen. Ihr Vater hielt es für unnötig. Eben wollte sie sich aufsetzen, da öffnete sich die Tür.
Herein kam eine Frau mittleren Alters - und sie sah aus wie Maren. Das hellbraune, wellige Haar trug sie zu einem wirren Knoten im Nacken gesteckt, und sie war dunkel geschminkt.
Ein beinahe erschreckend kurzer, karierter Rock, eine schöne Bluse und ein Blazer, zusammen mit glänzenden Schuhen machten sie zu einer beeindruckenden Erscheinung. Maren blinzelte die große Frau an. Sie kam ihr vage bekannt vor. Die Frau lächelte und setzte sich vorsichtig neben Marens Füße. "Du siehst ziemlich zerschlagen aus, Süße.", sagte sie mit einer tiefen Stimme. Maren räusperte sich. "Ich bin ja auch zerschlagen worden, oder?" Ihre Stimme war rau und kratzig. "Vielleicht, aber du kannst dich immer wieder zusammenkleben. Zu Etwas, das man nicht mehr so schnell kaputtschalgen kann. Verstehst du?" Aus irgendeinem Grund mochte Maren diese Frau gleich. "Wer sind Sie eigentlich?" Kurz legte sich Empörung, dann Wut, und dann Mitleid auf die Mimik der Dame. Sie griff nach Marens Händen. "Hat dir Rosa denn nie etwas von mir erzählt? Keine Fotos gezeigt?" Sie schüttelte den Kopf. Die Frau blinzelte als müsste sie sich sammeln. Dann sagte sie: "Ich bin deine Tante Lily. Die Schwester deiner Mutter." Maren blinzelte. Und starrte die Frau eine Zeit lang an. "Ich - hab gar nicht gewusst dass Mama eine Schwester hat." Diese Antwort schien die Frau - Lily - sehr zu verletzen. Und Maren verstand weshalb. Sie sah die aufgerissenen Augen, die fragend erhobenen Brauen von Lily, die auf den Boden starrte. Spontan einer Eingebung folgend drückte Maren ihre Hand. Lily sah auf. "Aber ich bin froh dass ich es jetzt weiß." Lily lächelte, und Maren war klar wieso sie keine Ähnlichkeit mit ihren Eltern besaß. "Wie bin ich hier her gekommen? Und wo bin ich eigentlich?", erkundigte sie sich. Ihre Tante holte tief Luft als müsse sie sich für etwas wappnen, und so tat Maren es ihr gleich. Sie erwartete keine guten Neuigkeiten. "Ich wurde gestern Abend von der Polizei kontaktiert. Anscheinend hat deine Mutter gestern bei den Nachbarn um Hilfe gebeten als dein Vater -" Lily schluckte. "Als er die Scheiße aus mir geprügelt hat?", vervollständigte Maren den Satz ungerührt. Lily zuckte zusammen. "Ja, genau. Die Nachbarn riefen die Polizei und die kam sogar - anscheinend ein kleines Wunder, in der schrecklichen Gegend in der ihr lebt - und hat deinen Vater dabei erwischt wie er dich gerade halb tot schlug. Sie haben ihn mitgenommen. Deine Mutter ist mit ihm gegangen, und gab bei der Polizei wohl auf deren Nachfrage meine Telefonnummer an. Anscheinend fiel ihr gerade keine andere ein. Die Beamten erkundigten sich ob ich sofort kommen könne, sie hätten ein verletztes Kind hier und würden es ins Krankenhaus bringen. Du hast viele Prellungen, eine angebrochene Rippe, ein verstauchtes Handgelenk und ein gerissenes Trommelfell, auf der linken Seite. Ich kam ins Krankenhaus und Die Ärzte und Beamten haben mir alles genau erklärt. Keine Angst, du wirst wieder ganz gesund - vielleicht kannst du etwas weniger hören, aber ansonsten heilt alles ganz normal. Die Ärzte haben gemeint ich kann dich mit nach Hause nehmen - anscheinend wäre die Rechung sonst zu hoch geworden. Natürlich hätte ich die auch bezahlt, aber ich dachte mir dir gefällt es vielleicht besser in einem gemütlichen Zimmer aufzuwachen, nicht auf einer Krankenliege."
Maren lauschte der atemlosen Erzählung ihrer neuen Tante und gab keinen Ton von sich. Als sie endete lächelte Maren unter Schmerzen - ihre Lippe war genäht worden. "Danke.", sagte sie schlicht. Lily sah sie an. Was auch immer sie erwartet hatte, diese Reaktion ihrer Nichte kam anscheinend überraschend. "Danke? Du wurdest gerade von deinem eigenen Vater schwer misshandelt, deine Mutter ist bei ihrem ekelhaften Ehemann anstatt bei ihrem einzigen, verletzten Kind und du liegst hier bei einer Frau die du gar nicht kennst - und du sagst Danke?" Maren zog die Augenbrauen zusammen und grinste. "Na klar. Du hättest mich auch einfach dort lassen können. Du hättest deine Schwester verfluchen und auf mich scheißen können. Aber du hast mich da weggeholt. Obwohl ich nichtmal wusste dass es dich gibt. Deswegen - dankeschön."
Lily starrte Maren an. Und schüttelte den Kopf. "Weißt du, ich hab mich immer gefragt wie du wohl bist. Wie du jetzt als Erwachsene bist. Ich dachte vielleicht haben Rosa und Garry dich total verkorkst. Gut, das haben sie mit Sicherheit versucht - aber du bist überhaupt nicht verkorkst oder gebrochen. Meine Güte -" Mit einem Mal sprang sie auf. "- Meine Güte, du bist ja viel besser als ich es für möglich gehalten hätte! Himmel, wie überlebt man es auf so engem Raum mit so schrecklichen Menschen?"
Maren ließ sich in die Kissen zurücksinken und erzählte.
Und Lily hörte zu.
Und dann wechselten sie.
Es dauerte Stunden bis sich die beiden Frauen alles erzählt hatten.
Es wurde gelacht und geweint.
Und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit fühlte sich Maren geborgen und geachtet.

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