Kapitel 2

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Kapitel 2

Salina

»Was hast du dir nur dabei gedacht?«, donnerte mein Vater so laut, dass ich zusammenfuhr, als hätte er mich geschlagen.

Kaum dass ich nach Hause zurückgekommen war, hatten mich seine Sicherheitsleute entdeckt und zu ihm gebracht. Ich hatte es nicht mal mehr in mein Zimmer geschafft.

Nun befanden wir uns in Dads Büro, das an sein Schlafzimmer angrenzte. Der Raum wurde lediglich von ein paar Kerzen erhellt, die auf dem aus Stein gehauenen Sims standen. Es gab nicht viele Gegenstände außer einem kleinen Schreibtisch mit einem alten Holzstuhl, der jedes Mal gefährlich wackelte, wenn er sich darauf setzte. Die dunklen Steinwände waren nackt, was das Zimmer noch düsterer erscheinen ließ.

Doch in den anderen Räumen sah es nicht besser aus. Bei unserem Zuhause handelte es sich um das größte Versteck von Schattenwesen in der Gegend. Unsere Spezies hatte hier Zuflucht gefunden. Allerdings lebten wir in keinem Fünfsternehotel. Im Gegenteil. Es war ein altes, stillgelegtes Bergwerk unweit von London im Süden Englands.

Da die Lichtwesen immer mehr Schattenwesen aufspürten, wuchs die Zahl der Geflüchteten monatlich, sodass wir kaum mehr Zimmer hatten.

Schon jetzt war es erdrückend. Die engen Gänge, der Platzmangel, die Angst um Nahrungsmittelknappheit, die andauernde Furcht, entdeckt zu werden. Oft gab es kein warmes Wasser und die Luft war stickig. Zwar gab es Schächte, um frischen Sauerstoff zu erhalten, dennoch roch es oft muffig. Wir hatten nicht genügend Strom und mussten mit Solaranlagen vorliebnehmen, mit denen wir Energie speicherten. Mein Vater war sehr sparsam, weshalb spätestens um neun Uhr abends die Lichter ausgingen. Die Sicherheitsleute, die auch nachts auf Patrouille gingen, hatten meistens geklaute Taschenlampen, da es uns an Geld fehlte. Allgemein waren die meisten Sachen, die wir besaßen, geklaut oder selbst zusammengebaut aus Materialien, die wir in der Umgebung gefunden hatten. Wir hatten uns an unsere Heimat gewöhnt. Doch auch wenn die Finsternis zu uns passte, war sie auf Dauer ungesund und ließ viele depressiv werden.

»Mit deinem rücksichtslosen Verhalten gefährdest du uns alle. Ist dir das klar, Salina?«

Statt zu antworten, kaute ich auf meiner Unterlippe herum. »Ich war vorsichtig«, gab ich schließlich zurück.

»Du wiegst dich zu sehr in Sicherheit. Ein kleiner Fehler und dann war es das!« Mein Vater rannte aufgewühlt hin und her, wobei er aufgrund der Enge nur wenige Schritte gehen konnte. Voller Verzweiflung reckte er die Hände in die Luft. Fehlte nur noch, dass er sich die Haare raufte. »Was mache ich nur mit dir?«

Reumütig zog ich den Kopf ein. Ich fühlte mich schlecht, wenn er enttäuscht von mir war. In dem Moment klopfte es an der Tür und kurz darauf trat einer unserer Schattenwächter in den Raum. Hinter ihm erkannte ich einen zweiten jünger aussehenden Wächter. Sie trugen alle dunkle, zerschlissene Klamotten.

»Gerard, entschuldige die Unterbrechung.« Der ältere von beiden fuhr sich durch die kurzen, leicht ergrauten Haare und bedachte mich mit einem forschenden Blick, ehe er wieder zu Dad sah, der auffordernd nickte.

»Was ist los?«, fragte Dad.

»Einer unserer Späher kam gerade von seinem Streifzug zurück und hat berichtet, dass sich die Lichtwesen vermehrt in London und Umgebung herumtreiben. Sie scheinen immer mehr Schattenwesen anzugreifen und Geheimverstecke aufzuspüren«, antwortete der jüngere Wächter mit sorgenvoller Miene. »Momentan konzentrieren sie sich auf die umliegenden Dörfer, aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie womöglich ...«

»Hier ankommen«, beendete Dad den Satz ernst. Er war über ihr Erscheinen sichtlich unzufrieden, kniff die Lippen zusammen und senkte den Blick zu Boden. In seinem Kopf arbeitete es.

Daughter of Shades (Die Geschichte von Kyron und Salina)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt