Kapitel 4

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Mandy P.O.V
»Du siehst absolut scheiße aus«, begrüßte mich Marie, nachdem ich ihr die Tür öffnete. »Lass mich«, grummelte ich und machte ihr Platz. In der einen Hand hielt sie eine Flasche Wein und in der anderen eine Tüte mit vermutlich ungesundem Essen. »Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht vorbeikommen brauchst.« »Jaja, wir wussten beide, dass mir das egal sein wird.« Sie musterte mich erneut von oben bis unten. »Und so wie du aussiehst hast du dies mehr als nötig.« Mein Spiegelbild das sich im Flur abzeichnete, machte deutlich wovon sie sprach. Meine schulterlangen braunen Haare waren verwuschelt, als wäre ich gerade erst aufgewacht, meine Augen bestanden teilweise nur aus tiefen Augenringen und ein alter zerfallener Pyjama um 17 Uhr verhieß auch nichts Gutes. Marie bannte sich einen Weg in die Küche und hielt mir kurz darauf ein volles Glas Wein entgegen. »Hier, das sollte helfen.« Schulterzuckend nahm ich das Glas entgegen. Vermutlich würde es das. »Also erzähl. Deinem Aussehen nach zu urteilen lief es nicht besonders gut?« Laut schnaubend setzte ich das Glas an und trank einen Schluck. Der süßliche Geschmack des Weines hinterließ ein angenehmes Brennen in meiner Kehle, welches ich willkommen hieß. »Er ist total ausgeflippt. Er. Kannst du dir das vorstellen?« »Brandon? Der der dich betrogen hat? Ich habe dir doch von Anfang an gesagt, dass er toxische Züge an sich hat.« »Erst hat er versucht mir zu erklären, dass das alles doch ein Fehler war ...« Nun lachte Marie laut auf. »Ja, ist klar. Ein Jahr lang. Passiert ja auch mal einfach so.« Fassungslos schüttelte sie den Kopf. »Und dann hat er versucht die Schuld bei mir zu suchen und hat mir vorgeworfen ihm fremdgegangen zu sein. Er hat mein Handy durchsucht und mir das an den Kopf geworfen.« »Hat er was gefunden?«, fragte Marie mit einem schelmischen Grinsen. »Marie!« »Was? Du erzählst nicht sehr viel über dich und seien wir mal ehrlich ... Brandon? Da hättest du dir aber was Besseres angeln können.« Ein Trauriges Lächeln umspielte meine Lippen, als ich das Glas erneut ansetzte. Das hatte ich gehabt. Marie legte den Kopf schief und betrachtete mich interessiert. »Was war das?« »Was war was?", fragte ich verwirrt. »Du hast gelächelt! Kimberley Wilson, was verschweigst du mir?« Vieles. Zum Beispiel, dass mein Name nicht Kimberley Wilson war. Wie sehr ich es auch versuchte, so konnte ich mich nur schwer an diesen Namen gewöhnen.
Marie war einer der wenigen Personen, der ich in irgendeiner Art und Weise vertrauen konnte. So weit wie es meine Bindungs- und Vertrauensängste momentan zuließen. Marie wusste nicht viel, bis zu gar nichts, über mein Leben, dennoch wusste sie mehr als die meisten Menschen, die ich bisher kennengelernt hatte. Sie stellte oft Fragen über meine Vergangenheit und mein Leben in Houghton, doch ich wimmelte sie oft ab oder antwortete nur sehr knapp. Je weniger Menschen über mein früheres Leben Bescheid wussten, umso besser. Marie kannte ich noch aus der Uni. Wie es der Zufall wollte, fingen wir beide zur selben Zeit an der gleichen Schule an zu arbeiten und waren somit nun Kolleginnen. Und irgendwie hatte sie es trotz meiner Vertrauensängste geschafft, dass wir gemeinsam Zeit verbrachten und somit war sie in dem letzten halben Jahr zu einer der engsten Menschen in meinem Leben geworden. Neben Brandon. Den ich jetzt jedoch zum Mond schießen konnte.
Erneut nahm ich einen Schluck aus meinem Weinglas, in der stillen Hoffnung, so ihrer Frage zu entgehen. »Gar nichts verschweige ich dir.« Das war mehr als gelogen. Aber mein Leben war einfach nun mal so sehr verstrickt, dass man mir gar nicht erst glauben würde, würde ich die Wahrheit erzählen. »Weißt du ... Du hast mir noch nie von Cassies Vater erzählt. Wie war er so?«, fragte sie und zog ihre Augenbrauen ein paar Mal in die Höhe. Da war es wieder. Das Thema was ich mit aller Kraft vermeiden wollte. Brandon hatte mich auch mehr als einmal darauf angesprochen. »Ich rede ungerne über ihn«, gab ich von mir und hoffte, dass sie das Thema somit fallen lassen würde, obwohl meine Aussage gelogen war. Zu gerne würde ich über ihn reden. Noch immer erinnerte ich mich an den letzten Moment mit ihm, den letzten Kuss. Auch wenn sein Bild mehr und mehr verschwamm und er vermutlich heute ganz anders aussah, so dachte ich dennoch gerne an die Zeit mit ihm zurück. »Sagte sie lächelnd«, kommentierte Marie meine angehobenen Mundwinkel, die ich selbst nicht bemerkt hatte. »Es ... es ist kompliziert«, gab ich von mir. Seltsamerweise verspürte ich zum ersten Mal den Drang, jemandem von ihm zu erzählen. Hieß es nicht, dass es einem besser ging, wenn man sich jemandem anvertraute? Vielleicht würde es mir mehr helfen als in dem Büro meines fremden Therapeuten. Was hatte ich jetzt noch zu verlieren? Erneut nahm ich einen großen Schluck Wein und lehnte mich gegen die Küchentheke. Langsam fing der Alkohol in meinem Körper an sich bemerkbar zu machen, weshalb ich vermutlich die nächsten Worte aussprach. »Wir waren 17 ...«, fing ich an und erneut legte sich ein Lächeln auf mein Gesicht. »Und naja...wir waren jung, verliebt und es hat am Ende einfach nicht funktioniert.« Weil ich weglaufen musste. Wäre ich damals nicht in Annies Zimmer gegangen, würde mein Leben jetzt ganz anders aussehen. Über ein Jahr hatte ich versucht mehr über Liora Green in Erfahrung zu bringen, ohne Erfolg. Noch immer wusste ich nicht, wer sie war, oder was der Grund dafür war, dass Malcolm Lightwood sich in Annies Haus aufgehalten hatte. Als ich Nate zum wiederholten Mal auf das Thema angesprochen hatte, hatte er sich angespannt und war meinen Fragen aus dem Weg gegangen. Es lag in der Luft, dass er mir etwas verschwieg und das machte mich wahnsinnig. Warum wollte keiner mit mir reden? Aber nach Jahren, in denen ich absolut keine Information fand, hatte ich es aufgegeben. Liora Green blieb ein Mysterium. Der Grund, wieso ich Jason verlassen musste, hatte zwar einen Namen, aber keine Gestalt. Und dies plagte mich bis heute. Jason wäre sicher ein guter Vater gewesen. Wer weiß, vielleicht hätten wir geheiratet und noch ein Kind bekommen? Der Gedanke an all das, was hätte sein können schmerzte. Stattdessen hatte ich Brandon, welcher nichts Besseres zu tun hatte als mich zu betrügen. »Und dann?«, fragte Marie aufgeregt. »Mehr gibt es da nicht zu erzählen«, log ich. Denn es gab noch einiges zu erzählen, aber ich hatte Nate versprochen, all diese Angelegenheiten nur mit ihm zu besprechen, oder mit einem Therapeuten. Niemand anderem. Das Risiko wäre zu groß, entdeckt zu werden. Wobei seit vier Jahren nichts mehr passiert war. Aber wer wusste schon, wie lange dies noch der Fall sein würde. »Du bist ja langweilig. Das klingt alles ganz und gar nicht kompliziert. Ich war auch mal jung und naiv«, kicherte sie vor sich hin. »Übrigens: Es gibt heute Abend bei mir eine Hausparty. Du bist dabei«, sagte sie mit einem Tonfall, welcher keine Widerrede zuließ. Dankbar für den Themenwechsel lehnte ich dennoch ab. Wenn ich eins hasste, dann waren es Partys bei denen sich alle betrinken. »Ich habe heute schon was vor.«
»Gar nichts hast du vor. Du wirst doch nur im Bett gammeln und heulen. Klingt eine Party da nicht tausendmal besser? Es wird auch Essen geben«, versuchte sie mich zu überreden. Ich seufzte leicht auf. Vielleicht wäre das tatsächlich keine so schlechte Idee. Seit ich dem Zeugenschutzprogramm beitreten musste, war ich immer dieses Unscheinbare, liebe Mädchen. Vorher war ich das Partygirl schlecht hin. Vielleicht war es mal wieder an der Zeit, dass ich etwas Spaß im Leben hatte. Der erste Schritt wäre es, zu dieser Party zu gehen und zu versuchen einen vergessenen Teil meiner Selbst wieder neu zu entdecken.

Don't break me againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt