15- Pläne schmieden

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3. TEIL

MONDFINSTERNIS

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15- Pläne schmieden

Langsam ging Endres zum Kloster zurück. Sonst machte es ihm nicht viel aus, dass er am Tag als Mensch im Kloster war und die Nacht bei den Wölfen verbrachte. Jetzt würde er sich am liebsten in seinem Zimmer verkriechen und schlafen. Die Elchjagd hatte den ganzen Tag gedauert und Gawins Rettung hatte ihm die letzte Kraft genommen. Die Sonne ging bereits wieder unter und Endres war sich sicher, dass sein Verschwinden nicht unbemerkt geblieben war.

Das Tor war noch geöffnet, doch es war kein Mönch zu sehen. Eigentlich hielt immer jemand Wache. Auch sonst schien das Kloster verlassen. Irgendetwas lag in der Luft, Endres konnte nicht deuten, ob es gut oder schlecht war. Er betrat das Hauptgebäude, in dem die Küche, der Speisesaal und die Schlafkammern lagen. Endres setzte leise einen Fuß vor den anderen. Das Knarren des Holzbodens kam ihm ohrenbetäubend laut war. Plötzlich vernahm er ganz dumpf Stimmen, die aus dem Speisesaal kamen.

Als Endres die Tür öffnete, wendeten sich auf einmal alle Köpfe ihm zu. Die Stimmen verstummten und jeder starrte ihn an. Alle Mönche und die Menschen, die im Moment im Kloster wohnten, hatten sich hier versammelt. "Da ist ja der kleine Feigling", knurrte einer der beiden Jungen, die ihn verfolgt hatten. Sie würden sich jedoch nicht trauen, Endres vor versammelter Mannschaft anzugreifen. Das hoffte er zumindest. "Ein Glück, dir ist nichts passier", seufzte Bruder Paulus und stand auf. "Setz dich", sagte er zu Endres und bot ihm seinen Stuhl an.

"Was soll passiert sein?", fragte Endres aufgeregt, als er sich verwirrt auf den Stuhl setzte. Seine Müdigkeit war auf einmal wie verflogen. "Wir waren heute bei den Feldern", erklärte Camilla. Sie war sichtlich aufgebracht, bemühte sich jedoch ruhig zu sprechen. "Da haben wir Fußspuren und Hufabdrücke gesehen. Sie verliefen am Waldrand entlang und führten auf den Weg, der zum Dorf führt." Sie sah Endres eindringlich an. "Ich glaube, du weißt, was das bedeutet."

Camilla schluckte. "Es kann also jeden Tag passieren, dass sie hier aufschlagen", meinte Bruder Sewolt. Endres musste nicht nachfragen, wer mit 'sie' gemeint war: die Raubritter. Er sah Bruder Sewolt an, dass er sich große Sorgen machte. Immerhin waren nicht nur das Kloster und seine Bewohner in Gefahr, sondern etwas sehr Wertvolles, das die Raubritter nicht zwischen die Finger bekommen durften.

"Es könnte auch schon morgen sein", ergänzte Bruder Siman. "Wir haben gerade beraten, was wir tun können, um uns zu verteidigen", erklärte Bruder Paulus den Grund für die Versammlung. "Bisher sind wir aber noch nicht zu einem Ergebnis gelangt. Unsere Möglichkeiten sind sehr beschränkt. Egal wie wir es drehen, wir haben nicht den Hauch einer Chance, uns gegen sie zu verteidigen, geschweige denn sie zu besiegen." Das wusste auch Endres. "Also müssen sich alle verstecken, wenn sie kommen", schlussfolgerte Camilla. "Die Frage ist nur: Wo?"

"Im Keller?", schlug Bruder Vallentin vor. "Der ist groß genug für alle. Außerdem würden wir es dort unten ein paar Tage aushalten, schließlich haben wir die Vorräte da eingelagert. Hunger müssten wir wenn dann nicht leiden." "Klar, dass du zu erst ans Essen denkst", sagte Bruder Jechlin und rollte mit den Augen. "Aber der Keller ist dunkel, nass und kalt. Da holen wir uns alle den sicheren Tod." "Wieso wollt ihr euch überhaupt verstecken?", fragte einer der Jungen. "Wie die Feiglinge?"

"Wir müssen gegen sie kämpfen", sagte der andere. "Pett, jetzt nimm endlich Vernunft an!", sagte die Mutter des Jungen. "Ihr beiden solltet mitbekommen haben, dass diese Männer bis auf die Zähne bewaffnet sind und dass wir ihnen keineswegs entgegentreten können." "Mit was hättet ihr denn kämpfen wollen?", fragte Bruder Sewolt. "Hier im Kloster gibt es ein einziges Schwert. Das würde nicht einmal ausreichen, um einen Ritter in die Flucht zu schlagen. Wie wollt ihr es denn da mit zwei Dutzend aufnehmen?"

"Es gibt Mistgabeln und Haken, die auch schwere Verletzungen zufügen können", erwiderte Petts Bruder. Er verschränkte die Arme wie ein kleines Kind und blickte trotzig drein. "Meint ihr die Raubritter lassen sich in die Flucht kitzeln?", rief Bruder Caspar. "Die schlachten euch mit einem Schwerthieb ab. " "Aber...", setzte Pett an. "Es reicht!", sagte Bruder Paulus bestimmt und sofort verstummten alle.

Der Mönch ließ den Blick über die Menge schweifen, bevor er weiterredete: "Wir brauchen gar nicht über die Möglichkeit nachdenken, die Raubritter mit Waffen zu schlagen. Ich möchte mich auch nicht auf ihre niedriges Niveau begeben und Menschen einfach so umbringen. Seien sie auch noch so abgrundartig böse. Wir sind ihnen körperlich nicht gewachsen..." "...aber geistig", beendete Endres den Satz. "Das wollte ich sagen", stimmte ihm Bruder Paulus zu.

"Ihr habt den Angriff auf euer Dorf erlebt", wandte er sich an die Dorfbewohner. Die sahen sich erschrocken an und nickten. "Habt ihr auch nur einen Moment lang eine Strategie im Angriff gesehen? Einen Plan?" "Wie denn?", schnaubte Pett wütend. "Wir sind um unser Leben gerannt und haben leider vergessen auf so etwas zu achten." "Du kannst ja Endres fragen", sagte Petts Bruder. "Der hat sich ja die ganze Zeit über feige im Wald versteckt." "Hennlin es reicht jetzt!", wurde er von seiner Mutter angeschrien.

"Wir sind an diesem Tag nur knapp mit dem Leben davongekommen. Ihr solltet über jeden froh sein, der überlebt hat und ihn nicht dafür so angreifen." Hennlin warf erst seiner Mutter, dann Endres einen grimmigen Blick zu, aber er schwieg weiterhin. "Worauf ich hinaus wollte", lenkte Bruder Paulus wieder zurück, "Die Raubritter greifen einfach so an. Sie stürzen sich, ohne nachzudenken, ins Getümmel. Und das können wir uns zu Nutze machen." "Aber wie?", fragte Bruder Jechlin. "Wie es die Wölfe machen", antwortete Endres.

"Wie bitte? Wie die Wölfe?", wiederholte eine Frau, die ihn verständnislos ansah, genau wie die meisten im Raum. Nur einige nickten. "Sprich weiter", forderte Bruder Paulus. "Wenn die Wölfe jagen, dann teilen sie sich auf. Sie greifen das Tier, das sie jagen, von zwei Seiten an. So hat es keine Chance zu entkommen", erzählte Endres weiter. Bruder Paulus nickte. "Du meinst also, wenn wir die Raubritter von zwei Seiten angreifen, dann könnten wir sie in die Flucht schlagen?", sagte Bruder Vallentin. "Aber da wären wir ja beim Thema", erwiderte Hennlin und ahmte Bruder Sewolt nach; "Hier im Kloster gibt es keine Waffen."

"Dann müssen wir uns halt welche bauen...", schlug Bruder Paulus vor. "Pfeil und Bogen sind schnell gemacht, in der Küche gibt es große Messer... daraus lässt sich schnell etwas machen. Mit sowas könnten wir uns verteidigen." "Das ist ja noch lächerlicher als mit Spaten und Mistgabeln", meinte Pett verächtlich. "Zwar lächerlicher, aber realistischer", erwiderte Endres. "Und wenn ihr mich fragt, sollten wir keine Zeit verlieren, sondern am besten gleich mit den Vorbereitungen anfangen." "Dich fragt aber keiner", zischte Hennlin feindselig. "Anscheinend ja doch", antwortete Endres und grinste.


Im Reich der Wölfe - Neumond (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt