Die Legende vom finsteren Wald

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Die beiden Freunde saßen bereits eine ganze Weile in Emilys Wohnzimmer und unterhielten sich über Gott und die Welt, als Jacob beschloss, die Gegend erkunden zu wollen. Er war zum ersten mal bei Emily zu Besuch, dementsprechend gab es für ihn viel zu entdecken. Außerdem hatte er seit sieben Stunden nur gesessen und verspürte daher das dringende Bedürfnis, sich endlich einmal die Füße zu vertreten. Er ließ sich also gleich das kleine Örtchen zeigen, in dem seine Freundin wohnte.

Es hatte kaum eine Stunde gedauert, da hatte er schon fast alles gesehen, was den beschaulichen Ort ausmachte. Es gab hier und da das ein oder andere Geschäft, eine Bäckerei oder einen Supermarkt, aber sonst gab es nichts interessantes zu sehen. Wenn man mal von dem großen Wald absah, der sich um das Dorf schlang wie ein dunkler Kessel. Emily hatte ihm diesen Wald natürlich nicht vorenthalten wollen, barg er doch eine recht ungewöhnliche Geschichte. 

Am Ende ihres kleinen Rundgangs waren sie an einem Feld angelangt, wo sie nun standen und ehrfürchtig in den Wald hineinsahen. Jacob, der von der Geschichte dieses Waldes noch nie etwas gehört hatte, war drauf und dran sich seinen Weg hinein zu bahnen, doch das zierliche Mädchen hielt ihn mit einem Arm auf, den sie ihm in den Weg streckte. Der Junge sah sie nur irritiert an, blieb aber stehen und wartete, was sie wohl zu sagen hätte.

"Du willst nicht in diesen Wald gehen, Jacob. Kein Mensch, der noch klar bei Verstand ist, will das." "Warum sollte ich nicht wollen? Wälder sind schön, um mal seinen Kopf frei zu kriegen." Er schien absolut nicht zu verstehen, was Emily dagegen einzuwenden hatte, doch ihr Tonfall erfüllte ihn bloß mit noch mehr Ehrfurcht. "Weißt du warum man diesen Wald 'Finsterwald' nennt?" Es schien eine rhetorische Frage zu sein, denn sie wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern sprach einfach weiter. "Man sagt, die Bäume stehen so dicht, dass selbst der Tag darin wie die tiefste Nacht erscheint. Ganz genau kann das natürlich keiner wissen, denn bisher gab es nur einen Menschen, der es Lebend aus diesem Wald raus geschafft hat. Und der starb wenige Tage später an Verletzungen, die er sich da drin zugezogen hat."

Jacob, der während ihrer Erklärung den Blick wieder dem Wald zugewandt hatte, riss nun den Kopf herum und sah seine Freundin mit großen Augen an. Diese hatte ihren Blick jedoch nicht einmal von der Szenerie vor ihr abgewandt. Sie schien völlig in Gedanken, als sie scheinbar ungerührt weiter sprach. "Es gab schon früh das Gerücht, dass mit diesem Ort etwas nicht stimmt. Jahrelang traute sich niemand hinein, weil es so viele Schauermärchen darüber gab, was angeblich in diesem Wald passiert." Emily unterbrach ihre Geschichte für ein kurzes Seufzen, dass angesichts ihrer Erzählung und der beginnenden Dämmerung schon fast schaurig klang. 

"Vor sechzehn Jahren hat sich das erste mal wieder jemand gewagt, die Gerüchte und Warnungen zu ignorieren. Er wollte wissen, was wirklich dahinter steckte und riskierte dafür sein Leben. Im wahrsten Sinne, würde  ich sagen, denn er tauchte erst drei Tage später wieder auf und war schwer verletzt. Er kämpfte noch etwa eine Woche, aber wie gesagt.. Keiner überlebt diesen Teufelsort." 

Das erste Mal seit sie angefangen hatte zu erzählen, sah Emily ihrem Freund ins Gesicht. Wie ernst sie dabei aussah jagte ihm einen Schauer über den Rücken, der ihn erzittern lies. "Du verarschst mich, oder?" Ein trockenes Lachen verließ ihre Lippen. Sie wünschte wirklich, dass alles was sie wusste bloß ein makabrer Scherz war, den man sich ausgedacht hatte, um kleine Kinder zu verschrecken. Das Mädchen wandte sich vom Wald ab und zog ihren Freund hinter sich her. Auf dem Weg zurück zu ihr erzählte sie weiter.

"Es gibt ein paar Leute hier, die bieten regelmäßig Touren für Touristen an. Völlig bescheuert wenn du mich fragst, aber tatsächlich machen sie damit eine Menge Profit. Wenn du im Internet nach dem Finsterwald suchst und zufällig die richtigen Quellen öffnest, dann erfährst du dort, dass es keinen wirklichen Weg rein gibt. Man muss sich schon durch dichtes Geäst schlagen, um überhaupt einen Fuß hineinsetzen zu können, und sobald man das tut erwartet einen eine Finsternis wie in tiefster Nacht. Das schreiben sie zumindest. Und weil die Touristen das nicht glauben wollen, buchen sie die Touren. Einmal eine Fahrt um den gesamten Wald herum, etwa zwei Stunden, und die Guides erzählen dasselbe wie ich dir gerade."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 07, 2022 ⏰

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