4. Kapitel

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Lustlos schlenderte ich über den Schulhof. Ich hatte mir schon 100 Ausreden ausgedacht, wie ich meinen blauen Fleck erklären könnte, doch richtig überzeugt war ich von keiner. Ich wollte niemanden anlügen, doch die Wahrheit zu sagen, kam auch nicht in Frage. Auf halbem Weg zum Klassenraum kamen mir Freya und Immanuel entgegen. "Hey Manu, hi Freya", begrüßte ich sie. Immanuel hasste es, wenn ich ihn so nannte. Aber ich tat es gerne, um ihn zu ärgern.

Manu war groß gewachen, ungefähr einen halben Kopf größer als ich. Er hatte etwas längere schwarze Haare, die er sich immer nach hinten kämmte und himmelblaue Augen.

Wir kannten uns seit dem Kindergarten. Freya, Manu und ich waren unzertrennlich, machten alles zusammen. Uns gab es nur zu dritt.

Freya guckte genervt: "Mal wieder typisch. Erste und zweite Stunde frei und niemand sagt uns Bescheid. Ich hätte noch im Bett liegen können." "Organisatorische Scheiße!", fügte Manu noch hinzu. Ich verdrehte die Augen. Die Organisation dieser Schule war echt unglaublich. "Und was machen wir nun?", fragte ich sie. Auf zwei Stunden in der Schule bleiben und nichts tun, hatte ich so gar keine Lust. Freya zuckte mit den Schultern. Auch Manu schaute nicht, als ob er eine gute Idee hätte. Also schlug ich vor zu Freya nach Hause zu gehen. Sie wohnte noch näher an der Schule als ich und ihre Eltern waren arbeiten. Also die perfekte Lösung. Während wir zu Freya gingen, kamen wir noch an einem Bäcker vorbei. Dort kauften wir Brötchen, um bei ihr noch einmal ausgiebig zu frühstücken. Bei ihr angekommen, knallten wir unsere Schulranzen in die Ecke und deckten den Tisch. Dann setzten wir uns hin und fingen an zu essen. Wir alberten rum und hatten viel Spaß, wie immer. Also wenn das immer so endete, könnten die ersten zwei Stunden ruhig öfter ausfallen, dachte ich mir. Wenn ich mit Freya und Manu Zeit verbrachte war ich immer so losgelöst. Ich konnte immer ich sein und musste mich nie verstellen. Doch das tollste war immer, dass ich meine Probleme für eine Zeit lang vergessen konnte.

Und wie jedes Mal lachte ich viel mit ihnen und hatte viel Spaß. Auf einmal hörte Manu auf Witze zu machen und er lachte auch nicht mehr. Er saß ganz ruhig da und betrachtete mich komisch. Und nach einiger Zeit betrachtete mich auch Freya genauer und hatte genau den gleichen Gesichtsausdruck. Ein Moment der Stiller kehrte ein. Ich sah sie an. Immer wieder schwankte mein Blick von Freya zu Manu und wieder zurück. Ich war verunsichert. "Ist was?", fragte ich mit zitternder Stimme. Erst sagte keiner etwas. Dann fand Manu seine Stimme wieder: "Dein Auge! Was hast du gemacht? Das sehe ich jetzt erst!" Mein Auge! Das hatte ich schon wieder ganz vergessen. Manu redete weiter: "Dein Gesicht sah heute morgen schon anders aus. Das ist mir direkt aufgefallen, als ich dich gesehen habe. Aber ich konnte nicht viel erkennen. Es war ja noch fast dunkel draußen. Jetzt sehe ich dein blaues Auge. Also Ama? Was ist los?" "Hat das etwas mit gestern zu tun?", hakte nun auch Freya nach, "Du hast so ernst und traurig am Telefon geklungen. Ama, was ist passiert? Wir möchten dir doch nur helfen!" Ich senkte meinen Blick auf den Boden. Ich konnte ihnen einfach nicht die Wahrheit erzählen. Aber anlügen konnte ich sie auch nicht. "Ama! Jetzt sag schon! Das Auge sieht gar nicht gut aus!", meldete sich wieder Manu. Jetzt war ich wütend. Eigentlich ging sie das gar nichts an. Ich sprang auf und schrie: "Nichts! Nichts ist passiert. Lasst mich doch einfach alle in Ruhe!" Meine Augen funkelten vor Wut und Freya und Manu waren total erschrocken. Sie gingen einen Schritt zurück. Ich zog hastig meine Jacke an, holte meinen Schulranzen und rannte aus dem Haus. Ich konnte nicht mehr länger hier sein; nicht mehr länger mit ihnen in einem Raum.

Heiße Tränen flossen über meinen Wangen. Was war nur mit mir los? Eigentlich hatten Freya und Manu ja gar nichts getan. Aber mussten sie mir die ganze Zeit so blöde Fragen stellen? Wieso merkten beide nicht, dass ich nicht darüber reden wollte? Wieso konnten sie nicht damit aufhören? Mir schwirrten so viele Fragen im Kopf herum. In meinem Zustand konnte ich die Schule sowieso vergessen. Ich hätte mich nicht konzentrieren können. Außerdem hätte ich Freya und Manu wieder gesehen und ich hätte mich weiteren Fragen stellen müssen, was ich nicht wollte.

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