1. Vom Besucher zum Patienten

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„Jonas, ziehst du bitte deine Schuhe an?" Ich helfe gerade der kleinen Maja in ihre Sandalen, als ich sehe, wie der Junge vor der großen Eingangstür steht und ungeduldig wartet. In seinen Hausschuhen.

Natürlich kommt er nicht und verschränkt nur bockig seine Arme. Ich seufze und setze Maja einen Sonnenhut auf, bevor ich mich zu Jonas begebe. Ich knie mich vor ihm und sage:„Du kannst nicht mit deinen Hausschuhen raus. Zieh bitte deine Straßenschuhe an." Lächelnd halte ich ihm meine Hand hin, die er glücklicherweise sofort ergreift.

Ich freue mich, dass mir heute eine große Diskussion erspart bleibt und lächel in mich hinein. Das hätte ich bei dem Wetter echt nicht gebrauchen können, zumal sich meine Kopfschmerzen wieder melden, nur deutlich heftiger als noch vor wenigen Minuten, als wir alle draußen in der Sonne saßen.

Nach wenigen Minuten stehen alle Kinder in 2er Paaren hintereinander und Sara, meine Arbeitskollegin, und ich zählen nochmal nach. „Passt", sagt sie und schultert ihren Rucksack, „dann lass uns aufbrechen. Die Kinder sind schon ganz aufgeregt." Sie deutet auf die Kleinen, die hin und her hopsen und ungeduldig darauf warten, dass es endlich los geht.

Ich hänge mir meine Tasche um und bilde mit Tanja das Schlusslicht. Sara geht voran. An ihrer Hand die schüchterne Mona, die sich etwas ängstlich an sie klammert. Es ist schließlich der erste Ausflug im Kindergarten für sie.

Der Weg zum Krankenhaus ist nicht weit, doch die schwüle Luft macht mir zu schaffen. Meine Kopfschmerzen hämmern gegen meine Schläfen, die Hand des kleines Mädchen lässt die meine schweißnass werden. Ich atme tief durch und versuche mich zusammenzureißen. Es ist nicht mehr weit sage ich mir und massiere mir kurz die Stirn, während ich darauf achte, dass niemand verloren geht.

Schon bald taucht das große Gebäude vor uns auf, was die Kinder laut jubeln lässt. Auch sie sind erschöpft von der Hitze. Warum muss es auch ausgerechnet heute so heiß sein?

Die Schiebetür gleitet zur Seite und ich bin heilfroh, endlich in einem klimatisierten Raum zu sein. Die Dame am Empfang weiß Bescheid und führt uns zur Kinderstation. Dort kommt uns sofort ein nett aussehender junger Arzt entgegen, der ein Tshirt bedrückt mit Tieren trägt. Um seinen Hals liegt ein Stethoskop, welches an eine Schlange erinnert und den Kindern womöglich die Angst vor der Untersuchung nehmen soll.

Sein Lächeln ist breit und wird noch breiter, als er die Kleinen sieht, die aufgeregt hüpfen und ihre Köpfe in alle Richtungen drehen. „Hallo.", begrüßt er uns freundlich und schüttelt Sara und mir die Hand, „schön, das Sie hier sind. Der Ablauf ist ja schon vorher abgesprochen worden. Wäre es für Sie in Ordnung, wenn ich die Kinder in unseren Besucherbereich führe, in dem sie erstmal was trinken können? Es ist ja schon ziemlich warm draußen."

Ich bin ehrlich gesagt etwas abgelenkt von seinen strahlend blauen Augen und den makellos weißen Zähnen, als er uns erneuert ein Lächeln schenkt, sodass ich unfähig bin, etwas zu antworten.

Zum Glück bemerkt Sara dies und nickt zustimmend. „Klar. Ich würde sagen, wir kommen mit. Dann können wir unsere Sachen abstellen und uns ein bisschen ausruhen. Die Hitze ist echt unerträglich." Sie schaut mich fragend an. Ich neige den Kopf als Zustimmung und zusammen folgen wir dem Arzt.

Die Kinder lassen sich sofort auf die Stühle nieder und gucken uns neugierig an. Dies bringt uns drei zum Lachen. Gar keine gute Idee, denn mein Kopf brummt wieder und auch mein Magen zieht sich jetzt schmerzhaft zusammen. Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht zu schreien und hole mir meine Wasserflasche heraus.

Zusammen mit Sara verteile ich Plastikbecher und gieße jedem etwas Wasser ein. Die Kleinen stürzen sich sofort auf das kühle Getränk und brabbeln laut durcheinander. Zum Glück kann Sara sie beruhigen, denn ich bin zu nichts mehr in Stande. Ich will in mein Bett und mich einfach nur in die Decke kuscheln, damit diese Schmerzen endlich aufhören.

Als hätte man mir meine Gedanken angesehen, klatscht der Arzt in die Hände und bedeutet den Kindern, ihm zu folgen. Sara geht natürlich mit und wirft mir einen fragenden Blick zu. Ich zeige in Richtung der Toiletten und zucke entschuldigend mit den Schultern. Sie nickt verstehend und verschwindet mit den Rabauken um die Ecke.

Ich quäle mich zu der Damentoilette und stütze mich am Waschbecken ab. Ein bleiches Gesicht schaut mir entgegen. Kleine Schweißtropfen sind auf meiner Stirn zu sehen, rote Flecken auf meinem Hals. Ich stehe kurz vor dem Zusammenbruch, als sich mein Magen erneut zusammenzieht. Schnell hechte ich zur Kabine und beuge mich über die Klobrille, aber es kommt nichts. Vollkommen erschöpft sinke ich zu Boden und lasse meinen Kopf auf meine angewinkelten Knie sinken.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hieve ich mich auf meine zittrigen Beine. Am Waschbecken angekommen spritze ich mir etwas Wasser ins Gesicht, in der Hoffnung, meine Wangen würden ein bisschen Farbe bekommen. Doch leider ändert sich nichts.

Ich schlurfe zur Tür und lasse mich kurz darauf auf einer Bank nieder, die im Raum bei unseren Taschen steht. Meinen Kopf lehne ich gegen die kühle Wand und schließe die Augen. Versuche den Schmerz zu ignorieren, der in meinem inneren tobt. Geh doch zu dem hotten Arzt sagt die Stimme in meinem Kopf.

Das bringt mich tatsächlich kurz dazu, mir vorzustellen, wie es wäre, von Doktor Sexy untersucht zu werden. Schmetterlinge kribbeln in meinem Bauch, doch ich verscheuche sie schnell daraus, sowie die Gedanken aus meinem Kopf. Der hat sicherlich besseres zu tun, als sich um eine leidende Erzieherin zu kümmern.

Genau in dem Moment, als mein Magen mal wieder beschließt, sich extrem schmerzhaft zusammenzuziehen, kommt ein Pfleger vorbei. Er bleibt erst verwundert stehen, kommt dann aber mit schnellen Schritten zu mir, als er mich vor Schmerz gekrümmt auf der Bank liegen sieht.

„Hallo. Ich bin Maik. Keine Sorge, Sie sind in guten Händen.", beruhigt er mich und umfasst sanft mein Handgelenk. Mein Herz schlägt mittlerweile echt schnell und ich bin froh, dass mich der Pfleger einigermaßen beruhigen kann.

„Wo sind die Schmerzen?", fragt er fachmännisch und sieht dann meine Hände an meinem Bauch. „Okay, die Frage hat sich soeben erledigt." Er zieht meine Hände sanft von meinem Bauch und schiebt mein Oberteil hoch. Das er mich dabei aufmerksam betrachtet, entgeht mir nicht. Ich bin froh, die Augen offen halten zu können.

„Schön hierbleiben, ja?" Seine Hand liegt immer noch an meinem Handgelenk und überprüft meinen Puls genau, während er mit der anderen Hand sein Handy aus der Tasche zieht und jemanden zu schreiben scheint.

„So, ich habe Doktor Müller benachrichtigt, der wird sofort kommen. In der Zeit bleiben Sie bitte hier. Ich schaue mir Ihren Bauch an."

Seine Hand tastet meinen Bauch genau ab, bleibt an manchen Stellen kurz liegen und sorgt dafür, dass ich mich immer wieder entspanne. „Okay, hier merke ich nichts auffälliges. Aber das wird sich Doktor Müller später nochmal genauer anschauen. Haben Sie sonst noch Schmerzen?"

„Kopf", presse ich hervor und verziehe schmerzhaft das Gesicht. Seine Hand ruht immer noch an meinem Handgelenk, die andere auf meinem Bauch, was mich gerade echt beruhigt.

„Ah, da kommt ja schon Doktor Müller." Ich höre schnelle Schritte und kurz darauf tritt ein Arzt in mein Sichtfeld. Doktor Sexy!

Er lächelt mich aufmunternd an und sagt dann:„Na was machen Sie denn für Sachen?" Er nimmt meine Hand und zählt stumm den Puls mit, der sich durch sein Erscheinen wieder etwas beschleunigt hat. Er schaut mir die ganze Zeit in die Augen und befragt den Pfleger dann kurz nach der Anamnese. Dieser kratzt sich daraufhin verlegen den Nacken.

„Ähm, also das hab ich wohl vergessen. Es tut mir leid!" Er fängt an zu stottern und schaut bedrückt auf den Boden. Gerne hätte ich ihn mit meiner lieben Art geholfen, doch in der Situation ist das leider undenkbar.

Doktor Müllers Blick wird ernster. „Das hätte Ihnen wirklich nicht passieren dürfen, aber Sie können froh sein, dass ich die Patientin kenne." Mit einem kurzen Blick zu mir sagt er:"Pfleger Maik ist noch in der Ausbildung bzw. lernt das alles noch. Aber ich danke Ihnen trotzdem. Sie haben sich um die Patienten gekümmert und das steht erstmal an erster Stelle."

Er lächelt ihn an und wendet sich dann wieder an mich. „Ich bringe Sie jetzt ins Behandlungszimmer, damit ich Sie genauer untersuchen kann, Okay?"

Ich finde langsam meine Stimme wieder. „Und was ist mit den Kleinen?"

„Keine Sorge, der Clown ist gerade da."

Er zwinkert mir zu und bedankt sich bei dem Pfleger, der eine Liege geholt hat. „Danke Maik. Ich denke Sie können jetzt gehen." Doktor Müller lächelt dem Mann zu und schiebt mich dann in einen Untersuchungsraum.

Meine Aufregung steigt. Der Arzt merkt dies und lächelt beruhigend. „Keine Sorge, ich werde Ihnen nicht wehtun. Trotzdem hab ich noch schnell ein paar Fragen. Maik hat mir vorhin erzählt, Sie hätten Bauch- und Kopfschmerzen?" Ich nicke nur ganz leicht mit dem Kopf. „Okay. Haben Sie genug getrunken?" Sein Blick bohrt sich tief in meinen. Ich räuspere mich und sage:"Ich denke schon. Also schlecht war mir schon im Kindergarten. Da habe ich auch ziemlich lange draußen in der Sonne gesessen."

Der Mann nickt. „Das hört sich für mich ganz nach einem Sonnenstich an." Er nimmt eine kleine Taschenlampe in die Hand. „Trotzdem werde ich dem nachgehen." und leuchtet mir kurz in die Augen. Zufrieden nickt er und tastet dann meinen Bauch ab, genau wie der Pfleger vorhin. Bei ihm fühlt es sich jedoch deutlich professioneller an. „Entspannen Sie sich. Ich bin vorsichtig." Doktor Müller lächelt mir zu und lässt seine Hände über meinen Bauch wandern. „Sehr schön. Auch hier ist alles in Ordnung."

Er wendet sich von mir ab und bereitet etwas vor, was ich leider nicht sehen kann.

Zum Vorschein kommt eine Zugangsnadel, was mir fast die Lust zum Atmen nimmt, als er sich umdreht. Er bemerkt meinen panischen Blick und umfasst meinen Arm sanft. Ich ziehe ihn wieder weg und kneife die Augen fest zusammen. Ich zittere am ganzen Körper und habe das Gefühl, mich übergeben zu müssen.

Der Arzt greift nach meiner Hand und drückt sie sanft. „So schlimm?" In seiner Stimme schwankt Mitgefühl mit und seine blauen Augen schauen mich sanft an. Ich nicke nur peinlich berührt über meinen kleinen Aufstand.

Er lässt seine Hand weiter nach oben wandern und sagt mit beruhigender Stimme:"Das geht wirklich ganz schnell. Und danach geht es Ihnen besser.", versucht er auf mich einzureden.

Ich sehe ihn an und weiß nicht was ich tun soll. „Vertrauen Sie mir." Wieder lächelt er und streicht hauchzart über meinen Oberarm.

„Okay", hauche ich schließlich, obwohl ich weiß, dass gar nichts okay ist.

Der Arzt nickt zufrieden. „Gute Entscheidung. Ich zähle bis 3. 1...2..." und schon spüre ich einen kurzen Schmerz, obwohl er die 3 noch nicht ausgesprochen hat.

Mein vernichtender Blick bringt ihn zum Lachen. Er verabreicht mir Flüssigkeit und Schmerzmittel und lächelt mich dann glücklich an. „Sie haben es geschafft. Gleich wird es Ihnen besser gehen." Er räumt die Sachen zusammen, während ich noch immer auf der Liege lege.

Die Schmerzen werden besser und ich merke, wie es mir nach kurzer Zeit wieder relativ gut geht. Ich richte mich langsam auf und beobachte den Arzt, der sich lächelnd zu mir umdreht. „Sie sehen schon wieder viel besser aus." Sein Blick gleitet über mich und er nickt zufrieden. „Ich lasse die Infusion noch vollständig durchlaufen, dann bringe ich Sie nach Hause. Es ist wichtig, dass Sie sich jetzt ausruhen."

Ich werde rot vor Scham. „Sie müssen mich doch nicht nach Hause fahren. Der Weg zum Kindergarten ist nicht weit. Das schaffe ich schon."

Sein Blick verdunkelt sich etwas. „Keine Widerrede. Ich habe jetzt eh gleich Mittagspause." Er räumt den Raum weiter auf und stöpselt mich dann ab. „Auf gehts. Ihre Kollegin weiß schon Bescheid."

Ich bleibe sitzen und schüttel den Kopf. „Ich lasse sie nicht alleine mit den Kleinen zurückgehen."

Der Mann seufzt laut. „Okay. Dann komm ich eben mit. Warten Sie hier, ich bin sofort wieder da." Er lächelt mich sexy an und verlässt mit einem Zwinkern den Raum.

Was war DAS denn? Ich lasse mich aufstöhnend nach hinten fallen und verstecke mein rotes Gesicht hinter meinen Händen.



Danke@FreyaStein85 für die Unterstützung und die Titelidee!

Danke @Soulsister111 für das schöne Cover!

😇


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