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seoul

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seoul. montag, der 13. september. 06:17 uhr.

. DIE ABGASE der Autos hingen tief in Namjoons Lungen, obwohl seine Laufstrecke größtenteils entfernt von großen Straßen verlief. Seine Knöchel schmerzten wegen des harten Untergrunds und seine Glieder schienen eigentlich noch immer zu schlafen, aber er schenkte seinem Körper keine Aufmerksamkeit. Stattdessen lief und lief er nur immer weiter, und versuchte, seinen Kopf so klar wie den Himmel über sich zu bekommen. Er wünschte, das helle Blau würde in seinen Schädel dringen und alle seine Gedanken daraus fort spülen.

In die Albträume von seinem Vater, dessen Schlägen und Schreien, dessen Verschwinden und Fehlen, hatte sich Hoseoks Gesicht gemischt. Wenn Namjoon aufwachte, wusste er manchmal nicht mehr, welcher der beiden für welche der Narben an seinem Körper und in seinem Herzen verantwortlich war. Im Schlaf verschmolzen die beiden zu einer Person und erfüllten ihn mit nichts als zittriger, bitterer Verzweiflung. Er wusste, dass er keinem von ihnen mehr in die Augen sehen konnte.

Eigentlich war ihm klar, dass man Hoseok in keinster Weise mit seinem Vater vergleichen konnte ― einen Schuljungen mit einem Straftäter, ein reicher Sohn mit einem armen - und erbärmlichen - Vater; der Junge, der Namjoon am meisten Freude bereitet mit dem Mann, von dem er nur Leid bekommen hatte.
Aber für ihn erschienen seine Erinnerungen an Hoseoks in diesen Tagen doch gleichsam schmerzhaft. Es war, als wäre ein Dolch in sein Herz getrieben worden, der es schließlich spalten würde und je mehr Namjoon über Hoseok nachdachte, desto tiefer drang er in seine Brust.

Die Sonne stand schon zu hoch am Himmel. Eine Uhr an einem Parkautomaten bestätigte ihm, was er schon längst wusste. Er war zu spät. Seine Hände begannen zu zittern, aber er blieb nicht stehen. Nichts in der Welt hätte ihn dazu bringen können, anzuhalten. Stattdessen erhöhte er sein Tempo nur noch weiter; er drang vor in Gebiete der Stadt, in denen er noch nie gewesen war und rannte, bis er sich vor Anstrengung hätte übergeben können.

Namjoon tat das in vollem Bewusstsein über die Konsequenzen. Er wusste, was unweigerlich folgen würde, wenn er nicht rechtzeitig zu Hause eintraf. Seine Mutter verließ sich darauf, von ihm geweckt zu werden. Seine Lehrer hielten es für selbstverständlich, dass er der Erste im Klassenraum war. Seinen Mitschülern würde auffallen, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
Es würde alles zunichte gehen, wofür er so lange gearbeitet hatte; die Fassade, die er so konstant aufrecht gehalten hatte, würde einreißen und die hässliche Wahrheit schließlich ans Licht kommen. Das wusste er, und trotzdem kehrte er nicht um. War es nicht sowieso schon lange zu spät? Immerhin war sein Verhalten Hoseok gegenüber wohl erbärmlicher gewesen, als es all seine Geheimnisse je sein könnten.

Der Gedanke an die Ereignisse am letzten Mittwoch, die darauffolgenden, von Scham geprägten Tage und sein Worte zu Hoseok reichten, um ihn taumeln und stürzen zu lassen.
Er fiel auf den asphaltierten Fußweg und stützte sich zwar mit den Händen ab, aber schürfte sich diese und seine Knie blutig. Namjoon verharrte in dieser Position. Nach Atem ringend und doch nur Abgase einatmend hockte er da, kurz überm Boden und hatte das Gefühl, diese Haltung würde besser zu seinem Leben passen, als jede andere. In diesem Moment befand er sich bildlich da, wo er schon all die Jahre lang gewesen war: mitten im Dreck.

SEOUL ― namseokWo Geschichten leben. Entdecke jetzt