Prolog

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Prolog (Mandy P.O.V)

Tropfendes Blut vermischt mit einem Schrei. Einem letzten hilflosen Atemzug, der nach bittersüßer Hoffnung klang. Hoffnung, die mit jedem Flehen, jedem Schrei mehr gewichen war. Hoffnung, die gebrochen wurde. Einfach so. Zerschmettert. Ein Schrei, der mein noch in mir fließendes Blut gefrieren ließ. Dann ließ er sie los und sie fiel leblos auf den Boden. Ihre leeren Augen blickten in meine noch lebenden, welche sich vor Angst weiteten. Sie war tot. Verdammt. Nochmal. Tot. Alles Leben war aus ihr gewichen. Und sollte er mich in meinem Versteck finden, dann war ich als nächstes dran. Dabei wollte ich doch einfach nur einen Kaffee bei ihr zu Hause trinken und mit ihr über mein Leben reden. »Liora Green«, hatte er immer wieder gerufen. Ich kannte keine Liora Green. Aber dieses fremde Mädchen schien der neue Grundstein für mein Leid zu sein. Der Grund, wieso er in Annies Haus eingebrochen war. Der Grund, wieso sie tot vor mir auf dem Boden lag. Und der Grund, wieso er, nachdem er mich gefunden hatte, mir die Luft am Hals abschnürte und hasserfüllt ansah. Liora Green. Die verdammte Ursache, weshalb mein Leben jetzt auf dem Kopf stand. Eine Handbewegung riss mich aus meinen düsteren Gedanken und ich blickte in Jasons funkelten, aber dennoch besorgten blauen Augen. Ich versuchte die Panik in meinem Inneren, die durch Gedanken der Vergangenheit ausgelöst wurden, mit einem Lächeln zu überspielen; mich auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Seine nächsten Worte holten mich endgültig in die Realität zurück. »Ich liebe dich«, flüsterte er mit einem sanften, zögerlichen Lächeln und drückte mir einen leichten Kuss auf die Lippen, während ich versuchte, dieses schwach zu erwidern und die tausenden Gedanken, die sich in meinem Kopf ausbreiteten, zu ignorieren. Jetzt gerade war nicht die Zeit für Liora Green oder Annie. Es ging um Jason. Meinen Jason. Und mich, die noch am Leben war. Mich, die Jason heute das letzte Mal sehen würde. Der leichte Wind dieses kühlen Herbstabends ließ meine gewellten braunen Haare aufwirbeln, während er an den rot-gelben Blättern spielte, die sich langsam vom Baum lösten und auf den Boden fielen. Am Himmel bildeten die Wolken ein farbenfrohes Lichterfest zwischen Rot, Orange und einem leichten Pink, welches diesen Moment besonders machte. Wann hatte ich das letzte Mal so eine Farbenpracht am Himmel gesehen? Ich blickte erneut zu Jason und wollte ihn in meine Gedanken einbrennen, um mich später an jedes kleinste Detail erinnern zu können. An sein strahlendes Lächeln, seine funkelnden blauen Augen, seinen Geruch; einfach alles. Aber das konnte ich nicht. Seit Tagen schwirren meine Gedanken allein um Liora Green, Annie und um das, was ich gesehen hatte. Annie. Meine beste Freundin. Die nun nicht mehr da war. Und es gab nichts, was ich gegen diese Leere in mir ausrichten konnte.
