[6] Weg von Zuhause

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Nie war ich wirklich besonders schnell gewesen, ganz im Gegenteil. Ich war immer die Langsamste von allen.

Aber dennoch, packe ich meine gesamte Kraft zusammen und renne wie als würde es um mein eigenes Leben gehen.

Im Dorf sind schon einige Personen wach und laufen schon umher.

Sie alle kennen mich, und die meisten waren bisher auch immer sehr freundlich zu mir. Viele von ihnen haben auch keine Fluchkräfte, oder wissen nicht einmal dass so etwas überhaupt existiert.

"Kirika, alles in Ordnung bei dir süße?" höre ich eine ältere Frau von der Seite rufen.

Ja, bei mir ist alles in Ordnung. Ich will nur dass meine Familie glücklich leben kann. Oder bin ich einfach nur selbstsüchtig? Ich weiß es nicht.

Das Gespräch mit Emica eben... seit diesem Gespräch fühle ich mich unwohl. Es ist wie als wären auf einmal Gefühle und Gedanken in mir, die vorher nicht existierten.

Aber all das kann ich nicht aussprechen während ich renne. Selbst wenn, ich dürfte Emica niemals in schlechtes Licht rücken. Einerseits würde sie mich dann umbringen, andererseits tut man so Etwas einfach nicht.

Auf dieser Welt existiert schon zu viel Hass, ich will nicht für noch mehr sorgen. Deshalb geh ich ja auch.

Wohin soll ich jetzt überhaupt gehen? Ich habe garnichts. Mein Handy habe ich auch in meinem Zimmer vergessen.

Genauso wie Essen oder Klamotten. Ich habe nichts, außer diesen viel zu langen Kimono.

Es fällt mir schwer, nicht zu stolpern beim rennen. Keine Ahnung wie ich das gerade schaffe.

Endlich habe ich es an die Grenze des Dorfes geschafft, es werden nämlich immer weniger Häuser.

Unser Dorf ist sehr abgelegen, also werde ich jetzt erst einmal über kleinere Straßen laufen, welche unser Dorf mit anderen Städten verbinden, um dann in der nächsten Stadt überhaupt erst anzukommen.

Auch Menschen sehe ich keine mehr. Wie spät es wohl überhaupt ist...

Die Straße auf welcher ich laufe zieht sich in die Länge, ich sehe ihr Ende nicht und auch keine Kurven oder so.

Wie lang laufe ich jetzt schon? Sicher nicht so lange.

Aber ich bin schon ziemlich erschöpft, meine Schritte werden immer langsamer.

Ich war bisher noch nie so weit weg von Zuhause, ich war immer nur so weit außerhalb dass man die Häuser des Dorfes noch sehen konnte.

Auch die großen Wiesen habe ich schon überquert, wann habe ich das überhaupt?

Ich erinner mich noch daran wie ich das Dorf verlassen habe, und jetzt stehe ich hier.

Mitten auf einer Autobahn oder so etwas, nur dass diese Straße verlassen ist.

Man hört keine Menschensseele in der Nähe, nichts.

Habe ich überhaupt die richtige Entscheidung getroffen damit, einfach zu gehen? Hätte ich vielleicht noch einen Brief oder so schreiben sollen?

Aber das wäre dann wieder so Klischeehaft gewesen... und das hätte sie alle wohl noch mehr verletzt.

Jetzt können sie ohne Probleme leben, vorallem Vater! Er kann jetzt viel einfacher das Familienoberhaupt werden, dann kann ich... irgendwann ja wieder zurück.

Ich weiß nicht einmal warum ich so gehandelt habe. Eigentlich wäre ich doch nie einfach so weggerannt, und jetzt zweifel ich an dieser Entscheidung.

Was war Emicas Fluchkraft noch gleich? Irgendwas psychisches oder so... keine Ahnung. Vielleicht hat sie damit ja etwas zu tun.

Obwohl, warum sollte sie so etwas tun. Das wäre doch dumm, oder nicht? Irgendjemand würde es bemerken wenn es so wäre, und damit würde sie ihren eigenen Ruf schädigen.

Und so böse ist selbst Emica nicht, irgendwo tief in ihr muss doch etwas gutes sein. In jedem Menschen muss doch etwas gutes stecken!

Das ist eine der Sachen, die Mutter mir von klein auf immer wieder sagte...

"Was liest du da, Kirika?" Fragte Mutter mich, während sie sich neben mich auf den warmen Teppich setzte. Sie trug einen langen, weiß-pinken Kimono und hatte zusammengebundene Haare. Ihr Lächeln war so ehrlich, so liebevoll.

"Ein Märchenbuch. Du Mami, stimmt es das böse Menschen immer hässlich aussehen, während die lieben Menschen wunderhübsch werden?"

"Nein, das ist nur in Märchen so." sie lachte kurz, ihr Lachen war wie ihr Lächeln aus purer Liebe gemacht. "In Wahrheit können selbst die bösesten Menschen wunderschön sein. Das liegt daran dass kein Mensch böse geboren wird. In jedem Menschen der auf irgend eine Art und Weise böse ist, ist also doch noch ein Funke Gutes."

"Und Mörder?"

"Hm... Auch in ihnen muss irgendwo etwas Gutes versteckt sein. Bei manchen Menschen ist es denke ich einfach nur manchmal so... dass es zu spät ist um sie zu retten." Mutters Stimme wurde nachdenklicher, ruhiger. Sie selbst war sich wohl nicht sicher, wie sie meine Fragen beantworten konnte.

"Hat das was mit Flüchen zu tun?" habe ich sie dann gefragt. Ich wollte mir als Kind immer mehr und mehr Wissen aneignen, um wenigstens Wissen zu meiner Stärke machen zu können.

"Ist durchaus Möglich, aber selbst ohne Flüche würden Menschen sich untereinander weiter böse Dinge antun. Warum das so ist weiß ich nicht, Menschen sind selbst mir einfach ein Rätsel. Aber vergiss niemals dass du einen Menschen nie zu schnell verurteilen solltest. In jedem ist nämlich ein Funke Gutes."

Immer wieder erinnere ich mich an solche Momente zurück, Momente in welchen Mutter mir als ich noch jünger war solche Dinge beigebracht hatte.

Ihr Lächeln war definitiv nicht Falsch, in meinen Erinnerungen ist es zumindest kein falsches Lächeln. Aber so wie es aussieht sind sogar meine Erinnerungen falsch.

Wie ist es soweit gekommen...

Diese Situation hier hat doch damit angefangen dass dieser Geto bei uns war, oder?

Was wäre, wenn dieser Mann nie bei uns gewesen wäre?
Würde ich dann wieder auf der Wiese herumliegen, und Schmetterlinge beobachten?
Wer weiß das schon...

Ich sehe jetzt das erste Auto auf dieser Straße, da diese Straße extrem dünn ist, gehe ich zur Seite, an welcher ein Wald beginnt.

Das Auto hält aber kurz vor mir an, und heraus kommen zwei Männer.

Sie laufen auf mich zu, warum? Ist es so sonderbar, morgens ein Mädchen rumlaufen zu sehen?

"Eyy, wer bist denn du und was machst du so früh an so nem' Ort?" frägt der eine Mann mich mit einer Zigarette in der Hand.

Sie sehen beide ungefähr gleich aus, beide zirka einen Kopf größer als ich, blond-braune Haare und gräuliche Augen.

Der Mann mit der Zigarette blickt meinen Körper entlang, ein Perverser also.

"Guck mich nicht so an. Ich bin einfach nur auf den Weg zur nächsten Stadt." antworte ich genervt.

"Heh? Frech isse also auch noch hm?" wendet er sich belustigt an den anderen Mann.

Solche ekelhaften Männer gibt es in unserem Dorf nicht, ich kenne solche Leute nur aus Nachrichten und aus dem Internet. Ich weiß also nicht genau was ich jetzt tun soll.

Ich fühle mich aber echt unwohl und habe zugegebenermaßen ein wenig Angst, wenn ich so daran denke was man im Internet so alles liest. Mord, Vergewaltigungen, Folter und solche schrecklichen Dinge.

Hoffentlich gehen die Beiden einfach von selbst wieder...

Besessen | Geto FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt