15 - Kuss

70 17 5
                                    

Unsicher blieb ich im Türrahmen stehen und beobachtete Michael, wie er sich auf sein Bett fallen ließ. Seine Bettwäsche hatte lila Streifen und schlug Falten. Eine seiner Wände hatte einen dunklen Grauton, der Rest war weiß gestrichen und mit Postern von Videospielen beklebt. Ich wusste nicht, wie ich mir sein Zimmer vorgestellt hatte, doch irgendwie passte es nicht zu dem Bild was ich von Michael hatte. In meinem Kopf war alles abgerundet und symmetrisch gewesen. Weiße, leere Wände und dunkle Möbel. Ein Zimmer ohne Persönlichkeit. Das hier hingegen war mit Charakter gefüllt. Einige Kerben am Bettgestell, auf dem Boden verteilte Klamotten und der noch angeschaltete PC auf dem Schreibtisch. Und wo ich nun darüber nachdachte, passte es wirklich gut zu ihm.

„Du kannst dich ruhig hinsetzen", meinte Michael lachend. Vorsichtig verlies ich meinen Platz im Türrahmen und ging zu dem Schreibtischstuhl. „Schönes Zimmer", sagte ich, „sieht nach dir aus." Er musterte mich skeptisch. „Ehm, danke?" Wieder lachte er, jedoch etwas nervöser als vor wenigen Sekunden. Unsicher sah ich mich im Zimmer um und auch Michael wurde nervös, wegen der unangenehmen Stille. „Also", er trommelte mit seinen Fingern auf die Bettkante, „wir wollten uns Gedanken machen." „Über die Kussszene", beendete ich seinen Satz leise. „Genau", er stand auf und lief im Zimmer auf und ab, „Irgendwelche Ideen?" Ich schüttelte den Kopf. „Wie wär's, wenn wir die Szene erstmal lesen? Vielleicht fällt uns dabei etwas ein." Noch während ich sprach kramte ich in meiner Tasche nach dem Text. Zwar verstanden Michael und Ich uns mittlerweile deutlich besser, als zu Beginn der Proben, diese Szene war mir jedoch trotz allem mehr als unangenehm. „Klingt gut." Auch er begann seine Tasche nach dem Text zu durchsuchen und hielt ihn triumphierend in die Höhe, als er ihn schließlich gefunden hatte. „Also, so wie es aussieht sind sie im Garten. Romeo geht an die frische Luft und trifft dort auf Julien, der vor den vielen Fremden ebenfalls nach draußen geflüchtet ist. ", begann ich, doch Michael fiel mir ins Wort. „Also genau das was du auch machen würdest, Julien." Ich verdrehte die Augen. „Fangen wir an?" „Ja okay, am Besten du setzt dich aufs Bett und ich komme von hinten zu dir." Ich ließ mich also aufs Bett fallen und ging meinen Text durch, als Michael hinter mit dem Sprechen begann.

„Wieso bist du hier draußen?"

Seine Stimme klang monoton und ohne Gefühl, als würde er diese Zeile gerade zum ersten Mal lesen – tat er vermutlich auch. Ich schüttelte den Kopf und sprach meinen Text:

„Es sind so viele Menschen und ich kenne keinen von ihnen. Ich wollte nur für einen Moment allein sein."

„Geht mir nicht anders."

Er kam näher und setzte sich neben mich. Jedoch fiel mehr auf, dass er bemüht war Abstand zwischen uns zu lassen. Dann fuhr er fort:

„Es ist kalt."

„Kälte beruhigt die Gedanken."

„Was ist das denn für ein Schwachsinn?", beschwerte sich Michael, „Soll die Kälte deine Gedanken einfrieren oder was?" Ich lachte kurz auf. „Das ist wie kalt duschen gehen, man bekommt nen klaren Kopf davon." „Warte, warte. Stopp. Sag mir bitte, dass du nicht kalt duschen gehst." Er starrte mich mit einem entsetzten Gesichtsausdruck an. „Naja, manchmal wenn ich morgens müde..." „Du gehst morgens duschen?!", kreischte er schon fast, „verlass mein Haus du Unmensch." Ich hob abwehrend die Hände. „Ich schäme mich zu tiefst." „Besser ist das", sagte er noch immer kopfschüttelnd. „Na gut machen wir weiter, bevor du noch mehr schreckliche Dinge sagen kannst." Erleichtert stimmte ich zu.

„Kälte beruhigt die Gedanken.", wiederholte ich meinen letzten Satz.

„Woran denkst du?"

Er flüsterte leise und es kam mir vor, als wäre es ihm unangenehm diese Frage zu stellen. Auch ich atmete kurz durch, bevor ich weitersprach

„An dich", ich legte eine Pause ein und sah Michael in die Augen, „Ich denke an dich, seit Stunden und ich frage mich wieso."

Michael erwiderte meinen Blick nicht, sondern winkelte ein Bein an und sah sich in seinem Zimmer um. Wir schwiegen eine Weile, wie es im Drehbuch stand, bevor Michael näher an mich rückte und seinen Kopf auf meine Schulter fallen ließ. Ich legte meinen Arm um ihn und schließlich meinen Kopf auf seinen. Mein ganzer Körper kribbelte und mir wurde plötzlich warm ums Herz.

„Es ist kalt.", flüsterte Michael schließlich.

„Du weißt, dass wir das nicht tun sollten."

Meine Stimme klang ernster als gedacht und Michael versuchte von mir wegzurücken, doch ich hielt ihn fest. Also kuschelte er sich näher an mich und ich atmete fast erleichtert auf.

„Wovor hast du Angst", fragte er und seine Stimme klang noch ernster als meine zuvor.

„Vor...", ich unterbrach meinen Satz. An dieser Stelle käme der Kuss. Michael löste sich aus meinem Arm und sah mich an. „Jetzt müssten wir uns küssen, oder?", fragte er leise. Ich nickte und erwiderte seinen Blick. „Wie machen wir das jetzt? Irgendeine Idee?" Ich wollte sagen ‚Küssen wir uns doch einfach, das wirkt bestimmt besser als alles andere', aber das brachte ich nicht über mich. Nicht, wenn ich damit alles kaputt machen konnte. „Vielleicht nimmst du einfach meine Hand, und wir kommen uns immer näher", überlegte ich laut, „Und kurz vor dem Kuss spreche ich einfach meinen Text weiter." „Sicher, dass die Leute das verstehen?" „Die sind doch nicht doof." „Hmm, ich weiß ja nicht", er lachte und ich war dankbar, dass die Stimmung etwas aufgelockert wurde. „Ich glaube, wir haben immer das Risiko, dass jemand es nicht versteht, aber was sollen wir den machen? Uns einfach wirklich küssen? Das wär der einzige Weg wo es jeder versteht." Michael sah mich schockiert an. „Ich kann dich doch nicht küssen", begann er schnell, „Ich meine so auf der Bühne, vor allen Menschen." „War ja auch nicht ernst gemeint", ich lachte und bemerkte, wie meine Wangen erröteten. „Schlag doch auch mal was vor", merkte ich an, „Bis jetzt kamen alle Ideen nur von mir." Er starrte eine Weile ins Nichts und ich dachte, er würde mir gar nicht mehr antworten. Doch dann begann er zu sprechen. „Mir fällt nichts ein, Maurice. Vielleicht müssen wir doch auf deine Ideen zurückkommen", er sah mich weiterhin nicht an, sein Blick ging nur wirr im Zimmer umher. Ich legte meine Hand auf seinen Oberschenkel, um ihn zu beruhigen. „Hey, ist nicht schlimm. Wir haben doch noch ne Woche Zeit und Frau Schubert hat sicher auch noch Ideen", jetzt ruhte sein Blick wieder auf mir, „sie hat doch gesagt wir müssen nichts machen wobei wir uns unwohl fühlen." Ich lächelte ihn aufmunternd an, doch er schlug nur seinen Kopf gegen meine Schulter.

„Dieses verdammte Theaterstück", murmelte er und ich begann ihm vorsichtig übers Haar zu streicheln.

Zwei Weiße Rosen - Zomdado FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt