4 - Zweifel

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Bis tief in die Nacht hinein hatte ich in meinem Bett gesessen und mit Hilfe meiner Nachttischlampe das Manuskript gelesen. Schon nach einigen Seiten hatte mich die Geschichte so sehr in ihren Bann gezogen, dass ich die fast fünfzig Seiten gerade zu verschlungen hatte. Es war entgegen meiner Erwartung nicht das langweilige Stück von Shakespeare, was wir damals in der 9. Klasse durchgekaut hatten, sondern ein wirklich spannendes und gleichzeitig romantisches Stück, bei dem ich sogar das eine oder andere Mal lachen musste.

Natürlich das Grundgerüst war das selbe: Zwei Jungen aus verfeindeten Familien, die durch einen Zufall aufeinander trafen und sich, wie könnte es anders sein, in einander verliebten. Allerdings war ihre Liebe nicht nur aufgrund ihrer Familien zum Scheitern verurteilt, sondern wohlbemerkt wegen der noch immer herrschenden Homophobie, die auch vor der Kleinstadt, in der die Beiden lebten, nicht Halt machte. Romeo, der Sohn des Pfarrers, der von der konservativen Hand der Kirche großgezogen wurde und Julien, dessen Vater ein gottverleugnender Mann und begeisterter Anhänger der AfD war, seit Jahren darum bemüht seinem Sohn seine Ideologien ein zu prügeln, ähnlich wie es Romeos Vater tat. Sie beiden waren auf eine absurde Weise dem gleichen Schicksal ausgeliefert.

Während ich das Stück las, kam ich nicht umhin mir vorzustellen, wie Michael und ich gemeinsam auf der Bühne standen und dieses Liebespaar spielten. Noch immer konnte ich seinen plötzlichen Sinneswandel nicht verstehen. Immer und immer wieder sendete er mir so widersprüchliche Signale, die in meinem Kopf einfach keinen Sinn ergeben wollten und doch wusste ich tief im Inneren, dass er sich niemals ändern würde. Michael würde für immer ein Idiot bleiben, der mich wegen meiner Sexualität beleidigte, auch wenn er gerade auf dem besten Weg war ein netter Idiot zu werden.

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Irgendwann war ich bei brennender Nachttischlampe und mit dem Manuskript auf dem Schoß in einen unruhigen, traumlosen Schlaf gefallen. Umso mehr erschreckte es mich, als plötzlich aus dem Nichts die schrille Melodie meines Weckers ertönte. Es war nicht der erste Morgen, an dem ich mich zusammenreißen musste, das arme Ding nicht mit voller Kraft gegen die Wand zu pfeffern und einfach weiter zu schlafen.

Nach einiger Zeit der verzweifelten Suche nach etwas Motivation, hatte ich es endlich geschafft mich aus dem Bett zu bewegen und duschen zu gehen. Ich war wie so oft alleine zuhause, meine Mutter war schon lange vor mir aus dem Haus gegangen und meine Geschwister lebten bei meinem Vater, etwa 400km entfernt von mir. Damals, als meine Eltern sich trennten, konnte ich nicht verstehen warum die drei zusammenbleiben durften, während ich von ihnen weggerissen wurde. Mittlerweile hatte ich mich damit abgefunden, hier waren meine Freunde, meine Katze und mein gewohntes Leben. Und selbst wenn ich es hier hassen würde wie die Pest, ich hatte ja doch keine Wahl.

Einsam setzte ich mich an den Küchentisch und aß meine Cornflakes. Ich überprüfte mein Handy auf neue Nachrichten, doch alles was ich fand, war eine „Ich hab dich lieb" WhatsApp Nachricht meiner Mutter. Sie brachte mich zum Schmunzeln, meine Geschwister waren vielleicht zusammen, doch so hatte ich die stärkste Bindung zu meiner Mutter, die wahrscheinlich auf dieser ganzen Welt existierte. Sie war die Erste die von meiner Sexualität wusste, die Erste die von meinem neusten Crush erfuhr und ich war mir sicher, dass ich in Zukunft nicht wenige Nächte damit verbringen würde, mit ihr über die bevorstehenden Proben als Liebespaar mit Michael zu grübeln.

Grade wollte ich mein dreckiges Geschirr in die Spüle stellen, als der übliche Piepton meines Handys ertönte. Ich griff danach und hatte, nicht wie erwartet eine Nachricht meiner Mutter oder von Manuel auf dem Handy, sondern die einer unbekannten Nummer. ‚Hey, tut mir leid wegen neulich in der Jungstoilette, das war wirklich nicht okay von Michael. Hast du Lust dich mal auf einen Kaffee zu treffen? Der alten Zeiten wegen?'

Mir fiel nur eine Person ein, die diese Nachricht geschrieben haben konnte. Palle. Es war ja schon irgendwie süß, dass er sich noch immer Gedanken um den Zwischenfall auf der Toilette machte. Und er schien sich im Gegensatz zu früher wirklich geändert zu haben, immerhin hatte er mich auch vor Michael nicht verraten. Möglicherweise plagte ihn jedoch nur sein Schlechtes Gewissen, über das, was vor wenigen Jahren zwischen uns vorgefallen war. Ich würde es wohl niemals erfahren. Außer...Ich beschloss auf sein Angebot einzugehen. Schnell tippte ich eine Nachricht und wir verabredeten uns für den kommenden Samstag im Café Immergrün. Bei der Vorstellung nach all der Zeit wieder mit ihm allein zu sein wurde ich augenblicklich nervös. Ja, er schien sich verändert zu haben. Und doch war da dieser kleine Zweifel, dieses kleine Fünkchen Risiko am Horizont.

Zwei Weiße Rosen - Zomdado FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt