Kjell nickte nachdenklich und schoss mir einen kurzen Blick zu. »Du meinst also, du spürst so etwas wie Magie von diesem Pergament ausgehen? Kurios, denn Hiraya hat noch nie davon gesprochen, Magie an einem dieser Schriftstücke wahrgenommen zu haben. Was macht dieses hier so anders? Die Materialien womöglich? Stammen sie vielleicht aus dem Dämmerland? Liegt es etwa an der Magie, dass dieses Schriftstück vor Alter und Verfall beschützt worden ist?«
Er hielt inne und Bartholomäus und ich warteten gespannt darauf, dass Kjell mit seinen Vermutungen fortfuhr, doch das tat er nicht.
»Es ist gut, dass du dieses Schriftstück gewählt hast«, sagte er mir stattdessen. »Wir wissen nun, dass sich der Stirnreif im Schrank des Dakahns befindet und wenn du weiterhin an deiner freundschaftlichen Beziehung zu ihm arbeitest, sollten wir bald schon ohne größere Anstrengungen an ihn gelangen.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf das Pergament. »Das hier hingegen könnte uns Aufschluss über ein neues Artefakt geben und sollte es eine Beschreibung beinhalten, werde ich die anderen anweisen können, nach diesem Gegenstand Ausschau zu halten.«
»Kannst du die Glyphen wirklich lesen?«, fragte ich zwischen zwei Schlucken Wasser. Allmählich klärte sich der Nebel in meinem Kopf.
»Einige davon, nicht alle. Es tauchen hin und wieder neue Kombinationen von Glyphen auf. So wie auch auf diesem Schriftstück. Aber ich habe detaillierte Tabellen im Palast in Odir, die mir helfen werden, sie zu entschlüsseln.« Kjell rollte das Pergament zusammen. »Ich habe vor, heute Mittag eine Schattenversammlung einzuberufen und bitte euch darum, diese Entdeckung vorerst für euch zu behalten. Bartholomäus, sorge dafür, dass Ares bis dahin wieder halbwegs nüchtern ist. Ich muss jetzt gehen, um ein paar wichtige Erledigungen zu tätigen, bevor ich die anderen zusammentrommeln werde.«
Wir nickten und nachdem Kjell sich verabschiedet hatte, stand ich auf und hatte vor, mich in meinem Zimmer im oberen Stockwerk aufs Ohr zu legen, doch Bartholomäus beharrte darauf, dass ich bei ihm blieb. Alle paar Minuten nötigte er mich dazu, etwas Wasser zu trinken, um den Alkohol schneller aus meinem Körper zu spülen. Wir hatten einander nicht viel zu erzählen. Die meiste Zeit saßen wir uns bloß schweigend gegenüber. Nur wenn er bemerkte, dass meine Lider schwer wurden und mir der Kopf auf die Tischplatte zu sinken drohte, zog er mich auf die Beine und brachte mich dazu, mehrmals im Zimmer auf und ab zu gehen. Natürlich gerieten wir deswegen aneinander, aber seine Methode funktionierte. Ich war wieder nüchtern, bevor die anderen eintrafen.
Die meisten Schatten in Al-Khurab waren Männer meines Alters, mit steifen Gesichtern und Augen, denen man den scharfen Verstand ablesen konnte. Nicht alle waren hochgewachsen, die wenigsten muskulös. Die meisten sahen aus, als wären sie besser im Umgang mit Zahlen, als mit dem Schwert, was durchaus zutreffend war. Aber selbst wenn sie eine Spaltaxt nicht von einer Streitaxt hätten unterscheiden können, wäre das nicht weiter aufgefallen. Sie waren nämlich so bewandt darin, sich zu verstellen, dass sie selbst den Hauptmann der Clanwache nach einem kurzen Wortwechsel davon hätten überzeugen können, Elitekrieger zu sein.
Während die zehn Schatten hereinströmten, begrüßten sie weder Bartholomäus noch mich. Sie warfen uns lediglich scheele Blicke zu, bevor sie sich neben uns niederließen. Der Herr der Schatten war der Letzte, der eintrat. Er setzte sich gar nicht erst hin, sondern stellte sich an das freie Tischende und eröffnete die Versammlung ohne viel Aufhebens, indem er unser Gespräch mit Yarran zusammenfasste.
Dann überließ er mir das Wort und ließ mich dafür aufstehen und an seine Stelle treten. Während die Augen der Schatten auf mir lagen, gab ich wieder, was ich Kjell bereits zuvor berichtet hatte. Kaum hatte ich den Mund zugeklappt, da ergoss sich eine Kaskade penibler Fragen über mich. Hatte Yarran mir ins Gesicht geblickt, als er mit mir gesprochen hatte? Hatte er geblinzelt, oder einen Mundwinkel hochgezogen? Wie hatte er gestanden, während er dies und jenes gesagt hatte? Wie oft hatte er mir den Rücken zugedreht? Hatte ich auf seine Hände geachtet?
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Der Halbe Augur [Leseprobe]
Фэнтези⚠️ Veröffentlichung im August ⚠️ ~~~ Das Gleichgewicht der Kräfte hängt am seidenen Faden und in seiner Verzweiflung, den Frieden zu schützen, greift der Königsrat zu immer drastischeren Methoden. Tief verstrickt in diese Machenschaften, stößt der 2...