3. ...wiederholen...wiederholen...

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Seit einigen Wochen ist jeder Tag gleich. Immer der selbe Ablauf.
Ich parke mein Auto links neben dem Spielplatz, um die wenigen Schritte zum Krankenhaus zu Fuß zu laufen.
Der Himmel ist blau, die Sonne blickt hier und da zwischen den Wolken hindurch, ein leichter Wind weht und verwuschelt meine Haare. Sie sind schulterlang. Jede Strähne liegt perfekt auf meinen Schultern. Nie dürften sie zu kurz sein.

So bin ich. Perfektionistisch. Seitdem ich meinen Alltag mit diesen Krankenhausbesuchen meistern muss.

Die weißen Fahnen des Krankenhauses flattern im Wind. Es sind vier. Nicht eine mehr oder weniger. Wie immer.

Ich betrete das Gebäude durch die riesige Glastür. Sofort steigt mir der typische Geruch nach Desinfektionsmitteln in die Nase, der ein beißendes Gefühl hinterlässt. Noch immer habe ich mich nicht daran gewöhnt. Werde ich wahrscheinlich auch nie.

Ich gehe an den zwei roten Aufzügen vorbei und linse nach links. Zwei Frauen sitzen am Empfang.
Es sind immer zwei. Wie jede Woche.

Ich lasse die Aufzüge hinter mir und steuere das Treppenhaus an. Gehe exakt 43 Stufen. Vorbei an der gelben, roten und blauen Station, bis ich die grüne Tür öffne, die mich in den Bereich des Krankenhauses führt, in dem die Komapatienten liegen. Grün, die Farbe der Hoffnung...

Meine Füße biegen nach links ab, 25 Schritte geradeaus, eine Drehung nach rechts, dann vorbei an dem Schwesternzimmer. Drei Türen weiter stehe ich vor der grünen Tür. Ich greife nach der Klinke und trete hinein.

„Hallo Oma, ich bin's. Louise". Vor einigen Wochen hat sich meine Stimme noch gebrochen, traurig, verletzlich und rau angehört, als hätte ich tagelang nichts gegessen und getrunken.

Der Raum ist typisch für ein Krankenhaus eingerichtet. Weiße Wände, weiße Möbel und weiße Vorhänge. Da können noch nicht mal die bunten Blumen auf dem Nachttisch die Stimmung heben.

Das einige Geräusch ist ein Piepsen der Überwachungsgeräte.

Ich tausche die noch schönen Blumen gegen einen neuen Strauß und werfe sie in den blauen mit einem Müllbeutel bedeckten Mülleimer.

Es ist immer der selbe. Tulpen. Drei rote, zwei gelbe und drei orangene. Die Lieblingsblumen meiner Oma, die immer im Garten blühten.

Ich ziehe mir den Stuhl ans Bett und setze mich, greife nach ihrer Hand, die ausgestreckt auf der blütenweißen Bettdecke liegt. Genau wie die andere Hand. Wie jedes Mal. Ihre Haut ist kühl, doch das lässt mich nicht davon abhalten, sie fest mit der meinen zu umschließen.

Jetzt sitze ich hier, schaue auf meine Oma, die einzige Person, die ich noch habe.

Nach exakt 35 Minuten löse ich meine Hand und stelle den Stuhl akkurat an seinen Platz. Meine Begrüßung ist das einzige, was in diesem Raum meinen Mund verlässt. Ansonsten sitze ich schweigend auf dem unbequemen Stuhl. Ich werfe noch ein letztes Mal einen Blick auf sie, bevor ich das Zimmer verlasse.

Ich gehe die selbe Anzahl an Schritten wieder zurück, sodass ich schließlich unten ankomme. Auf dem Weg ist mir niemand entgegen gekommen. Kein Personal, kein weiterer Besuch.

Als ich die roten Fahrstühle und den Empfang hinter mich gelassen habe, trete ich nach draußen und renne zu meinem Auto, um nicht total durchgeweicht zu werden. Der Himmel ist bedeckt von grauen Wolken, Regen prasselt literweise von oben herunter.

Außer Atem falle ich in den Sitz, wische mir die nassen Haare aus dem Gesicht und schnalle mich an.

Lasse diesen Ort hinter mir. Die grüne Station, den weißen Raum, die roten Aufzüge, die Flaggen vor dem Krankenhaus, meine Oma.

Nächste Woche komme ich wieder. Genau um 15 Uhr.
Genau auf diesem Parkplatz links neben dem Spielplatz.
So wie immer.

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