Trauer, die tiefer ist als jeder Ozean

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Ich hob den Zettel auf, es war ein Foto. Darauf war eine glückliche Familie zu sehen, alle lachten unbeschwert. In der Mitte war Emir. "Ich würde die alle gerne kennen lernen", dachte ich und schmunzelte. Beim nächsten Treffen wollte ich das Bild zurückgeben, es war ihm sicher wichtig.

---*4 Monate später*---

"Und? Wie war dein Tag?", erkundigte ich mich. Emir antwortete mir mit seinem süßen Akzent: "Gut, jetzt wenn du da bist." "Du alter Schleimer! Ich muss kurz ins Bad.", lachte ich. Entsetzt sah er mich an: "Iiiiich? Schleimer? Niemals!" Kichernd verschwand ich im winzigen Badezimmer, es war ziemlich altmodisch, doch es tat seinen Zweck und reichte vollkommen aus. Emir konnte froh sein diese Wohnung im Asylheim bekommen zu haben. Das war nicht so selbstverständlich für einen gewöhnlichen Flüchtling.

Als ich wieder in die Wohnküche kam, saß Emir zusammengesunken auf einem alten, zerkratzen Stuhl. Er hatte den Kopf auf den Handflächen gestützt und seufzte. Man konnte seine Trauer richtig spüren, sofort wurde mir kalt, ich fröstelte. Besorgt lies ich mich auf den anderen Sessel fallen, legte meinen Arm um seine Schulter und drückte mein Gesicht gegen seinen kräftigen Oberkörper. Er duftete nach dem Aftershave, das ich ihm gekauft hatte. Zehn Minuten verharrten wir in dieser Postition. Da fragte ich ihn was los sei. Emir holte tief Luft, drehte sich zu mir, mit Tränen in den Augen, und umarmte mich. "Ich vermisse sie so sehr...", flüsterte er und begann zu schluchzen. Ich merkte sofort: Dies war kein normaler Kummer, dies war eine gewaltige Trauer, die sich monatelang angestaut hatte und es benötigte Stärke, diese Emotionen so offen zu zeigen und sich einfach gehen zu lassen. So etwas ist sehr selten, so etwas sollte man schätzen

Mein Blick wanderte auf den Tisch und ich sah das vergilbte Foto von Emir und seiner Familie. Ich hatte immer vergessen es ihm zurückzugeben, anscheinend war es mir aus der Tasche gefallen und er hatte es gefunden. Was für ein Schmerz das sein musste, seine Familie an einen sinnlosen Krieg verloren zu haben. Ganz alleine auf der Welt zu sein. Emirs Geschichte ist so düster, er verdeint etwas besseres, etwas das viel besser ist als diese kranke Welt. Und das versuche ich ihm mit meiner Freundschaft zu geben,  ein klein wenig Glück und Zufriedenheit. Ich wollte ihm seine Trauer, die tiefer ist als jeder Ozean eine Ziet lang vergessen lassen.

Nach einer halben Stunde hatte Emir sich beruhigt, ich lächete ihn an und drückte ihn nochmal ganz fest. "Jetzt ist der richtge Zeitpunkt für eine Riesenportion Schokladeneis!", sagte ich, stand auf und holte welches aus dem Tefkühlfach. Im Vorbeigehen nahm ich zwei Löffel und steckte sie mitten ins Eis. Doch Emir wollte nichts essen. "Du wirst jetzt kosten!", sprach ich  streng und versuchte böse zu schauen. Mein Aufmunterungsversuch klappte und Emir lachte kurz auf, doch gleich darauf blickte er wieder so traurig wie nach 7 Tagen Regenwetter. Ich konnte das nicht mitansehen und begann ihn zu kitzeln. Das war seine größte Schwäche. Endlich lies er sich mitreißen und wollte es mir heimzahlen, kichernd lief ich davon und schnappte mir ein Kissen. Ich stieß es ihm in den Bauch und er erwiderte meinen Schag mit einem anderen Polster.

Nach einiger Zeit fanden wir uns prustend, lachend und außer Atem auf dem Bett wieder. Ich holte zu einem neuen Stoß aus, doch Emir hielt mich am Arm fest und zog mich zur Seite. Plötzlich lag ich auf seinem Bauch überrascht sah ich ihn an. Er erwiderte meinen Blick und grinste, unweigerlich musste ich zurücklächeln. Eine Weil sahen wir uns nur an, seine tiefgrünen Augen waren wunderschön. Unsere Lippen waren nur Millimeter von einander entfernt, mein Atem ging nur noch flach. Ich schloss meine Augen, ein heißes Prickeln lief durch meinen Körper und ich bekam Gänsehaut als sich unsere Lippen berührten.

Wie buchstabiert man Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt