1. TEIL
MONDAUFGANG
***
1-Nur ein Fehler
"Was wollt ihr?", die Stimme des dicken Mönchs, der im Tor stand und die Hände in die Hüften gestemmt hatte, klang nicht gerade freundlich.
Er schaute die beiden Jungen streng an. Der jüngere, vielleicht um die sechs Jahre alt, gähnte und schien im Stehen einschlafen zu wollen. Der ältere jedoch, Vallentin hätte ihn auf vierzehn Jahre geschätzt, sah ihn ebenfalls an. "Bitte lasst uns ein", sagte er. "Mein kleiner Bruder ist müde und muss sich ausruhen. Bitte!"Beinah machte Endres Kniefälle vor dem Mönch. Lorentz gähnte noch einmal. "Was ist denn los?", fragte eine andere Stimme. Der dicke Mönch trat zur Seite. Ein weiterer Mönch musterte nun die beiden Jungen. "Was führt euch zu uns?", fragte er.
Genau diese Frage hatte Endres nicht hören wollen. Er erinnerte sich noch zu gut, an den Tag, an dem das Schreckliche geschah. Endres hatte gerade die beiden Ziegen versorgt, als er das Gebrüll hörte, das laute Aufstampfen von Pferdehufen. Lorentz hatte im Gras gesessen und mit ein paar Steinen gespielt, während Endres' Mutter Kräuter sortierte.
Das Gebrüll und das Getrampel wurde immer lauter. Viele Bewohner das Dorfes, darunter auch Endres, Lorentz und Helena, waren auf die Straßen gelaufen, um zu sehen, was da vor sich ging. Ein großer Fehler.
Endres traute seinen Augen nicht. Sie kamen! Seit vielen Wochen machten die Gerüchte die Runde, dass Raubritter durch die Lande streiften. Endres hatte sich eingeredet, dass es nur ein Gerücht sei und dass Gerüchte nicht immer wahr sein mussten.
Aber vielleicht war das von Anfang an falsch gewesen. Vielleicht hatte er sich das nur eingeredet, um keine Angst zu haben. Denn jetzt kamen sie so schnell, dass niemand mehr reagieren konnte.
Die Hufe wirbelten Staub von den Wegen auf und die Schwerter und Lanzen blendeten. Keinen Moment später war etwas an Endres' Kopf vorbei geflogen, das ein Zischen verursachte und eine Hütte in Brand steckte.
Binnen weniger Sekunden war die Straße zu einem Schlachtfeld geworden. Das trockene Stroh auf den Häusern qualmte, die Pferde wirbelten immer mehr Staub auf. So konnte man nicht genau sehen, was um sich herum geschah.
Doch hören konnte man es schon. Die Luft war erfüllt von Schreien. Dorfbewohner wurden von den Pferden niedergetrampelt, die Waffen der Raubritter taten ihr Übriges.
Endres rannte weg, Lorentz klammerte sich an seiner Hand fest. Endres versuchte die schrecklichen Bilder, die ihn umgaben, zu ignorieren, doch sie brannten sich in sein Gedächtnis. Im Wald konnten sie sich verstecken, weit ab von dem Schrecken. Dennoch hatten sie alles gehört. Die Rauchschwaden waren hoch in den Himmel gestiegen. Und nur eine knappe Stunde später war alles vorbei.Endres wollte nicht ins Dorf zurück gehen, zu groß war die Angst, die Menschen, die er sein Leben lang kannte, tot am Boden liegen zu sehen. Fast alle Hütten waren dem Erdboden gleich gemacht. Lorentz weint lange.
Eine Nacht lang blieben sie in ihrem Versteck, ohne zu schlafen.Als Endres doch einmal eingenickt war, kamen ihm die schrecklichen Bilder wieder ins Gedächtnis. Er war hochgeschreckt und hatte den Rest der Nacht den Mond angestarrt. Warum? Warum nur? Diese Frage stellte er sich immer wieder.
Am nächsten Tag beschloss Endres, dass sie fortgehen mussten. Irgendwohin. Alles, aber nur nicht an diesem Ort bleiben. Beinah zwei Tage waren sie gelaufen und am dritten Tag hier am Kloster angekommen. Lorentz war müde von dem langen Weg. Endres erging es auch nicht viel besser.
Doch er wollte sich nicht ausruhen, zu groß war die Angst, die Bilder noch einmal vor sich zu sehen. Er schluckte. "Raubritter", sagte er leise und senkte den Blick zum Boden. "Unser Dorf ist überfallen worden. Wir... ."
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Im Reich der Wölfe - Neumond (Band 1)
Fantasy"Aber wenn du Angst hast, hast du auch Mut. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Wenn du Angst hast, musst du Mut haben, damit du deine Angst besiegen kannst. Wer keine Angst hat, war noch nie mutig." Die Raubritter haben Endres' Welt zer...