12 - Angst

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„Ich liebe dieses Zeug." Manuel saß neben mir auf einer Mauer vor der Stadtkirche und mampfte genüsslich seine Falafel. Ich hingegen hatte mein Essen bisher kaum angerührt. Mein Magen zog sich zusammen, sobald ich an die Mathestunde zurückdachte.

Natürlich hatte ich begonnen Manuel alle Einzelheiten zu erzählen, doch ich stellte fest, dass er die Meisten schon kannte. Die Hälfte meiner Stufe hatte, noch vor dem Ende der Mathestunde, davon erfahren. Und diese Tatsache sorgte dafür, dass ich mich noch elender fühlte, als ich es ohnehin schon tat.

Während ich also auf das Essen in meinen Händen starrte, das einfach nicht weniger werden wollte, fiel mir auf, dass mir das Schlimmste noch weit bevorstand. „Scheiße", murmelte ich. „Hmm?" „Die ganzen Proben Manu, wie soll ich das überleben?" Ich sprang von der Mauer und lief aufgebracht hin und her. „Wie soll ich denn spielen in Michael verliebt zu sein nach der ganzen Sache? Ich will diesen Idioten nie wieder sehen und wenn, dann wenigstens nicht mit ihm reden", ich legte meine Kopf in die Hände, „Und ganz nebenbei werde ich das vor all diesen Arschlöchern tun, die mich eh schon fertig machen weil ich schwul bin. Manu, das überlebe ich nicht." Manuel antwortete nicht sofort. Er kaute einige Minuten auf seinem Essen, bevor er schließlich zu sprechen begann. „Du hast keine Wahl, schätze ich." „Danke wirklich, du hilfst mir so weiter." Ich verdrehte die Augen und setzte mich zurück auf die Mauer. „Und ich meine vielleicht ist das auch ganz gut", fuhr er fort, „Du musst seinen Freunden zeigen, dass sie sich ihre dummen Kommentare sonst wohin stecken können. Und du musst Michael zeigen, dass er dich verletzt hat und dass er so nicht mit dir umgehen kann. Das hast du nämlich nicht verdient." Erschöpft ließ ich mich gegen seine Schulter fallen. „Ich weiß."

Eine Weile saßen wir einfach nur schweigend aneinander gelehnt auf der Mauer und starrten ins Nichts. Manu begann, nachdem er bemerkte, dass ich fast mein ganzes Essen übrig gelassen hatte, auch meine Falafel zu essen. Vor meinem inneren Auge liefen währenddessen tausend verschiedene Filme ab, wie die Probe am Freitag verlaufen würde. Eines hatten sie alle gemeinsam. Es würde in einer Katastrophe enden.

Ich wäre wahrscheinlich eingeschlafen, hätte nicht, nach einer Ewigkeit, eine Stimme meinen Namen gerufen. Zu erst dachte ich, ich würde es mir einbilden. Doch dann sah ich wie ich, wie sich Manus Hände zu Fäusten ballten und ich wusste, dass ich es mir nicht eingebildet hatte. Und auch wer meinen Namen rief. Ehe ich mich vorbereiten konnte, stand er vor uns.

„Hey", sagte er leise und ich spürte, wie sein Blick auf mir ruhte. Ich setzte mich wieder aufrecht hin und seine blauen Augen trafen meine. „Was willst du, Michael?" Manuel hatte sich schneller gefangen und funkelte ihn feindselig an. „Ich würde gerne mit Maurice reden." „Maurice möchte nicht mit dir reden." Michael schüttelte den Kopf. „Ich glaube das kann er mir auch selbst sagen oder bist du jetzt sowas wie sein Bodyguard?" Manu wurde immer aufgebrachter und ich schaute nur noch zwischen den Beiden hin und her. „Den hat er ja auch nötig, bei deinen Freunden." Michael seufzte und ließ von Manuel ab. Stattdessen wandte er sich wieder mir zu. „Können wir reden?", fragte er fast schon verzweifelt, „Bitte." Ich nickte langsam und warf Manuel, der noch immer neben mir auf der Mauer saß, einen Blick zu. Kopfschüttelnd stand er auf. „Ich geh schonmal vor." Mein Blick folgte ihm, als er die gepflasterte Straße entlang lief und schließlich hinter der Kirche verschwand.

„Was machst du überhaupt hier?", wandte ich mich wieder Michael zu. „Ich geh hier jeden Tag vorbei", er deutete in die Richtung, in der Manu verschwunden war, „Ich wohne dahinten." „Achso."

Wir schwiegen eine Zeit lang und ich wartete darauf, dass er mir irgendetwas von all dem erklärte. Darauf, dass er irgendetwas sagte, was das ganze weniger schlimm machte, was dafür sorgte, dass ich ihn verstand. Denn ich wollte ihn verstehen. Doch er sagte nichts. Er stand einfach nur vor der kleinen Mauer, auf der ich noch immer saß und sah mich an. Er sah mich einfach nur an.

Nach ewig langen Minuten griff er nach meiner Hand und er zuckte zusammen, als ich sie weg zog. „Tut mir leid", murmelte er. „Was von all dem." „Alles." „Warum hast du es dann gemacht", fragte ich leise, „Warum hast du nichts gesagt?" Er seufzte und griff erneut nach meiner Hand. Diesmal ließ ich es zu. „Ich habe Angst." „Vor deinen Freunden?" „Nein." Unendlich lang sah er mich an, fast als würde er in meinen Augen nach Worten suchen, die seine Angst beschreiben konnten. Ich wagte kaum zu Atmen. Er biss sich auf die Lippen und ich spürte, wie seine Hand in meiner zitterte. „Ich habe Angst", er schluckte, „Ich habe Angst vor mir."

Zwei Weiße Rosen - Zomdado FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt