Nach dem Tod

17 2 0
                                    

Seit Jahren schon, machte ich diesen verdammten Job und noch immer verstand ich ihn nicht wirklich.

Ich konnte mich nicht erinnern, was ich davor gemacht hatte. Irgendwie war ich von Anfang an einfach hier gewesen und hatte die Aufgabe erledigt, für die ich lebte.
Ich hatte von Anfang an gewusst, was ich zu tun hatte, obwohl es niemanden gab, der es mir hätte erklären können.

Ich war kein Mensch. Das war ich gewiss nicht und das wollte ich auch gar nicht sein, aber ich wusste auch nicht, was ich sonst sein könnte. Einen Engel würde mich kein Mensch schimpfen, würden sie mich kennen, der Tod jedoch war ich auch nicht. Ich entschied nicht darüber, wer sterben sollte, ich führte bloß die menschlichen Seelen in ihr nächstes Leben.

Dabei konnte ich mich immer auf mein Bauchgefühl verlassen. Es sagte mir keiner, wohin ich als nächstes gehen oder wen ich als nächstes holen sollte. Ich wusste es einfach. Genauso, wie ich wusste wohin ich sie bringen musste.

Das System dahinter war eigentlich denkbar einfach. Es gab drei mögliche Wege, die eine Seele beschreiten konnte. Welchen sie nun gehen durfte, hing davon ab, wie sie gestorben war.

Aber genauso wie es einfach war, so grausam war es auch, denn wer oder was auch immer für das Leben nach dem Tod verantwortlich war, schien darüber willkürlich zu entscheiden.

Die Menschen mochten es Schicksal nennen, wenn sich ihre Wege kreuzten, aber sie verstanden nicht, dass sie scheinbar trotzdem eigene Entscheidungen treffen konnten.

Wenn sie unbedingt sterben wollten, dann konnten sie das, indem sie sich zum Beispiel eine Kugel in die Stirn jagten oder sich von einer Brücke stürzten, aber sie konnten ihrem Leben dennoch nicht entkommen.

Denn in diesen Fällen war es dann meine Aufgabe, sie an genau diese Stelle zurückzubringen, an der sie eigenmächtig entschieden hatten es zu beenden. Nur mit dem Unterschied, dass es nicht die 'richtige Welt' war, in die ich sie schickte. In der 'richtigen Welt' mussten die Hinterbliebenen der Selbstmörder darunter leiden, sie nie wieder sehen zu können.

Wenn sie unbedingt jemanden töten wollten, dann konnten sie auch das tun. Ganz gleich, ob die verlorene Seele es danach wollte oder nicht, ich hatte sie dann für einen Neuanfang auf die Erde zurück zu schicken. Sie hätte nicht die Möglichkeit selbst zu entscheiden, ob sie überhaupt zurück wollte.

Am grausamsten war jedoch, was mit jenen Seelen passierte, die eines mehr oder weniger natürlichen Todes gestorben waren. Sei es nun an Altersschwäche oder durch eine Krankheit, die sie langsam und schmerzhaft dahin raffte, sie alle hatten keine Chance auf ein neues Leben. Sie musste ich in die Dunkelheit führen, aus der es kein Entkommen mehr gab. Sie würden eine Ewigkeit lang in einem schwarzen See der Finsternis treiben, bis sie sich irgendwann einfach auflösten. Sie besaßen keine richtige Existenz mehr und doch waren sie sich bewusst, was mit ihnen geschah.

Das wusste ich, weil sie immer wieder versuchten, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Sie versuchten, der Dunkelheit zu entkommen noch bevor sie in dieser verschwanden, doch keine von ihnen hatte jemals eine ernsthafte Chance.

Sie taten mir Leid, denn es war unfair, was mir ihnen passierte, doch ich konnte nichts dagegen ändern. Für mich gab es keine andere Möglichkeit, als meiner Aufgabe nach zu kommen.

Selbst wenn ich ihnen gerne irgendwie helfen würde, ich fürchtete mich davor, welche Konsequenzen es nach sich ziehen könnte.

Vielleicht würde gar nichts passieren und ich hätte allen Seelen einen Gefallen getan, indem ich ihnen eine Wahl ließ. Vielleicht würde ich auch feststellen, dass ich gar nicht anders konnte, als so weiter zu machen wie ich es gewohnt war. Möglicherweise ließen sich die Türen, die eine Seele nicht durchschreiten soll, ja gar nicht öffnen.

Ich verspürte das Verlangen, dem Gedanken einmal nach zu gehen, doch die Angst war größer. Denn vielleicht würde ich auch bestraft werden, sollte ich von meiner Aufgabe abweichen. Vielleicht würde ich zur Strafe selbst zu einer dieser Seelen werden und hinter einer der Türen weiter existieren müssen. Oder eben nicht existieren, je nachdem, durch welche Tür ich würde gehen müssen.

Mir blieb also nichts anderes übrig, als weiterhin diesem System zu folgen, denn ich wollte auf keinen Fall menschlich werden.



My OS'sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt