Im Camp herrschte Chaos. Von überall her hörte man Detonationen, am Himmel hörte man Hubschrauber kreisen, ihre Lichter durchbrachen gespenstisch den Nebel. Die Menschen schrien und versuchten aus der Gefahrenzone zu flüchten. Anscheinend umkreisten Soldaten das Camp. Zee lief voraus und achtete nicht auf David. Ein Feuer hatte große Teile des Lagers zerstört , das ihnen letzte Nacht noch zum Schlafen gedient hatte. Zee hastete aufgelöst hin und her, griff nach ihrem Rucksack und sah sich gequält um. Ohne Rücksicht auf David zu nehmen, stürmte sie los, David blindlings hinterher. Sie rannten und rannten. Der Lärm war ohrenbetäubend und sie hatten keine Möglichkeit sich zu verständigen. Zee stolperte in der Dunkelheit vorwärts, die immer wieder von Explosionen erhellt wurde. Nur weg von hier. Soldaten kämpften in der Nähe, doch Zee fand sicher einen Weg durch das enge Geflecht aus Feinden. Der Lärm machte es ihr noch einfacher. Immer wieder kratzten die trockenen, blattlosen Äste ihre Haut im Gesicht und den Händen auf. Der Schmerz half ihr, sich zu konzentrieren. Sie mussten sich in Sicherheit bringen und die anderen finden.
Das Camp fiel immer weiter hinter ihnen zurück. Noch lange waren sie nicht in Sicherheit. Diesmal war es ein ganz großer Angriff. Das Militär sollte die Menschen im Camp komplett auslöschen, Gefangene zu machen, war hier keine Option und sicherlich würden sie alles daran setzen, niemanden entkommen zu lassen. Wie hatten sie das Camp nur finden können?
Natürlich war ihr klar gewesen, dass so ein großes Camp früher oder später auffliegen würde. Aber sie hatte nicht so schnell damit gerechnet. So unvorbereitet. Und jetzt rannte sie, wieder einmal, um ihr Leben. War David noch hinter ihr? Sie warf einen Blick zurück. Er hielt Schritt mit ihr, was sie wirklich wunderte. Sie konnte ihn kaum sehen, aber sie hörte seine sicheren Schritte. Mittlerweile waren sie in eine Art gleichmäßigen Dauerlauf übergegangen. Das hohe Tempo war auf eine längere Strecke nicht zu halten. Sie fragte sich, wie lange sie würden laufen müssen bevor sie eine Pause einlegen konnten. Und so lief sie einfach weiter, mit David im Schlepptau."Zee, jetzt warte doch mal!" David schloss zu ihr auf. "Jetzt wart mal, lass uns eine Sekunde Luft holen. OK?"
"Wir müssen hier weg. Ich kann den Lärm noch hören und sie werden bestimmt die Wälder durchsuchen. Also nein, keine Pause."
"Aber du weißt doch gar nicht, in welche Richtung wir laufen. Und wohin die anderen gelaufen sind, wissen wir auch nicht."
"Wir werden sie suchen. Und wir werden sie finden und jetzt spar dir die Puste fürs Laufen."
Zee war beeindruckt, wie leicht ihm das Laufen fiel, obwohl er sich beschwerte. Selbst wenn er sprach, war keine Spur davon zu hören, ob er außer Atem war.Also liefen sie weiter. Planlos, ziellos, orientierungslos. Zee hoffte, Natha könne sie irgendwie aufspüren oder ihr Signale senden. Sie wusste nicht, wie stark Nathas telepathische Kräfte waren und wie weit ihre Signale reichten. Vielleicht wäre es auch Ben möglich, sie irgendwie aufzuspüren. Dies waren die wenigen Momenten, in denen sie es verfluchte, ein Feuer-Element zu sein. Telepathische Kräfte waren für Feuer-Elemente einfach nicht drin. Und jetzt musste sie sich auch noch mit David rumschlagen. Er hatte wirklich gut reagiert, das musste sie ihm lassen und er hatte ganz klar signalisiert, auf wessen Seite er stand. Aber sie traute ihm trotzdem nicht. Vielleicht wollte er wirklich niemanden verraten oder ausliefern, aber zu leicht könnte die Regierung die nötigen Informationen aus ihm herausprügeln oder ihn sogar foltern. Sie fragte sich, wie lange er so einer Behandlung wohl stand halten könnte.
Ihr war sein athletischer Körperbau durchaus aufgefallen. Er war nicht protzig muskulös, aber unter seinem Shirt zeichneten sich die Muskeln durchaus ab. Er war sich seiner Anziehungskraft wahrscheinlich gar nicht bewusst und Zee erschrak über diesen Gedanken. Anziehungskraft? Hatte sie das wirklich gedacht? Sie verdrängte den Gedanken und lief weiter. Sie musste das Tempo stark drosseln, da sie wirklich kaum noch etwas sehen konnte. Die Geräusche aus dem Camp lagen weit hinter ihnen. Hin und wieder hörte sie Hubschrauber in der Nähe.
Gefühlte zehn Stunden später liefen sie in der einsetzenden Dämmerung bei normalen Schritttempo weiter. David schwieg. Sie dachte besorgt an die anderen und vor allem an ihre Schwester. Sie hatte Fenya seit gestern Abend nicht mehr gesehen. Als sie mit Ben zur Wache aufgebrochen war, hatte Fenya bereits auf ihrem Lager gelegen und geschlafen. Sie hatte in letzter Zeit nicht viel mit ihr gesprochen. Fenya war so völlig anders als sie. Ihre Schwester war so aufgeschlossen und sozial und mitfühlend. Qualitäten, die Zee anscheinend fehlten. Fenya ließ sich gerne umsorgen und in die Arme nehmen und gab diese Zuneigung mit gleicher Großzügigkeit zurück. Zee hoffte plötzlich mit einer Heftigkeit, die ihr völlig unbekannt war, ihre Schwester wohlbehalten wiederzusehen.
"Lass und eine Pause machen." Zee blickte zu David und fragte sich, wie lange er wohl noch weiter gelaufen wäre. Seine Blessuren vom Sturz waren sicherlich noch nicht richtig verheilt und mussten noch weh tun. David stützte sich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab und sah sie von unten herauf an. "Ich dachte schon, du bist ein Roboter. Gehen dir nie die Kräfte aus?"
"Doch, jetzt. Also lass uns eine Pause einlegen."Sie setzten sich an Bäume gelehnt auf den feuchten Waldboden. Die Dämmerung verhieß einen regnerischen Tag und die verflixten Nebelschwaden würden sich bestimmt den ganzen Tag halten und ihnen die Sicht erschweren.
"Wie gehts jetzt weiter? Hast du einen Plan?" Zee zuckte mit den Schultern.
"Nicht wirklich. Ich weiß nur, dass wir aus diesem Wald heraus müssen. Wir brauchen auch was zu Essen."
"Wenn ich wüsste wo wir sind, könnte ich vielleicht was zu Essen auftreiben."
Zee zuckte erneut mit den Schultern. Um ehrlich zu sein, hatte sie völlig die Orientierung verloren, aber das wollte sie auf keinen Fall vor David zugeben.
"Wir laufen einfach weiter. Vielleicht stoßen wir auf eine Straße."
"Was hat Ben gemeint, als er sagte, eure Kräfte seien geschwächt?"
Zee blitzte ihn an.
"Nun komm schon, Zee. Findest du nicht, dass ich mal ein paar Infos verdiene?"
"Wie Ben schon sagte, unsere Kräfte sind geschwächt."
Es bereitete ihr Unbehagen, David so persönliche Dinge zu erzählen. Er war keiner von ihnen. Er verstand es wahrscheinlich sowieso nicht.
"OK. Geschwächt. Verstanden. Wieso?"
Sein Blick durchbohrte sie geradezu.
"Ich weiß es nicht."
"Du weißt es nicht?" David schien verblüfft.
"Wie kannst du das nicht wissen?
"Ich weiß es nun mal nicht." Aufgebracht stand sie auf.
"Wenn du hier keine Wurzeln schlagen willst, sollten wir wohl weiterlaufen."Der Regen setzte am frühen Vormittag ein und durchnässte beide bis auf die Knochen. Zee versuchte die Wärme so gut es geht auf sie beide zu verteilen, was sie aber enorm viel Anstrengung kostete.
David beschwerte sich nicht, was ihr nur Recht war. Doch sie nahm seine aschfahle Gesichtsfarbe wahr und fragte sich, ob das wirklich nur an den durchnässenden Regenschauern lag.
Bevor sie ihn darauf ansprechen konnte, strauchelte er und stürzte zu Boden..
"Ich... mein Kopf... ich .... er ... Schmerz... " Und dann sank er bewusstlos zu Boden.Verdammt, warum musste das ausgerechnet jetzt passieren? Zee zog David unter dicht stehende Fichten, die den Regen abhielten. David glühte und seine Augenlider zuckten wie bei einem Albtraum. Seine Kopf lag an ihrer Schulter und sie hoffte, dass der Schlaf half. Die Müdigkeit überrollte jetzt auch Zee und bevor sie es überhaupt begriff, war sie ebenfalls eingeschlafen.
Als Zee erwachte, lag David immer noch schwer atmend neben ihr. Er blickte sie an: "Hey."
"Hey. Wie lange bist du schon wach?"
"Ich weiß nicht. Ich hab Hunger."
"Ja, ich auch. Kannst du weiter?"
David nickte und raffte sich langsam auf. Er reichte Zee seine Hand und sie ließ sich von ihm hochziehen. Die Wärme seiner Hand durchfuhr sie wie Sonnenstrahlen, doch das Zittern nahm sie trotzdem wahr.
"Lass uns endlich einen Weg aus diesem bescheuerten Wald finden."Nach erneut einem halben Tag Fußmarsch trafen sie endlich auf eine Straße. Der Weg kroch kurvig und einsam in dem immer lichter werdenden Wald voran. Die beiden schleppten sich Schritt für Schritt vorwärts und versuchten, den Hunger zu ignorieren. Hin und wieder stolperte Zee über ihre eigenen Füße und ein oder zwei Mal griff sie instinktiv nach David.
Und jedesmal ergriff er ihre Hand und ließ sie nicht fallen.
Und dann endlich sahen sie ein Dorf.
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The Unknown Element
FantasíaAls David zum ersten Mal in Zees Gesicht blickt, scheint alles einen Sinn zu ergeben. Doch warum muss ausgerechnet der Mensch, zu dem er sich so hingezogen fühlt, ihn töten wollen? WEITERE KAPITEL IN BEARBEITUNG!