Lukas:
Noch nicht wirklich wach sitze ich teilnahmslos in unserem Mannschaftsbus auf dem Weg zu unserem Auswärtsspiel im hohen Norden in Flensburg. Nach dem enttäuschenden Wochenende des European League Final4, welches wir in heimischer Halle enttäuschenderweise nur mit dem dritten Platz abschließen konnten, hatten wir nun die Chance unseren negativ Lauf beim amtierenden Meister wieder zu brechen. Wir wussten alle, was bei diesem Spiel alles auf dem Spiel stand. Seit Wochen stand der Verein wieder heftig in der Kritik. Natürlich waren wir von Verletzungspech verfolgt und geschwächt, trotzdem durfte dies keine Ausrede dafür sein, dass wir es aktuell einfach nicht schafften unsere Leistung aufs Spielfeld zu bringen. Wir spielten weit unter unseren Möglichkeiten und dem Anspruch des Vereins und aus diesem Grund war es Zeit endlich mal wieder ein Zeichen zu setzen. Wir waren uns allen der Wichtigkeit dieses Spieles bewusst und dementsprechend still war es auf dem Weg nach oben in den Norden. Alle schienen bereits gedanklich bei der anstehenden Aufgabe zu sein. Es war unsere Chance zu zeigen, dass wir weiterhin in der Lage waren mit Spitzenclubs wie dem THW Kiel und der SG Flensburg Handewitt mitzuhalten, die beide eine nahezu perfekte Saison spielten und sich deutlich vom Rest der Bundesliga abgesetzt hatten und den Meisterschaftskampf unter sich austrugen.
Gedankenverloren ließ ich meinen Blick durch den Bus schweifen. Einige der Jungs spielten Fifa auf der Playstation und normalerweise konnte man mich dafür immer begeistern, doch heute hatte ich dazu einfach keine Lust. Generell fühlte ich mich wieder schlapp und motivationslos. Dieses Gefühl häufte sich in den letzten Wochen wieder häufiger und machte es auch für mich schwer meine Leistungen zeigen zu können. Zudem plagte ich mich mit einer nervigen Sprunggelenksverletzung, die mich einfach nicht in Ruhe lassen wollten. Zeit diese richtig auszukurieren hatte ich jedoch auch aufgrund des eng getakteten Spielplans nicht. Zudem hatte wir bereits genug Ausfälle zu beklagen, weswegen es für mich keine andere Option gab als bei den Spielen auf die Zähne zu beißen und dafür eben das ein oder andere Mal im Mannschaftstraining etwas kürzer zu treten, dass ich am nächsten Spieltag wieder in der Lage war aufzulaufen. Doch nicht nur die Verletzung belastete mich und hinderte mich daran mein Potential abzurufen. Es war auch diese unerträgliche Sehnsucht nach Disse, die mich seit Wochen wieder von Tag zu Tag mehr beschäftigte. Er fehlte mir. Ich vermisste es morgens aufzuwachen und sein unmotiviertes Grummeln zu hören, wenn er keine Lust hatte aufzustehen. Ich vermisste es ihn minutenlang überreden zu müssen, doch endlich aufzustehen. Ich vermisste es mich an seinen Oberkörper kuscheln zu können und abends in seinen Armen einzuschlafen. Ich vermisste den Geruch von seinem Aftershave in meiner Nase. Ich vermisste das Gefühl, wenn meine Finger durch seine wunderschönen Haaren wanderten. Ich vermisste den Geschmack von seinen Lippen. Ich vermisste dieses wunderschöne Lächeln und die schönsten Augen auf diesem Universum. Doch ich wusste auch, dass er seinen Platz mittlerweile in Nordmazedonien bei Vadar Skopje gefunden hatte. Er bekam dort seine Spielzeiten und hatte es geschafft wieder auf ein Level zu kommen, in welchem er verletzungsfrei sich stetig weiterentwickeln konnte und seine Fähigkeiten unter Beweis stellen konnten. Ich wusste auch, dass er aktuell einen unfassbaren Stress hatte. Gefühlt alle zwei Tage musste er irgendwo anders in der Seha League auflaufen, schließlich konnte die Liga aufgrund von immer wieder auftretenden Corona Infektionen innerhalb der Mannschaft erst nach der WM Pause gestartet werden, weswegen der Terminkalender bis zur Sommerpause von ihm unfassbar zugestopft war. Natürlich wurde auch bei mir die Angst von jedem Spiel auf das andere wieder größer, dass sein Körper unter dieser unfassbaren Belastung wieder zusammenbrechen würde und er sich wieder schlimm verletzen würde. Ich atmete jedes Mal auf, wenn ich abends ihn am anderen Ende der Leitung hörte und er mir versicherte, dass er das heutige Spiel ohne schlimmere Blessuren überstanden hatte.
Auch wenn ich über seinen vollgestopften Kalender wusste, wünschte ich mir, ich würde häufiger wieder eine Nachricht von ihm auf meinem Handydisplay aufleuchten sehen. Gefühlt im Minutentakt entsperrte ich mein Smartphone und hoffte, dass er mir geschrieben hatte, um schließlich enttäuscht festzustellen, dass er nicht geschrieben hatte. Wie auch in diesem Moment. Enttäuscht starrte ich wieder auf unseren Chatverlauf und meine seine letzte Nachricht, die gestern Abend bei mir eingetroffen war, bevor er schlafen gegangen war.