Sie nährte sich mit jedem Tag und wuchs zu einer Angst heran, die meinen Körper von innen heraus vollständig lähmte. »Ich liebe dich auch«, flüsterte ich und versuchte mich selbst zu beruhigen, in dem ich langsam einatmete. Ich schloss meine Augen und begann in Gedanken zu zählen. Eins. Zwei. Drei. Dann atmete ich langsam wieder aus. Denn er durfte nichts davon wissen. Das hatte mir Nathanael Henrikson mehr als nur einmal deutlich gemacht. Es ging um Jasons Sicherheit. Ich durfte ihm nichts sagen, ihm nichts von meinem Zustand anmerken lassen. Weder von dem, was ich gesehen hatte, noch von der Angst, die ich in den letzten Tagen verspürt hatte. Wenn ich alleine in meinem Zimmer auf meinem Bett lag. Nicht einschlafen konnte, während ich bei jedem kleinsten Geräusch panisch zusammenzuckte. Ich konnte weder schlafen, noch klar denken. Die Panik übernahm meinen Körper so sehr, dass ich mich seit Tagen ins Zimmer meines Bruders Connor schlich. Alles, was ich sah, waren Annies Augen. Augen, die mich leblos anstarrten, da alles Leben aus ihnen gewichen war. »Es tut mir leid wegen Annie«, flüsterte er und schloss mich in seine starken Arme, welche mir mehr als nur einmal Halt gegeben hatten. Er drückte mir einen Kuss auf den Scheitel. Alleine bei dem Klang ihres Namens zuckte ich leicht zusammen und konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich presste mich enger an ihn heran. Zum einen, um meine Tränen vor ihm zu verbergen und zum anderen, um diesen letzten Moment mit ihm zu genießen. »Sicher, dass es dir gut geht?«, fragte er mich zögerlich. Ob es mir gut ging? Ich war nichts als ein Haufen Elend. Noch nie in meinem Leben ging es mir schlechter. Doch das durfte er niemals erfahren. Also atmete ich aus und nickte, während ich innerlich kurz vor einem erneuten Nervenzusammenbruch stand. »Ja, es geht mir den Umständen entsprechend gut«, log ich und wusste bereits, dass er meinen Worten nicht glaubte. Ich erkannte es an der Art, wie er seine Augenbrauen hochzog. Mich kritisch musterte. Mittlerweile kannte er mich zu gut, als dass er meiner Lüge Glauben schenken würde. »Wieso glaube ich dir das nicht? «, fragte er daraufhin und legte seine Hand zärtlich auf meine Wange. Schon immer konnte er mich lesen, wie ein offenes Buch. »Mandy, Annie war deine beste Freundin. Du kannst mir nicht erzählen, dass es dir gut geht. Ich möchte dir helfen. Das kann ich aber nicht tun, wenn du nicht mit mir redest. Du weißt doch, dass du mir alles sagen kannst. Mandy, du kannst das nicht alles in dir drin lassen. Es wird dich zerstören.« Er legte seine Hand auf meine Wange, die mittlerweile tränenverschmiert war. Ich hatte meine Tränen nicht mehr zurückhalten können. »Jason, ich möchte nicht darüber reden.« Meine Stimme zitterte als ich diese Worte aussprach. Mein Körper bebte leicht und meine Knie begannen zu schlottern, während mir weitere Tränen die Wange hinunterliefen. Alleine nur daran zu denken, ließ mich diesen Tag erneut durchleben, was mir jedes Mal wieder die Luft zum Atmen nahm. Ich wollte gar nicht erst wissen, was passieren würde, wenn ich all das aussprechen würde. Wenn ich auch nur versuchen würde, den schlimmsten Tag meines Lebens in Worte zu fassen. Auch wenn es vielleicht helfen würde. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich aus diesem Loch wieder rausfinden würde. Zudem durfte ich nicht darüber reden. Zumindest nicht mit ihm. Egal wie sehr ich es wollte. Der Schmerz und die Gefahr, von Malcolm gefunden zu werden waren einfach zu groß. Dabei wollte ich nichts lieber tun, als mich Jason anzuvertrauen, in seinen Armen zu liegen, während er mir sagen würde, dass alles gut werden würde. Aber das würde es nicht. Nichts würde gut werden. Er seufzte leise auf und nickte zögerlich. Ein Hauch von Enttäuschung machte sich in seinen Augen breit und brach mein Herz ein kleines Stückchen mehr. Ich hatte ihm immer alles anvertraut. Alle meine Sorgen, meine Probleme. Meine Arme schlangen sich um ihn und drückten ihn enger an mich heran. Alles war besser, als in seine enttäuschten, traurigen Augen zu blicken. »Versprich mir einfach bitte, dass du zeitnah mit jemandem redest? Egal mit wem.« Er löste sich leicht von mir, um in meine Augen zu sehen. Ich nickte zögerlich, während die Teile meines Herzens weiter splitterten. Wenn das so weiterging, würde mein Herz bald nur aus einzelnen zerbrochenen Stücken bestehen und ich wusste nicht, ob ich es jemals wieder reparieren könnte. Es war ein Versprechen, das ich nicht halten konnte. Doch das würde er ohnehin nicht herausfinden; weil ich ihn nie wieder sehen würde. Nicht durfte. Ein letztes Mal atmete ich seinen himmlischen Duft ein und zog ihn enger an mich, während meine Tränen erneut unkontrolliert meine Wange hinunterliefen. Ich wollte ihn nie wieder loslassen, da dies die letzte Berührung war. Wollte den Moment einfrieren und für immer so verweilen; denn ich hasste, dass er nicht wusste, dass dieser unser letzter Augenblick war. Dass er morgen aufwachen und mich nie wieder sehen würde. Er würde mich suchen und vor einem leeren Haus in Houghton stehen. Er würde mich nicht erreichen können, egal wie sehr er es versuchen würde. Ich krallte mich in seinen Rücken, da dieser Gedanke mehr schmerzte, als alles andere. Er würde denken, ich hätte ihn ohne Grund verlassen. Und er würde mich hassen. Für den Rest seines Lebens. Allein dieser Gedanke war ein Anstoß mich ihm anzuvertrauen. Ihm zu sagen, wieso ich gehen musste. Aber das durfte ich nicht. Henriksons Worte spielten sich wieder und wieder in meinem Kopf ab. »Du darfst niemandem was erzählen. Niemandem.« Je weniger Jason wusste, umso sicherer war er. Ich würde noch weniger damit leben können, ihn in Gefahr zu wissen, nur , weil ich nicht in der Lage gewesen war, Stillschweigen zu bewahren. Mir war es lieber, er würde mich hassen, anstatt mitzubekommen, dass ihm dasselbe wie Annie widerfahren wäre. Das würde ich nicht verkraften. Ich war jetzt bereits ein Wrack. Er erwiderte meinen Griff, zog mich näher an sich heran und streichelte meinen Hinterkopf. Ich wollte für immer in diesem Moment bleiben. In diesem und keinem anderen. In seinen Armen. Doch die Zeit ließ sich nicht einfrieren. Sie lief weiter und weiter und ich hatte das Gefühl, dass mit jeder Sekunde ein Teil von mir verloren ging. Mich gab es nicht mehr. Zumindest nicht mehr so, wie mich jeder kannte. Ich war ein neuer Mensch. Und das nicht im positiven Sinne. Nein, ich war ein gebrochener, verletzter und zerbrechlicher Mensch. Und ich konnte gar nicht erst beschreiben, wie sehr ich diese Version von mir hasste. Ich wollte mich wieder. Ich wollte Gefühle wie Hoffnung, Liebe und Vertrauen verspüren. Aber dazu war mein neues Ich nicht mehr in der Lage. Alles, was ich nun spürte, waren Leere, Angst, Hoffnungslosigkeit; und ich wusste nicht, ob es sich je wieder anders anfühlen würde. Jason löste sich von mir und sah mich mit seinem unfassbar charmanten Lächeln an. Dieses Lächeln, welches meine Knie weich werden ließ, welches mich lebendig fühlen ließ. Normalerweise. »Wir sehen uns dann morgen?«, fragte er mich und mein Herz stoppte einen kurzen Moment. Ich nickte, da ich mir sicher war, dass ich keine Worte rausbringen würde, ohne vollends weinend zusammenzubrechen. Bevor er ging, drehte er sich noch einmal zu mir um. Sein Lächeln leuchtete bis in seine blauen Augen, die so hell strahlten, dass sie die Dunkelheit aus meinem Inneren ein letztes Mal vertrieben. »Jason«, flehte ich erneut den Tränen nah und ging auf ihn zu. Er drehte sich um und sah mich verwirrt an. Als ich jedoch meine Lippen ein letztes Mal auf seine weichen legte, grinste er in den Kuss hinein. »Ich liebe dich«, sagte ich nun und versuchte, mit aller Kraft neue Tränen zu verhindern. »Vergiss das niemals. Danke für alles.« Erneut betrachte er mich kritisch. »Babe, sicher das alles in Ordnung ist?« Ich schniefte leicht auf. »Es geht schon«, log ich erneut. »Ich bin einfach nur dankbar, dass es dich gibt und wollte es dir noch einmal sagen.« Bevor ich dich nie wieder sehe, fügte ich in meinen Gedanken hinzu. Er lächelte mich breit an. Dieses Lächeln. Diese blauen Augen. All das, was ich in den nächsten Wochen, Monaten, ja vielleicht sogar Jahren, jede Sekunde meines Lebens vermissen würde. »Ich liebe dich auch. Bis morgen«, flüsterte er mir ins Ohr, bevor er sich umdrehte und nach Hause ging. Und somit endgültig aus meinem Leben verschwand. Ich schaute ihm noch nach, bis er meinem Sichtfeld entkam. Eine Weile blieb ich auf der Stelle stehen, während die Tränen mir unaufhörlich meine Wange herunterliefen. Schweren Herzens drehte ich mich um und ging ins Haus. Als ich die Tür öffnete, stand meine Mutter im Türrahmen, ebenfalls mit Tränen in den Augen. Wortlos ging ich auf sie zu und warf mich in ihre Arme. »Mama, ich kann das nicht. Ich will ihn nicht verlieren«, schluchzte ich laut auf. »Mandy, Liebling. Wir haben keine andere Wahl«, versuchte meine Mutter mich zu beruhigen. »Wieso darf ich es ihm nicht sagen? Ich möchte, dass er mitkommt«, rief ich verzweifelt aus. »Du erwartest von ihm, dass er sein ganzes Leben hierlässt? Seine Familie, seine Freunde? Alles? Ist es nicht schon genug, dass wir in dieser Situation stecken? Es ist für alle Beteiligten das Beste. Auch wenn es schmerzhaft ist«, sagte meine Mutter und ich wusste, dass sie recht hatte. Denn das war es. Schmerzhaft. Und das Beste für alle. Dass ich ihn wirklich verlassen musste, ohne ein Wort zu sagen, zerbrach auch den letzten, noch heilen Teil meines Herzens. Still und heimlich hatte ich gehofft, ich könnte ihn anflehen, mit mir zu kommen. Und so sehr ich es mir auch wünschen würde, mein Leben mit ihm zu verbringen, konnte ich nicht von ihm erwarten mitzukommen und ihn dieser unbeschreiblichen Gefahr aussetzen. Ich schloss meine Augen und alles, was ich sehen konnte, waren die wütenden, hasserfüllten Augen von Malcom Lightwood und die Morddrohungen, die er mir und meiner Familie entgegenwarf, während Annie blutend und leblos in der Ecke lag. Erneut schwirrte der Name Liora Green durch meinen Kopf. Ich hatte meine Mutter nach diesem Namen gefragt, jedoch hatte sie behauptet diesen nie gehört zu haben. Die unermessliche Panik in ihren Augen hatten jedoch andere Worte gesprochen. Sie hatte mich angelogen und mir bewusst etwas verschwiegen. Aus irgendeinem Grund schien sie nicht bereit mit mir darüber zu reden. Auch wenn mich dies innerlich beunruhigte, so war dies in diesem Moment nur zweitrangig. Denn alles was zählte, ist jetzt hier. Zaghaft legte ich meine Hand auf meinen Bauch. Denn Jason zu verlassen war nicht das Einzige, was mein Herz von innen zerriss. »Mum«, sagte ich zögerlich. Sie sah mich mit einem liebevollen Ausdruck an. Anhand ihres traurigen Blickes, welcher in ihre braunen Augen trat merkte ich, dass sie versuchte stark für mich zu sein. Zudem fuhr sie sich immer wieder hektisch durch ihre hellbraunen schulterlangen Haare, was zeigte wie gestresst sie war. Ich lächelte schwach. Seit diesem einen schicksalhaften Tag, als ich in Annies Haus trat, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Denn ich war schuld daran, dass unser ganzes Leben auf dem Kopf stand. Dass wir alles hinter uns lassen mussten. Ich schluckte schwer, bevor ich die nächsten Worte aussprach.
»Ich bin schwanger.«

Don't break me againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt