What a Feeling

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Der zusammengefaltete Zettel steckt zerknittert in seiner Jackentasche, Vorder und Rückseite beschrieben mit vielen durchgestrichenen Wörtern und Randnotizen, Stellen an denen er sich nicht entscheiden konnte und deswegen gleich drei Wörter hingeschrieben hat und Stellen, die er selber kaum lesen kann. Kurz, ein ganz normaler Zettel, so wie jeder andere, der irgendwo in seinem Haus liegt.

Mit dem zusammengefalteten Zettel in der Hand geht er zurück in die Küche und durch die Küche ins Wohnzimmer. Ihre Teetassen stehen auf dem Tisch und an dem Scheppern aus Harrys Zimmer kann man erkennen, dass er gerade seine Gitarre holt. Kurz überlegt er, ob er Harry helfen soll, aber mit seiner Größe wäre er wohl eher weniger eine Hilfe. Stattdessen lässt er sich in einen der beiden Sessel fallen und faltet den Zettel auseinander, um den Text noch einmal zu überfliegen. Er hofft, man seine Schrift und vor allem die durchgestrichenen Worte genug lesen kann, dass sich der Text ergibt. Zusammen mit seinen Gedanken gleitet sein Blick aber relativ schnell von dem Papier weg und über Harrys Wohnzimmer.

Harrys Wohnung sieht neu aus, die Wände sind entweder weiß oder in einem blassen grün. Durch die alten Sessel und die selbst gemachten Holzmöbel, ein Werk von seinem Vater wie er mit der Zeit erfahren hat, wirkt sie gemütlich.

Insgesamt ist die Stadt in der sie wohnen weder wirklich groß noch klein und weder wirklich alt noch neu. Sie ist so klein, dass die Mieten bezahlbar sind, und so groß, dass es eine gute Uni und einen schönen Park mit See gibt. Das Bahnnetz ist unnötig kompliziert, sodass es Louis eine gefühlte Ewigkeit gekostet hat, sich die verschiedenen möglichen Kombinationen bis zur Uni oder in die Allstadt zu merken. Die Uni ist auch ganz Mittelmäßig, sie ist relativ klein, aber schöner als der ein oder andere Betonklotz den man sonst wo finden kann.

Louis studiert Literatur an der selben Uni an der Harry Musik studiert. Er dachte erst lange, dass er nicht der Typ zum studieren ist. Er mochte die Lehrer nie wirklich, besonders seinen Erdkundelehrer und die Lehrer mochten ihn nicht. Er war nie überdurchschnittlich gut in der Schule und konnte es eigentlich kaum erwarten, bis er aufhören kann und alt genug ist um endlich von Zuhause wegzukommen. Und dann kam dieser eine besonders beschissene Tag in seinem Leben und danach wurde alles irgendwie besser. Er kam an eine neue Schule, sein Onkel bemühte sich tatsächlich ihm mit dem Stoff zu helfen und er hat bemerkt, dass man im Unterricht auch noch andere Dinge tun kann außer der Außenseiter zu sein und die anderen mit Papierkugeln abzuschießen. Und wie sich im Laufe der Zeit herausstellt war er in manchen dieser anderen Sachen sogar ziemlich gut und es fing sogar an Spaß zu machen. Gedichte analysieren in der Schule war immer noch nicht richtig toll, aber wenn er seinem Onkel von seinem Tag erzählt hat und dieser dann mit einem alten Gedichtband wiederkam, in dem sie den ganzen Abend lang gelesen haben und versucht haben die verschlungene Sprache zu verstehen, dann wurde es in seiner Freizeit, fast sogar seine Lieblingsbeschäftigung. Songtexte waren ihm vielleicht noch ein bisschen lieber, sie waren weniger steif und erzählten viel mehr, aber für einen 15 jährigen war er absolut verrückt nach Gedichten.

In der Schule mochte er es immer noch nicht wirklich, weil die Lehrer immer die langweiligen Gedichte raussuchen und nicht die mit den dramatischen Bedeutungen. Diese Bedeutung in Gedichten oder Songtexten zu finden ist ein unfassbares Gefühl, es ist das Gefühl von Wahrheit und auf die magische Weise, wie sie zwischen den Wörtern versteckt ist, wirkt es wie ein Geheimnis, dass nur ihm gehört. Und vielleicht hatte es auch etwas beruhigendes, dass einige diese Menschen auch etwas schreckliches durchgemacht haben und trotzdem etwas schönes daraus schaffen konnten. Außerdem ist es auch mal schön, das ganze Drama nur von außen betrachten zu können, mal nur bestaunen zu können was in all diesen Menschen vorgegangen ist und auf was für eine brillante Weise sie es zum Ausdruck gebracht haben.

Von allein wäre ihm vermutlich trotzdem nie der Gedanken gekommen, wirklich zu studieren. Für ihn war lernen und sich absichtlich mit Dingen zu beschäftigen die was mit Schule zu tun haben immer nur ein notwendiges Übel und nichts, womit er mehr Zeit verbringen würde, als unbedingt nötig. Aber an seiner neuen Schule waren die Lehrer besser, er hatte, wenn auch nur zwei, richtige Freunde und er hatte etwas, was ihm wirklich Spaß macht. Und irgendwie haben die langen Abende mit Tee und einem neuen Lied vor dem Karmin ihn dazu gebracht, das lernen auf eine Art und Weise zu mögen. Als er sein erstes Gedicht geschrieben hat, hatte er sich nicht getraut es irgendjemanden zu zeigen, weil er aus irgendeinem Grund dachte nur alte und staubige Menschen schreiben heute noch Gedichte und so einer wollte er wirklich nicht sein.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 02, 2021 ⏰

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