Janas Geheimnis: Lust und Leid

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Der nächste Tag wird von Distanz geprägt. Schon am Morgen ist an Janas Gesichtsausdruck klar zu erkennen, dass sie am vorigen Abend wahrscheinlich zu viel von sich verraten hat. Sie vermeidet es, allein mit mir zu sein, ja sogar in meine Augen zu blicken. Ich möchte nicht aufdringlich sein, spiele mit und lasse ihr Raum. So ergeht es auch am darauffolgenden Tag. Gegen Mittag kommt ihr Mann wieder, einige Stunden später höre ich mit, wie er sich wundert, dass Jana wieder joggen geht. Ich muss schmunzeln. Den Grund wird er sich wahrscheinlich nie träumen lassen.

Das Wochenende verläuft harmlos. Tagsüber spiele ich mit den Kindern und helfe im Garten, abends plaudern wir und trinken ein paar Bier. Was mir bislang noch nie aufgefallen ist: die Chemie zwischen Jana und ihrem Mann. Keine kleinen Umarmungen, keine Küsschen hier und da, keine Späße. Als wären sie kein Paar, sondern nur Freunde. Bin ich die Ursache hierfür? Oder nur das Ergebnis dessen? Ich gehe in mich. Dieses kühle Nebeneinander (statt einem warmen Miteinander) erinnert mich zu sehr an meine eigene Ehe...

Am Sonntagabend – wir unterhalten uns wieder und öffnen ein-zwei Flaschen Wein – verabschiedet sich Janas Mann früh aus der Runde und geht ins Bad. Jana, die mir seit Tagen aus dem Weg geht, bleibt. Endlich blickt sie mich an und ich darf wieder in ihre grünen Augen sehen. Dieses Funkeln hat mir schon gefehlt. Was uns beiden noch mehr fehlt, ist Reden. Sie lässt sich das Glas voll machen, trinkt einen großen Schluck und beginnt.

„Ich musste das mal ein bisschen sacken lassen. Was du wieder angestellt hast, was du schon wieder angekratzt hast."

Ihre Stimme klingt vorwurfsvoll, aber trotzdem weich, fast dankbar.

„Etwas war jetzt anders. Du warst viel intensiver, irgendwie viel tiefer in deiner Lust."

Sie lacht höhnisch auf.

„Habe ich Unrecht?", frage ich.

„Habe ich schon erwähnt, dass ich dich hasse?", stellt sie die rhetorische Frage, ohne auf eine Antwort zu warten. „Manchmal wäre es besser, eine Gelegenheit nicht zu nutzen, nein zu sagen, sich zurückzuziehen."

„Man bedauert am Ende immer das, was man nicht gemacht hat", muss ich entgegnen.

Jana legt das Glas weg und schaut mir tief in die Augen. Ernst. Sehr ernst. Ihr Näschen ist leicht gesenkt, sie ist also nicht auf Krawall gebürstet.

„Die Situation war echt", sagt sie leise.

„Ich verstehe nicht."

Sie atmet genervt aus.

„Was jetzt anders war, hast du gefragt. Die Situation. Der Umstand. Bislang war es immer nur ein Spiel. Wir sind in Rollen geschlüpft wie in einem Puppentheater. Ich sage nicht, dass es nicht seinen Reiz hat, aber wenn es echt ist, real, nicht gespielt, nicht choreografiert, dann ist es so richtig... hmm..."

Sie nimmt wieder das Weinglas in die Hand.

„Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich konnte ja selber nicht verstehen, warum ich so reagiert habe und warum es gewisse Erinnerungen hochbrachte."

Sie trinkt einen Schluck.

„Ich muss dir jetzt etwas erzählen. Das kostet Überwindung. Also fühle dich geehrt!"

Das tue ich, während sie das halbe Glas in einem Zug leer trink.

„Du weißt ja, dass ich zwei ältere Brüder habe. Der eine drei, der andere sechs Jahre älter. Sie haben mich allerdings nicht wie eine Prinzessin behandelt. Na ja, ich war schon immer eine Freche. Ich wusste, wie ich sie ärgern konnte, gegeneinander und gegen unsere Eltern ausspielen. Nur waren sie eben stärker als ich und ab einem gewissen Alter, ich dürfte so 10 oder 11 gewesen sein, meinten unsere Eltern, sie müssten mich nicht mehr beschützen, die Kinder sollten es untereinander ausmachen. Da begann es, dass sie sich für alles revanchierten, was ich verbrochen hatte. Es verging kaum keine Woche, in der mich nicht mindestens einer der beiden geschnappt hätte. Ich konnte mich schon einigermaßen wehren: kratzen, zwicken, beißen, um mich herum schlagen. Sie mussten also meine Hände gut festhalten, darin hatten sie schnell Übung. Und dann bekam ich es."

EingeschneitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt