Kapitel 7 - Bartholomäus

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Es war genau eine Woche vergangen, seitdem der Augur mich angegriffen hatte. Mittlerweile machte ich mir nicht einmal mehr die Mühe, eine Ausrede dafür zu erfinden, warum ich mein Training bei ihm versäumte. So kam es, dass ich nach Kjells Unterricht einfach schnurstracks in Richtung meines Zimmers lief und mich auf einen weiteren gemütlichen Abend freute.

Doch kaum hatte ich mich durch die Geheimtür gedrückt, da sagte eine tiefe Stimme auf Jassara, der Sprache der Steppenclans: »Er hat erstaunlich viel Nachsicht mit dir.«

Mein Kopf schnappte nach links.

Am Tisch in der Mitte meines Zimmers saß ein Mann. Sein tiefschwarzes, lockiges Haar war wie immer geölt. Er trug eine seidene Tunika in königsblauer Farbe. Eine eitle und überflüssige Garnitur für jemanden, der von den Palastbewohnern ohnehin nicht gesehen werden durfte. Für gewöhnlich hielten sich Schatten wie Bartholomäus, deren Haut und Haar zu dunkel und deren Iriden zu farblos waren, um sie als Distriktler durchgehen zu lassen, nämlich stets in jenem Flur des Palasts auf, in dem früher Celestes Eltern residiert hatten. Regulus hatte diesen - vermeintlich aus Trauer - vor Jahren zumauern lassen, sodass er nur über die Geheimgänge erreichbar war. Seither war er mitsamt aller Räume in den Besitz von uns Schatten übergegangen.

Ich schloss die Geheimtür hinter mir. »Bartholomäus.«

Der Schatten lächelte. Ein vorsichtiges, einstudiertes Lächeln. »Ares.« Er zeigte auf eine Tonflasche, die zwischen zwei Kelchen und einem Haufen geöffneter Briefe auf dem Tisch stand. »Da ich nicht davon ausgehe, dass du deinen Magieunterricht noch anzutreten gedenkst, habe ich mir die Freiheit genommen, uns beiden einen guten Tropfen zu besorgen. Ich hoffe, dagegen ist nichts einzuwenden?«

Ich entschied, mitzuspielen und erwiderte sein Lächeln. »Keineswegs«, sagte ich und ließ mich behutsam ihm gegenüber nieder. Während er mir eingoss, glitt mein Blick über die verstreuten Briefe. »War irgendetwas Spannendes dabei?«

»Bloß das Übliche.« Er schob mir den Kelch zu. Nichts an seiner Haltung vermittelte auch nur den leisesten Hauch von Schuld darüber, dass er in mein Zimmer eingebrochen war und meine Post durchstöbert hatte.

»Ich möchte nicht unhöflich sein«, log ich, nachdem wir miteinander angestoßen hatten, »aber wieso bist du hier?«

Bartholomäus nahm einen großzügigen Schluck aus seinem Kelch. »Warum musst du immer so fürchterlich unzugänglich sein? Schon mal darüber nachgedacht, dass ich einfach nur mit dir trinken will, um der guten alten Zeiten willen?«

»Was für gute alte Zeiten? Wir kennen uns kaum.«

»So? Also ich für meinen Teil kann mich noch gut daran erinnern, wie Kjell dich uns vor drei Jahren vorgestellt hat. Du warst ganz anders damals, ganz fahrig und nervös.« Er senkte seine Stimme, als teilten wir ein Geheimnis miteinander. »Und weißt du noch, die ersten Nächte, die du im sicheren Haus in Al-Khurab verbracht hast? Du hast uns alle mit deinen Schreien wachgehalten, aber das ist wohl auch nicht weiter verwunderlich für jemanden, der Horkos gegenübergestanden hat. Einige von uns hatten sogar Wetten laufen, ob du an deinen Albträumen zerbrechen würdest. Und nun sieh dich an! Wie stolz und aufrecht du hier sitzt!« Flüchtig glitt sein Blick zu dem Schrank, den ich schon vor Jahren vor das Guckloch gerückt hatte. »Wie auch nicht anders zu erwarten, von Al-Khurabs zukünftigem Dakahn.«

Er hatte so leise gesprochen, dass ich sogleich annahm, ich hätte ihn missverstanden, bis er ausführte: »Dir ist doch klar, dass unser Meister dich darauf vorbereitet, Yarran zu ersetzen, nicht wahr?«

Ich konnte mir nicht erklären, wie er zu diesem Schluss gekommen war. »Der Rat benutzt meine Magie, um die Clans zu einen. Das ist alles, was man von mir erwartet.«

Der Halbe Augur [Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt