Kapitel 6

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Kapitel 6
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Ausbruch

Ich schnappte mir den einigermaßen großen, eisernen Briefbeschwerer vom dunklen Mahagonitisch und wog ab, ob er schwer genug war, um ein Fenster in seine Einzelteile zerlegen zu können.

Unterlagen und geöffnete Briefe rutschten dabei vom Pult und landeten federleicht auf dem hellen Teppichboden, welcher sich unser Direktor hat maßschneidern lassen. Ein purer Luxus im Gegensatz zu unseren schäbigen Klassenzimmern; fleckige Linoleumböden, bekritzelte Holztische und muffige Holzdielen.

„Was hast du vor?", es war nur ein Hauchen, welches Chelsea von sich gab, zu verstört von der Tatsache, dass unser eigentlich toter Lehrer spurlos verschwunden war.

„Wir müssen hier raus." Ich sah sie an. Sah jeden von ihnen an. Und jeder einzelne versuchte sich etwas zu erklären, dass unmöglich war.

Doch  die Zeit zum Nachzudenken und Grübeln hatten wir nicht. Starren und schockiert Dastehen brachte ihn nämlich nicht wieder zurück.

Er war weg und das sollten wir auch sein.

Mit einem letzten Blick auf den Fleck vor der Heizung, der sowohl aus Schweiß als auch Urin bestehen könnte, drängte ich mich an meinen Mitschülern vorbei. Sie standen wie angewurzelt da; als warteten sie darauf, dass eine erlösende Antwort vom Himmel fiel.

„Kommt jetzt.", sagte ich und war gefasster als ich gedacht hätte.

Obwohl das komische Gefühl im Magen blieb und ich mich fühlte, als wäre es Sommer und Winter zugleich, zwang ich mich dazu wenigstens für ein paar Minuten einen kühlen Kopf zu bewahren.

Ich verließ den seltsam atmosphärischen Raum und verbannte das Bild von dem regungslosen Mister Wright aus meinen Gedanken.

Weg ist weg, dachte ich mir, denk' einfach nicht viel drüber nach.

Cameron schüttelte leicht den Kopf, als wäre er aus einem Tagtraum erwacht und strich Theresa mit der Hand kurz über den Rücken. „Du hast sie gehört, lass uns von hier verschwinden."

Sie löste sich aus ihrer Starre und verbannte den Ausdruck des blanken Entsetzens aus ihrem Gesicht, forderte dann ihre Freundinnen auf, ebenso mitzukommen.

Samuel zog die kreidebleiche Chelsea am Ärmel aus dem Raum, nachdem sie der Aufforderung nicht direkt nachkam. Sie folgten mir unwillkürlich.

Luke hockte am Geländer der Treppe, welche nach unten zur Eingangshalle führte. Er hatte die Hände in seinen Straßenköter-blonden Haaren vergraben und wirkte mehr verstört als besonnen.

Als er uns bemerkte, rappelte er sich augenblicklich auf und man erkannte, wie gestresst er sich fühlte. Doch er schien irgendwie ein Talent dafür zu haben, es hinter einer gelassenen Fassade zu verstecken.

„Ich hoffe, wir hauen jetzt ab. Ich bleibe ihr keine Sekunde länger.", entgegnete er und klopfte sich den Staub von der Hose.

Ich nickte und hatte den Briefbeschwerer fest in der Hand.

Zeit für einen Ausbruch.

Nur war die Umsetzung leider nicht ganz so durchdacht, wie die von Michael Scofield; Denn das was wir brauchten, war rohe Gewalt.

„Aufpassen.", meinte ich vorwarnend, als wir uns erneut vorm verschlossenen Eingang befanden und ich den eisernen Klotz in meiner Hand wiegte.

Sie nahmen alle ein Schritt Abstand von mir, als hätte ich eine Bowlingkugel in der Mache, die im nächsten Moment in die entgegengesetzte Richtung fliegen könnte.

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