43. Jir'Lore, 2145 n.n.O
Zwei Tage später konnte ich nicht leugnen, dass ich Varon recht geben musste: Ich mochte Varona. Und wenn ich mir den Rest des Schwarms ansah, war ich da keine Ausnahme. Jeder mochte Varona. Tatsächlich schien sie wirklich alle zu kennen und mit jedem vertraut zu sein. Also das komplette Gegenteil von mir, die ich eigentlich niemanden wirklich kannte und erst recht mit niemandem vertraut war.
Das wurde mir jedes mal klar, wann immer irgendjemand an uns vorbei schwamm und Varona mit einem Kopfnicken grüßte – und dann seltsamerweise auch mich. Das hatte zuvor kaum noch jemand mehr getan, vielleicht machte das die Anwesenheit der Earis vor der sie nicht schlecht dastehen wollten. Ich wusste es nicht. Aber jahrelang anerzogene Höflichkeit ermahnte mich, die knappen Grüße mit einem Kopfnicken zu erwidern. Doch diese Geste war mittlerweile so ungewohnt, dass ich gestern Abend mit einem steifen Nacken eingeschlafen war. Es könnte natürlich auch weiterer Muskelkater von Riccos Training sein, aber irgendwie glaubte ich das nicht.
Das Schlimme war, dass die Nackenschmerzen nicht weggingen. Und so rieb ich mir am folgenden Tag zum dutzendsten Mal und ohne nennenswerten Erfolg über meine Schultermuskulatur, während ich versuchte einen Badeanzug zu nähen. Es war das erste Projekt, das ich hier allein schneidern durfte – von der Planung, des Aussehens und des Schnittes bis hin zum Vernähen des Säume, alles in eigener Verantwortung. Darüber war ich tatsächlich etwas aufgeregt und wollte es so gut wie möglich machen. Da hätten Nackenschmerzen nicht ungünstiger kommen können.
Frustriert rieb ich mir abermals über die Schultern, drückte meinen Rücken durch und blickte nach oben – direkt in Varonas Gesicht. Ein spitzer, erschrockener Laut entkam mir, der zum größten Teil vom Wasser erstickt wurde – der Rest stieg als stumme Luftblasen nach oben. Wie hatte sie sich nur so anschleichen können?
Varona grinste mich fröhlich an und streckte die Hand nach meiner Schulter aus. >>Komm mit! Wir haben noch ein bisschen zu üben!<<
>>Aber-<<, protestierte ich und dachte an meinen Badeanzug, doch Varona wedelte diesen Einwand beiseite und sah mich streng an. >>Du musst dich mehr auf deine Wand konzentrieren! Ich seh schon wieder alles, was du denkst!<<
Hastig konzentrierte ich mich, was nicht so einfach war, weil ich ihr nebenbei zuhörte, aber auch das musste ich schließlich lernen.
>>Der Badeanzug hat Zeit bis morgen. Du willst es doch lernen, oder? Ich hab schon mit Lisa gesprochen.<<
Zu überrumpelt, um irgendwas anderes zu tun, nickte ich und begann rasch meine Sachen wegzuräumen.
Kurz darauf schwamm ich Varona hinterher ohne die geringste Ahnung zu haben, wohin es eigentlich ging. Unschlüssig starrte ich auf ihren Fisch Suriki, der dicht neben mir schwamm, als würde er mich bewachen wollen. Doch auch das gab mir keinen Aufschluss über unser Ziel. Aber was wollte ich von einem Fisch auch schon erwarten?
Schließlich seufzte ich ungeduldig. >>Varona!<<, rief ich der Earis vor mir zu und sie stoppte, drehte sich um und streckte ihre Hand nach mir aus. Zögernd griff ich danach. Gestern hatte sie mir die Grundlagen gezeigt, die es brauchte, um eine Wand im eigenen Geist aufzubauen. Ich konnte es nicht. Aber irgendwie musste man ja mit dem üben anfangen. Also konzentrierte ich mich und versuchte mein Bestes, während Varona sich nicht einmal ansatzweise die Mühe machte, ihre Gedanken zu verstecken.
>>Wohin schwimmen wir eigentlich?<< Immerhin konnte man diese Übungsstunde ja wirklich an jedem Ort abhalten – schließlich war es im Wesentlichen ein Gespräch führen, währenddessen ich darauf achten musste, meine Mauer aufrecht zu erhalten.
DU LIEST GERADE
Des Wassermanns Weib III - verführt
Fantasy*ABGESCHLOSSEN* „Junge Frauen neigen dazu, lieber nichts zu sagen, als klar und deutlich auszusprechen, was sie denken. Weiß der Henker, warum das so ist." Das hatte mein Vater einmal gesagt. Ich wünschte, ich hätte aus seinen Worten gelernt. Dann w...