Kapitel 3 - Der Rat

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Es dauerte über eine Woche, bis wir den ersten Distrikt erreichten, was hauptsächlich an den Grenzen lag.

Die Grenzwächter zwischen der Steppe und den Distrikten kontrollierten mit großer Sorgfalt alles, was man mitbrachte, weshalb Kjell und ich die Landesgrenze mit dem Schriftstück durch einen geheimen Tunnel überqueren mussten. Den Inquisitoren an den Distriktgrenzen konnten wir ebenfalls ausweichen, indem wir Schleichwege nahmen.

Doch das alles kostete Zeit und Nerven und deswegen war ich froh, als wir die letzte Grenze hinter uns gelassen hatten und den strahlend weißen Palast auf dem Odir - dem Berg, nach dem die Hauptstadt des ersten Distrikts benannt worden war - thronen sahen.

Oben im Palast angekommen, trennten Kjell und ich uns kurz, um uns in unseren Zimmern zurechtzumachen. Ich hatte wenig geschlafen, denn ich machte mir Sorgen um Krähe. Ich hatte dem Jungen bereits kurz nach unserer Abreise aus Al-Khurab die Prüfungsaufgabe mitgeteilt und ihm auf Kjells Befehl hin bis zum heutigen Tag Zeit gegeben, um sich einen Plan auszudenken. Krähe war geschockt gewesen, aber er hatte nicht versucht, mit mir zu diskutieren. Er hatte nicht einmal gefragt, warum ich ihn mit meiner Magie berührte anstatt ihm einen Brief zu schreiben.

Kjell hatte mich außerdem dazu genötigt, hin und wieder nach meinem Schüler zu sehen. Der Junge war nur selten in seinem Zimmer gewesen, aber die paar Male, als ich ihn dort vorgefunden hatte, hatte er zusammengesunken auf seiner Matratze gesessen und vor sich ins Leere gestarrt, voller düsterer Gedanken, die ich Kjell nicht mitteilte, weil sie ihn rein gar nichts angingen. Das sagte ich ihm auch so.

Mit nervös klopfendem Herzen wusch ich mich und schlüpfte danach in frische Kleidung. Gerade war ich dabei, mir die Weste zuzuknöpfen, da sah ich in der Reflexion des Spiegels, wie sich die Geheimtür öffnete und Kjell eintrat.

Ich ließ von den Knöpfen ab, denn meine Finger fühlten sich plötzlich ganz kalt an, und drehte mich langsam zu ihm um. »Wirst du ihn wirklich verbannen, sollte er durch die Prüfung rasseln?«

»Wenn er sie nicht besteht, werden wir ganz andere Sorgen haben, als seine Verbannung«, sagte Kjell nüchtern. »Es genügt ein Fehltritt seitens der Rhenari, um die Sanael dazu zu bewegen, ein Exempel an einer der Geiseln zu statuieren. Was dann geschehen wird, würde uns um mehrere Jahrzehnte zurückwerfen.«

Ich schlug die Augen nieder.

»Glaub mir, Junge«, seufzte Kjell, »ich hätte auch lieber einen erfahreneren Schatten an Thoraks Seite gewusst. Aber Krähe hat nun einmal die Zügel ergriffen, ohne das Pferd zu kennen, und nun muss er die Konsequenzen tragen.«

Ich schnaubte bitter. »Du musst nicht um den heißen Brei herumreden. Ich weiß, ich habe bei Krähe versagt. Ich war ihm kein guter Lehrmeister, sonst hätte ich...« ... ihm beigebracht, blind zu gehorchen? Nicht aus der Reihe zu tanzen? Wegzuschauen und zu nicken?

»Du hast nicht versagt. Sich mit den Konsequenzen seines Handelns auseinanderzusetzen ist eine Lektion, die jeder Schattenlehrling früher oder später durchlaufen muss. Du warst nicht anders, falls du dich noch entsinnen kannst... Ares, ich hätte ihm keine solch schwierige Prüfung zugemutet, wäre ich nicht der Überzeugung, dass er sie mit fliegenden Fahnen bestehen kann. Alles, was du tun musst, ist sicherzugehen, dass er die richtigen Entscheidungen trifft. Übrigens wird sich der Rat in einer Stunde zusammenfinden. Bis dahin sollten wir erfahren haben, wie Krähe die Sache anzugehen gedenkt.«

Ich nickte, schloss die Augen und atmete tief ein.

›Bist du bereit?‹, fragte ich meinen Dämon.

›In erster Linie bin ich müde‹, lautete Fenris' mürrische Antwort.

›Du bist nicht müde, dir gefällt diese Prüfung nur genauso wenig wie mir. Aber es führt kein Weg daran vorbei.‹

Der Halbe Augur [Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt