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Es war das Jahr 1922 und der Krieg war erst 4 Jahre vorbei. Ganze 4 Jahre herrschte Frieden und sie hatten noch immer mit dem Aufbau zu tun, waren noch immer damit beschäftigt ausfindig zu machen, wer alles wirklich im Krieg gefallen war. Es war eine mühsame Arbeit und jedes Mal, wenn Erwin die vielen Listen der vermissten Personen sah, hatte er die Gesichter seiner gefallenen Soldaten vor Augen. Der Kommandant schlief schon lange nicht mehr, oder zumindest nicht sehr viel. Denn die Alpträume waren etwas, gegen die maximal das Opium helfen würde und das würde er auf keinen Fall zu sich nehmen. Erwin brauchte alle seine Sinne, da nahm er es im Kauf das er auch mal ein oder zwei Tage nicht schlief, ehe ihn dann die völlige Erschöpfung einholte.
Auch an diesem Morgen stand er in seinem Büro, wieder unzählige Briefe vor sich liegend. unzählige Listen mit Personen, die nach dem Krieg einfach nicht mehr aufgetaucht sind. Er sichtete sie alle, schrieb sich aus den Briefen jeden einzelnen Namen auf, schrieb sich jede Adresse auf, wo diese Person zuletzt gesehen wurde und verglich diese mit ihren Listen. Eine Arbeit, die ihn oft bis spät abends im Büro hielt, weswegen er seufzte als es an der Tür klopfte und Mike reinkam, sein engster Vertrauter und gleichzeitig bester Freund. Dieser erinnerte ihn immer daran, wann es Zeit wurde, die Arbeit nieder zu legen, sonst würde Erwin wohl wirklich tagelang und nächtelang durcharbeiten. „Bist du immer noch hier? Hat deine Mutter nicht morgen Geburtstag?" fragte Mike und setzte sich auf den Stuhl vor dem Tisch, denn auf das Sofa durfte sich keiner setzen, da Erwin da gelegentlich schon mal ein kleines Schläfchen hielt. Doch als Mike den Geburtstag seiner Mutter erwähnte, erstarrte Erwin in seinem Tun, sah seinen Freund an und fluchte innerlich. „Doch hat sie" meinte er fluchend und stand auf, nahm sich seinen Mantel und sah nochmal zu Mike, der aber nur abwinkte. „Ich räum hier auf, du hast Morgen immerhin frei" sagte er nur und Erwin dankte ihm kurz ehe er los ging. Wo sollte er jetzt noch ein Geburtstags Geschenk herbekommen?

Doch da fiel ihm das kleine Café an der Ecke auf. Ging seine Mutter da nicht immer Kaffee trinken? Und daneben war ihr Blumenladen, wo das Licht auch noch brannte und der Verkäufer wohl gerade die restlichen Blumenkisten am rein räumen war. Sofort ging er schnellen Schrittes darauf zu und tippte dem großgewachsenen, blonden Mann auf die Schulter. „Entschuldigen Sie die späte Störung." Der Blonde drehte sich um, und schien ein miesgelaunter Kerl zu sein, und so einer verkaufte Blumen? Doch da kam schon ein schwarzhaariger Mann raus, der zwar im Ganzen etwas Schmaler war, aber eine ähnliche Körpergröße hatte. „Was kann ich für Sie tun?" fragte der Schwarzhaarige während der Blonde weiter die Kisten rein trug. „Meine Mutter wird morgen 75 und ich habe vor lauter Arbeit ein Geburtstagsgeschenk vergessen." Berthold, so hieß der Schwarzhaarige, lächelte freundlich und sah Erwin an. „Es kommen morgen früh frische Dahlien rein. Ich mache ihnen ein Strauß fertig, den können sie dann bei Ladenöffnung abholen." Erwin atmete erleichtert aus und nickte dann. „Vielen Dank. Dann wünsche ich einen schönen Feierabend." sagte er und verabschiedete sich, drehte sich aber nochmal um. Die beiden Männer gingen in diesem Moment sehr vertraut miteinander um und er erkannte die kleinen Anzeichen. Ein gemeinsames Geschäft, diese leichte Berührung an der Schulter, sich vorstrecken, um jemanden etwas in das Ohr zu flüstern, was aber eigentlich einen Kuss auf die Wange verbergen sollte. Er verurteilte solche Menschen nicht, im Gegenteil: Jeder konnte sich doch glücklich schätzen, wenn er die wahre Liebe gefunden hatte, ganz gleich, ob es ein Mann oder eine Frau war.
Allerdings war diese Ansicht für ihre Zeit zu modern und zu abwegig, weshalb so etwas hinter verschlossenen Türen passierte und nach außen hin als gute Freundschaft abgetan wurde. Oft hatten solche Paare auch für den Fall einer Razzia, zwei Schlafzimmer. Erwin kannte diese Situationen, diese Gefühle für einen Mann. Doch es war jetzt eh keine Zeit groß darüber nach zu denken, es ging ihn ja im Prinzip überhaupt nichts an, wie die beiden lebten. Und so in Gedanken versunken betrat er das kleine Café. Hier war noch immer was los und es schien nicht so als würde bald Feierabend gemacht werden.
Erwin setzte sich auf einen der Hocker direkt an der kleinen Bar, wo es offensichtlich nicht nur warme Getränke gab, sondern auch für die Herren schon mal ein kühles Bier. So bestellte er sich gleich eins und sah sich die Karte an, was dieses Café zu essen anbot. Sofort viel ihm etwas ins Auge und dieses bestellte er dann auch. Sein Blick schweifte einmal über seine Umgebung und blieb an einem Kellner hängen, seine Augen wurden groß. Dieses Gesicht...
Diese kalten Augen, das pechschwarze Haar und diese doch recht blasse Haut. Wie lange war es jetzt her, dass seine Truppen diesen Jungen gerettet hatten? 7 oder 8 Jahre, es war noch recht zum Anfang des Krieges gewesen. Sie hatten ihn hierherbringen lassen, damit er in Sicherheit war und scheinbar hatte er auch eine Familie gefunden, die ihn aufgenommen hatte, denn sonst hätte ein solcher junger Mann niemals überlebt, dieser war damals recht klein für sein Alter gewesen und auch Heute reichte er Erwin geschätzt nur bis zur Schulter. Seine Hände wurden auf einmal ganz schwitzig, wie damals als er ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Erwin hatte es sich nie wirklich eingestanden, doch er fühlte sich damals schon ungemein zu dem Jungen hingezogen, weshalb er es befürwortet hatte, dass dieser nicht seiner Truppe beitrat, sondern weggeschickt wurde. Es war besser für sie beide gewesen, dass spürte er, denn kurz nach dem der Konvoi weg war, waren sie in Beschuss geraten. Nicht einmal die Hälfte seiner Soldaten hatten diesen Beschuss überlebt, nur die Fähigsten unter ihnen waren am Leben geblieben und das wäre wirklich kein sonderlich guter Einfluss auf den jungen Mann gewesen.

Sacrifice your heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt