Maren
Sie sollte es noch nicht ahnen - doch an dem dunstigen Samstagnachmittag, der auf die gesamten Geschehnisse folgte, sollte sie ihre Eltern das letzte Mal in ihrem Leben sehen.
Sie war noch nicht einmal volljährig - würde in Kürze die Schule beenden und fortan bei ihrer Tante leben.
An diesem Nachmittag packte sie die wenigen wichtigen Besitztümer ein, die sie besaß.
Zerlesene Bücher, bunte Klamotten, ihre Jeans, drei Schallplatten und billigen Modeschmuck.
Sie stand in der Tür zur Küche.
Schwieg.
Ihr Vater saß am Küchentisch und rauchte - wie immer. Ihre Mutter stand am Herd und briet etwas Fettiges - wie immer.
Niemand beachtete sie.
Es gab nichts mehr zu sagen.
Maren hatte ihre Entscheidung getroffen.
Ihre Tante wartete unten.
Allem Anschein nach versagte diese Familie sogar bei der letzten Möglichkeit, absoluten Klartext zu reden.
"Ich gehe. Und komme nicht mehr zurück.", sagte sie schließlich. Beinahe versagte ihr die Stimme.
Ihre Eltern sahen nicht einmal auf als sie ging.
Das Einzige, worum Maren tief im Inneren verzweifelt gefleht hatte, blieb ihr verwehrt.
Ein letztes Zeichen dass diese Famile real gewesen war - dass sie ihren Eltern vielleicht doch nicht völlig egal war.
Die Tür schlug zu - und Maren öffnete sie nie wieder.Floyd
Das Schuljahr endete.
John erschien weder zur Abschlussfeier, noch zur Zeugsnisvergabe. Das wusste Floyd von den Gerüchten auf den Schulfluren - alle Absolventen sprachen ununterbrochen vom unglaublichen Absturz des Starspielers. In Floyd brodelte die Wut ununterbrochen. Aber es war ihm unmöglich sie loszuwerden. Sie blieb und kochte sich dort fest.
Dieser Zorn lähmte ihn.
Er ging alleine durch die Schulflure. Für den Rest der Schülerschaft blieben noch ein paar letzte Tage Unterricht, bevor auch sie in die Ferien entlassen wurden.
"Scheiß drauf.", sagte John eines Nachmittags, an dem Floyd nach der Schule bei ihm Zuhause vorbeikam. Sie saßen in der engen Küche, in der es stets nach Bärlauch zu riechen schien - an sich ein durchaus angenehmer Geruch, konnte man Bärlauch denn leiden. In dieser ständigen Penetration jedoch reagierte der Körper entweder mit endgültiger Geruchsblindheit oder anhaltendem Brechreiz. Zu Floyds Pech war er Letzterem ausgesetzt. Doch er ignorierte es. Natürlich tat er es. Für John hätte er alles getan.
Alles.
"Ich hätte eh nicht ins College gepasst - viel zu viele Klugscheißer." Der große Junge blickte auf ihn herab, das Haar fiel ihm in die schönen Augen. Er grinste humorlos um seine Zigarette herum. "Das ist deine Welt, nicht meine.", zog er Floyd auf. Dieser boxte ihn, musste das Lachen jedoch erzwingen. Er wusste wie nah John dieser Verlust ging - auch wenn er versuchte die vertane Chance lässig abzutun. "Mein Dad sagt, bei ihm gibt es immer Arbeit. Ich verdiene mein eigenes Geld. Das wir bestimmt super, oder?" John gab sich Mühe Floyd nicht noch mehr Schuldgefühle einzuimpfen.
Aber das brauchte er gar nicht.
Denn Floyd verfluchte sich jede Sekunde dafür ein solcher Schwächling zu sein.
Für ihn war es unmöglich sich zu verteidigen.
Eine Sekunde verging.
Plötzlich traf ihn die Idee wie ein Blitz.
Er setzte sich auf.
Starrte ins Leere.
John sah ihn fragend an.
"Es ist nicht unmöglich.", entschied er, plötzlich durchströmt von kribbelnder Engergie. "Was -", setzte John an, doch Floyd sprang bereits auf, schulterte seine Tasche und stürmte aus der Küche. Er rannte zur Tür hinaus und über den Hof. Die Zeit drängte. Hinter ihm hörte er John nach ihm rufen. "Wo willst du hin? Floyd! Was hat dich denn gepackt?"
Es gab eine Chance. Eine letzte. Eine sehr geringe, aber sie war da. Wieso hatte er sie nicht schon viel früher bemerkt? Die Zeit drängte. "Vertrau mir!", schrie er über die Schulter hinweg, ohne stehen zu bleiben "Und komm morgen zur Mittagspause in die Schule!"Floyd rannte zurück zur Schule - und erwischte die letzten Schüler aus der Basketballmanschaft, die soeben die Umkleiden verließen und so schnell wie möglich nach Hause wollten.
Er rannte beinahe in sie hinein. "Woah, Kleiner - was willst du denn?" Ein gigantischer Kerl sah auf ihn herab. Er roch nach Schweiß und billigem Deo. Das taten sie alle. Floyd keuchte so stark dass er für einen Moment befürchtete zwischen all diesen Typen ohnmächtig zu werden. Er war den ganzen Weg gerannt, die Idee in seinem Kopf nahm immer mehr Gestalt an. "Ihr - ihr seid -" Er keuchte, schluckte. "Mann, geh nach Hause, Alter. Wir haben Wichtigeres zutun." Die Jungs wollten sich bereits abwenden, doch Floyd packte den Riesen fest am Handgelenk. Die gesamte Gruppe stoppte.
Interessant.
"Nein.", sagte er fest. Das hier war wohl das Mutigste, das er in seinem Leben je tun würde. "Nein, das habt ihr nicht. Denn ihr habt etwas sehr Wichtiges vergessen - jemand sehr Wichtigen." Als die Jungen schwiegen wusste Floyd, dass sie ihn verstanden hatten.
Er ließ den Kerl los, richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Obwohl er noch immer wie ein Gnom unter Giganten wirkte, schienen sie in diesem Moment alle zu ihm aufzublicken.
Er sah jeden von ihnen an. Reckte das Kinn. "Ihr wisst dass es Falsch ist - und ihr wart, genau wie ich, zu lange leise. Wer ist dabei für ihn zu kämpfen? Wollt ihr eurem besten Spieler, eurem Partner, eurem Freund helfen?" Er hob die Stimme und ballte die Fäuste.
Diese Spieler reagierten nicht wie Individuen - sie waren ein verwachsenes Geschöpf aus Testosteron und Sportsgeist. Und wenn einer dabei war, waren sie alle dabei.
Und das waren sie.
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We Are The Change
Jugendliteratur1968. William Floyd Turner ist gerade achtzehn, der Sohn eines reichen Anwalts und hat keine Ahnung wie es außerhalb seines goldenen Käfigs in der Welt zugeht. Der Vietnamkrieg, die Hippiebewegung, die Menschenmassen und Sit-Ins - All das wäre beina...