Erkennen

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„Mommy!" Gracie warf sich schier in die Arme ihrer Mutter.

„Grace, was machst du hier? Wo ist dein Dad?" Ein scharfer Blick traf Steve, der sich prompt unwohl fühlte. „Wo ist Daniel?"

„Das wissen wir noch nicht."

„Gracie. Geh rein. Ich komme gleich nach." Rachel löste sich von ihrer Tochter und verschränkte die Arme in einer wütenden und zugleich hilflosen Geste.

„Onkel Steve, versprich mir, dass du Danno findest!" Flehende braune Augen brachen dem Navy-SEAL schier das Herz. Er umarmte seine adoptierte Nichte und flüsterte ihr nur ein „Versprochen" zu. Dann war der Moment vorbei und es blieben nur er und die Ex-Frau seines Partners zurück. Ihre Augen warfen ihm einen strengen und unnachgiebigen Blick zu.

„Was ist mit Daniel?"

„Er ist verschwunden. Wir wissen nicht, wo er ist."

„Ich..." Für einen kurzen Moment konnte Steve sehen, was Rachel wirklich empfand: Sorge und noch einen Rest Liebe für ihren Ex-Ehemann.

„Ich rufe an, sobald ich etwas weiß. Ich muss los."

„In Ordnung."

Steve spürte ihren Blick auch dann noch, als er seinen Silverado wendete und mit Blaulicht in Richtung der Koordinaten fuhr, die Chin ihm geschickt hatte. Es ging hier nicht nur um seinen Freund, nicht nur um ihn. Der Detective hatte viele Menschen, die sich um ihn sorgten, auch wenn er das manchmal nicht wahrhaben wollte. Nun lag es jedoch in Steves Hand, seinen Freund zu finden, also gab er noch ein bisschen mehr Gas. Danno, halte durch, ich komme.

Nach einigen Minuten, die dem immer ungeduldiger werdenden Steve wie eine halbe Ewigkeit vorkamen, entdeckte er endlich Chins Motorrad am Straßenrand. Mit quietschenden Bremsen stoppte er direkt daneben.

„Chin, was haben wir?" Steve verzichtete auf die Begrüßung und kam direkt zum Punkt. Es ging um Danny, er wusste, dass Chin es ihm nicht persönlich nehmen würde.

„Kurz gesagt? Nicht viel. Aber sieh dich um..." Normalerweise war Chins Gesicht das eines ruhigen Buddhas und man konnte nicht viel herauslesen, doch heute war selbst ihm die Sorge deutlich anzusehen. „Danny könnte hier sein oder ganz woanders."

„Oder auch nicht." Steve hatte sich genau umgesehen. Im ersten Moment war er fast schon verzweifelt, denn Chin hatte recht. Hier, am Rande des Dschungels eine Spur zu seinem Freund zu finden, erschien auch ihm erst schier unmöglich. Doch seine SEAL-Ausbildung übernahm die Kontrolle und er entdeckte einige Sträucher, die erst kürzlich passiert wurden. „Siehst du das? Abgebrochene Zweige. Hier ist erst vor kurzem jemand gewesen."

„Ja, ich sehe es. Denkst du, es war Danny?" Chin kniete direkt neben Steve und betrachtete die Sträucher. Dann warfen sie sich einen kurzen Blick zu und schüttelten die Köpfe. Niemals würde der Jersey-Cop und absolute Stadtfan freiwillig einen Spaziergang durch den Dschungel wagen. Aber es war eine Spur und es war momentan die einzige Spur, die zu Danny führen könnte. „Ich sag Kono Bescheid."

Während Steve seine Standardausrüstung aus dem Silverado holte, sprach Chin mit Kono.

„Hast die Spurensicherung etwas herausgefunden?"

„Die Nachbarin hat seit ein paar Tagen eine Kamera, Cuz. Darauf ist etwas zu sehen." Chin konnte ein leichtes Zittern in Konos Stimme hören und machte sich auf das Schlimmste gefasst.

„Warte, Kono. Steve! Komm her. Kono, du bist auf Lautsprecher."

„Okay. In letzter Zeit wurde dort ein paar Mal eingebrochen, deshalb hat die Nachbarin sich für eine Kamera entschieden, die den Flur vor ihrer Wohnungstür aufnimmt. Es hat gestern Abend aufgenommen, wie Danny heimkam. Er wollte gerade aufschließen, als ihn ein Mann von hinten erwischt hat. Man kann es nicht genau sehen, aber er scheint Chloroform zu benutzen."

„Verdammt. Kannst du ein Bild des Manns schicken?"

„Sorry, Boss. Ich arbeite schon daran, ein Bild zusammenzusetzen. Der Bastard ist nicht gut zu sehen, trägt eine Hausmeisteruniform und ein Basecap. Habt ihr etwas Neues herausgefunden?"

„Ich gehe jetzt in den Dschungel und folge dort einer Spur. Ich habe mein Satellitentelefon dabei. Chin, du fährst zurück in den Iolani-Palast. Findet heraus, wer Danny entführt hat und nehmt diesen Mistkerl in die Zange. Je eher wir erfahren, wo Danny ist, umso eher ist..." Steve konnte nicht weitersprechen. Alle Gedanken, die ihm gerade durch den Kopf, wollte er eigentlich nicht wahrhaben. Doch Chin nahm es ihm ab, weiterzusprechen: „Wir kümmern uns darum. Pass auf dich auf, brah."

„Ja. Ich vertraue euch, findet ihn. Ich kümmere mich um Danny."

Chin zögerte nicht lange, er verabschiedete sich von seiner Cousine, nickte Steve noch kurz zu und eilte dann schon Richtung Wagen. Steve hingegen war schon halb im Dschungel und bekam nicht einmal mehr mit, wie Chin mit Blaulicht und Sirene Richtung Hauptquartier raste. Alle seine Gedanken konzentrierten sich auf das Lesen der Spuren und das Finden seines vermissten Freundes. Doch in seinem Hinterkopf kreiste immer der kleine Gedanke: Was, wenn Danny nicht hier ist? Was, wenn Danny... wenn er nicht mehr lebt?

~ H50 ~ H50 ~ H50 ~

„Kono, hast du was?"

„Läuft gerade durch die Gesichtserkennung." Chin kannte seine Cousine gut genug, um das leichte Zittern in ihrer Stimme wahrzunehmen, das sonst niemand rausgehört hätte.

„Hey, Cuz, es wird alles gut. Steve ist im vollen SEAL-Modus und unseren sturen Haole darf man nie unterschätzen." Er legte den Arm um sie und inmitten dieser nervösen und sorgenvollen Stimmung atmeten sie kurz durch. Beide wussten, dass es dieser Moment sein würde, der sie auch in den nächsten Stunden aufrecht halten würde. So lösten sie sich erst voneinander, als die Gesichtserkennung den Täter identifiziert hatte.

„Malcom Armstrong. Sagt dir das was, Chin?"

„Nein, gar nichts. Was sagt seine Akte?"

Zusammen kämpften sie sich durch eine Akte, die einige Verbrechen beinhaltete, bis Kono endlich fündig wurden.

„Ich hab' was, Chin. New Jersey. Das war vor... sechs Jahren. Er ist zusammen mit seinem Bruder Keith auf frischer Tat bei einem Raub ertappt worden. Sie sind geflohen und Danny war einer der verfolgenden Polizisten. Hm... hier steht, dass Keith Armstrong bei der Verfolgungsjagd von einem fahrenden Auto erwischt wurde", Kono hielt kurz inne. „Er hat es nicht überlebt."

„Also ist Rache das Motiv. Malcom Armstrong, wir finden dich." Chin war nicht Steve mit seiner manchmal etwas unkonventionellen Art, Täter zu verhören. Er war auch nicht Danny. Doch er war genauso stur wie die beiden, wenn es um seine Ohana ging und Danny Williams war Teil davon. Also blendete er jetzt alles aus, um Malcom Armstrong zu finden und damit auch seinen Kollegen und seinen Freund, den sturen kleinen Jersey-Cop.

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