IV.

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Er drehte sich ruckartig um und sah mir tief in die Augen. Ich konnte den Blick nicht mehr von seinen braunen, funkelnden Augen abwenden. Doch irgendwann sah er weg und begutachtete interessiert seine Hände. Mir kam es fast so vor, als wäre er nervös. Aber warum sollte Bene von Hoysen nervös sein? Etwa wegen mir? Niemals! Er war sonst immer so von sich überzeugt und arrogant, einen Einblick wie diesen, hinter seine Fassade, würde er niemals zulassen, oder? Plötzlich war ich mir unsicher und ich wurde panisch. Ich fühlte mich eingeengt und wollte hier raus. Aufgebracht lief ich zur Tür und stieß mit dem Fuß dagegen. Immer weiter schlug und trat ich auf die Tür ein, immer verzweifelter und energischer.

"Hanna?", nahm ich die fragende Stimme von Bene dicht neben meinem Ohr wahr, doch ich reagiert nicht und trat immer weiter auf die verschlossene Tür ein. Auf einmal knickte ich komisch ein und fiel hin. Ein stechender Schmerz durchzog mein rechtes Bein und es fing an zu Pochen. Laute Schluchtzer entronnen meiner Kehle und Tränen schossen in meine Augen, welche sich schon bald den Weg übers Gesicht bahnten.

Ich spürte wie Benedikt langsam seine Arme um mich legte und mich vorsichtig an sich drückte. Schüchtern schmiegte ich mich an seinen Körper und genoss seine Nähe.

"Komm, ich bring dich zu deinem Schlafplatz", meinte er sanft und hob mich vorsichtig hoch. Er legte mich auf meiner Jacke und einen Handtuch ab, das ich am Freitag in einem Schrank in den Toilettenräumen gefunden habe.

Mir rollten immer noch Tränen über das Gesicht, als Bene sich neben mich setzte. Er nahm meine Hand und strich langsam auf und ab. Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt und raubte mir damit fast den Atem. Ich wollte wieder etwas Abstand schaffen, jedoch belastete ich mein rechtes Bein dabei und jaulte erneut auf. Kurz darauf verfing ich mich erneut in seinen Augen und plötzlich spürte ich seine Lippen auf den meinen. Mein Herz schien still zu stehen, als ich den Kuss schließlich erwiderte.

Er zog mich sanft in seine Arme und ließ mein Herz noch schneller schlagen. Ich konnte gar nicht glauben, dass das hier gerade wirklich passierte. Benedikt von Hoysen küsste mich. Mich! Hanna Droster . Ich hatte niemals gedacht, dass ich jemals für ihn Gefühle, geschweige denn, dass er welche für mich haben könnte. Ich vermutete, dass unter der harten Schale ein weicher Kern war, welchen ich bis jetzt noch nicht kennengelernt hatte. Sanft zog er mich noch fester an sich und ich lehnte meinen Kopf an seinen.

"Hanna?", flüsterte er leise und drehte den Kopf in meine Richtung.

"Mhm", machte ich nur und sah zu ihm.

Seine braunen, funkelnden Augen sahen mich wachsam an und auch eine gewisse Neugier konnte man in seinen Augen erkennen. Am liebsten würde ich ihn nochmal küssen, doch ich traute mich nicht. Wer weiß, wie er dann reagieren würde, denn er blieb einfach unberechenbar.

"Es tut mir leid, dass ich immer so gemein zu dir war", begann er und sah betreten zu Boden.

Erstaunt sah ich ihn an. Ich hatte mit allem gerechnet, bloß nicht mit dem. In diesem Moment knurrte mein Magen, so laut, wie ich es noch nie gehört hatte. Erschrocken sah ich Bene an, doch dieser schmuntzelte nur und küsste mich wieder.

Kurze Zeit später saßen wir beisammen und aßen gemeinsam die Kekse, die Salzstangen und die Salzbrezen. Wir ließen bisschen was auch noch für später übrig. Endlich hatte ich wieder einen gefüllten Magen, wenn auch einen ziemlich ungesund gefüllten Magen. Aber das war mir im Moment egal. Im Augenblick war mir eigentlich fast alles egal. Das einzige, was für mich zählte, war, was zwischen Bene und mir passierte. Was war zwischen uns?

Mein Bein hatte sich zum Glück wieder erholt und so konnte ich Benedikt später beim Aufräumen helfen. Es dauerte bis in den späten Nachmittag, bis wir alles aufgeräumt hatten. Erschöpft ließ ich mich auf meinen sogenannten Schlafplatz sinken. Vorsichtig sah ich zu Bene, der mir zögerlich gefolgt war.

"Setz dich doch", murmelte ich leise und sah schüchtern in seine braunen Augen. Wieder verfing ich mich in seinen Augen und wir hielten beide den Blick stand. Sein Gesicht war nur etwa zwei Meter von meinem entfernt und langsam setzte er sich, sodass wir auf Augenhöhe waren. Ich starrte ihn regelrecht an und würde ihm am liebsten in die Arme springen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, nahm er meine Hand und zog mich langsam auf seinen Schoss. Mutig kuschelte ich mich an ihn und schloss verträumt die Augen. Ich könnte für immer hier bleiben, wenn
es nach mir ginge, dann könnte das Wochenende noch etwas länger dauern, auch wenn das Essen dann wahrscheinlich knapp werden würde. Aber ich würde liebend gerne noch mehr Zeit mit ihm verbringen. Ich war erstaunt über diese Gedanken, denn es war erst wenige Stunden her, an denen wir uns gegenseitig angegiftet hatten. Ich hatte ihn immer für einen arroganten Idioten gehalten, aber das war er nicht, das war mir mittlerweile bewusst geworden.

Mein Beitrag zum Ideenzauber 2021Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt