Kapitel 6

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Kapitel 6

Salina

Gefühlte Stunden schwankte ich zwischen Träumen und Wachen. Eisige Kälte kroch vom Boden durch meine Glieder. Da ich nicht einmal eine dünne Decke besaß, in die ich mich hätte einwickeln können, musste ich damit klarkommen. Ich hatte mich in die hinterste Ecke, die am weitesten von der Tür entfernt war, gesetzt, sodass ich diese beobachten konnte. Ich wollte vorbereitet sein, sollte jemand hereinkommen. Nachdem das Adrenalin nachgelassen hatte, war ich unendlich müde geworden. Aber ich traute mich nicht zu schlafen, aus Angst vor dem, was sie mir antun könnten.

Dennoch fielen mir immer wieder die Augen zu. Bis von draußen aufgeregte Stimmen ertönten. Mein Herz blieb stehen, als ich eine von ihnen wiedererkannte.

»Glaubt mir, ihr werdet begeistert sein. Sie ist ein sehr schönes Exemplar.«

Es war Sebastian, einer der Männer, die mich zu dem seltsamen Verhör gebracht hatten. Auch wenn er keinen Namen genannt hatte, konnte ich mir denken, dass sie sich auf dem Weg zu mir befanden. In der Erwartung, sie gleich durch die Tür hereinkommen zu sehen, stand ich auf und wich ich noch enger an die Wand heran, als könnte ich mit ihr verschmelzen. Ich wünschte, sie würden wieder umkehren und mich in Ruhe lassen.

Die Schritte verstummten und ich sah ängstlich in Richtung Eingang. Meine Anspannung wuchs, als sekundenlang weder ein Schlüssel klapperte noch irgendein anderes Geräusch zu hören war. Im nächsten Moment lösten sich drei Schatten aus den Wänden, die langsam Gestalt annahmen. Entsetzt keuchte ich auf, weil sich einer der Jungen direkt vor mir befand. Das konnte nur eins bedeuten: Die drei beherrschten die Fähigkeit der Phasenverschiebung, womit sie durch feste Materie gehen konnten.

»Überraschung«, höhnte Sebastian, während er und die anderen beiden langsam auf mich zukamen.

Waren sie hier, um mich wieder zum Verhör oder, gar schlimmer, in eine Folterkammer zu bringen?

»Jetzt haben wir endlich Zeit für dich, schwarze Bestie«, meinte Sebastian mit einem Grinsen. »Ich habe sogar Freunde mitgebracht. Wir werden heute Nacht viel Spaß miteinander haben.«

»Nein!«, flehte ich den Tränen nahe. Ich wollte flüchten, doch hinter mir befand sich die kalte Felswand. Ich war ihnen hilflos ausgeliefert.

»Bitte, lasst mich in Ruhe. Ich habe euch nichts getan«, bat ich verzweifelt in der Hoffnung, sie würden sich umentscheiden und mich doch verschonen. So wie ich Kyron verschont hatte.

Doch Sebastian brach in schallendes Gelächter aus. »Du bist ein Schattenwesen!« Er trat auf mich zu. Sein Gesicht schwebte direkt vor meinem. »Du bist eine schwarze Bestie. Du hast keine Rechte. Du bist ein Nichts. Und so werden wir dich auch behandeln.«

Zum wiederholten Male wünschte ich mir, als Mensch geboren worden zu sein. In den Augen der Lichtwesen waren wir das pure Böse und hatten daher keine Rechte. Weder auf Leben noch auf die Wahrung der eigenen Würde. Und das ließen mich die Jungen jetzt spüren.

»Seht euch nur ihre verschiedenfarbigen Augen an«, bemerkte Sebastian abfällig, ohne den Blick von meinem Gesicht zu wenden. »Sie ist nicht nur ein Schattenwesen, sie ist auch noch ein Freak.« Er streckte die Hand nach mir aus, aber so einfach wollte ich mich nicht ergeben. Ich verdrängte die aufkommende Scham, weil ich selbst wusste, dass ich komische Augen hatte, und konzentrierte mich auf das, was mir Isaac beigebracht hatte.

Ich senkte den Kopf und ließ Sebastian an mich herantreten. Gab ihm das Gefühl, gewonnen zu haben. Als Sebastians Hand meine Wange fast berührte, stieß ich ihm mit voller Wucht gegen den Solarplexus. Da die Handschellen mich behinderten, war mein Schlag nicht stark genug, um ihm das Bewusstsein zu rauben. Dennoch zuckte er ächzend zurück.

Daughter of Shades (Die Geschichte von Kyron und Salina)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt