Akt 4: Countdown

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Noch drei Stunden bis zum Gig – So sehr hatten Jerrys und Bens Köpfe noch nie geraucht, was einiges zu sagen hatte.

In Bens Mund lag ein dreiköpfiger Dübel und er glühte wie wild, während Ben sich jedes einzelne Wort der Songs notierte. Fakt war, selbst ohne DAS ZEUG und ihrer neuesten Sorte Torpedo, hörte sich ihre Musik ganz solide an und das war echt nett zu erfahren. Inzwischen hatte er sich vier Songs notiert und sagte sie leise in Dauerschleife auf. Leider kam er dabei oft durcheinander und dass die Schneeflocken dort draußen so seelenruhig herumwehten, lenkte ihn ganz schön ab.

Indessen klimperte Jerry hochkonzentriert die Griffe nach, die er auf dem verwackelten Bild erkennen konnte. Manchmal musste er sich jedoch rein nach seinem Gehör richten und das war bei Julias schiefem Gegröle im Hintergrund nun wirklich nicht leicht.

„Ach, das wird niemals was, ich brauche eine Pause." Jerry seufzte entmutigt und rutschte langsam, aber stetig vom Sofa herunter. Er fand sich im Schneidersitz auf dem Boden wieder, schloss die Augen und meditierte vor sich hin, wobei vegetieren sicherlich der bessere Ausdruck für seine jetzige Lage gewesen wäre. Ben tat es ihm gleich und sah wie hypnotisiert den Schneeflocken zu.

Noch zwei Stunden - Jerry stoppte das Video.

„Wow, so bereitet man sich also aus Essenswettkämpfe vor." Die Beiden wussten selbst nicht, wie es passiert war. Aber „Nur 5 Minuten Pause" war bei 500 Schneeflocken und eine Kurzdoku über Wettkampfessen in Georgia geendet. Ben schaute auf die Uhr. Nicht einmal mehr Rauchen konnten ihre jetzige Lage jetzt noch retten. Es sei denn – aber das wäre ein Ding der Unmöglichkeit.

„Wir müssen wieder ran, wenn wir in einer Stunde nicht spätestens sieben Songs vorweisen können, sind wir geliefert."

„Welche kannst du denn schon?"

Ben sah auf sein kaum lesbares Gekritzel, fuhr sich ratlos über den kahlen Kopf und antwortete:„Keine Ahnung, vielleicht einen Halben?"

Was Jerry paradoxerweise ungemein beruhigte, denn er konnte ebenso wenig.

Noch 1 Stunde und 58 Minuten - „Das wird ein Impro-jam. Ich mache ein Solo und du baust hier und da ein bisschen Refrain rein." Das sagte Jerry übrigens, während er einen Handstand an der Wand machte. Die Gitarre war inzwischen säuberlich beiseite geräumt.

„Dude, wir schreiben Geschichte auf der Bühne, wortwörtlich", krächzte Ben, dann hauchte er Rauchringe in die Luft. Einer kleiner als der andere.

Noch 1 Stunde und 57 Minuten - „Nein, Mann, das können wir nicht bringen. Tante Donna wird überall herumposaunen, dass sie es wusste." „Was wusste sie denn?" Jerry lag inzwischen auf dem Boden, sein fragiler Kopfstand war zusammengebrochen. Sport war ohnehin nie seine Lieblingsbeschäftigung gewesen. Er spielte gerade ernsthaft mit dem Gedanken, eine Karriere als Wettesser in Georgia in Betracht zu ziehen – nur für den Fall der Fälle, dass er sich hier nie wieder blicken lassen konnte.

„Du kennst ihre gemeinen Kommentare doch. Wir kriegen nichts auf die Reihe, wir leben wie Studenten, sind den ganzen Tag bekifft. Bla bla bla."

„Naja, sie hat nicht unrecht." Ben sah Jerry geschockt hat. Das hatte er gerade nicht wirklich gesagt! Erneut stand Ben auf und stellte sich vor seinen auf den Boden zusammengekrümmten Freund. Dann stemmte er die Hände in die Hüften und atmete tief und geräuschvoll ein. In diesem Augenblick wusste Jerry, das würde eine lange, einschläfernde Rede werden.

Noch 1 Stunde und 20 Minuten - Jerry und Ben waren voller Euphorie. Sie hatten vier Songs durchgespielt und einer fiel den Beiden sogar ganz von allein wieder ein. Zugegeben, es war der erste Song, den sie jemals geschrieben hatten, aber jetzt hieß es: Nehmen, was man kriegen kann. Eine Zeitlang freute sich Jerry richtig auf den Auftritt. In Gedanken sah er schon, wie er umgeben von einer schimmernden Atmosphäre das Solos seines Lebens spielte, während Sally ihm begeistert zujubelte. Ben's Tagtraum sah exakt gleich aus, nur, dass er extrem lang den Ton hielt und anstelle von Sally, Julia in der ersten Reihe stand. In seiner Vorstellung war ihre Haarfarbe ein sanftes Apricot, was ihm ein verträumtes Lächeln auf den Mund zauberte.

Noch 1 Stunde und 10 Minute - Sie würden niemals Rockstars sein. Erst würden sie diesen Gig vermasseln, dann würde sich Ben mit der Erdnussbutter vertun und zu crunchy anstatt creamy greifen und am Ende wäre Jerry methabhängig und Ben war gezwungen, die Zahnbürste mit Tante Donna zu teilen. Ja, die zwei dampfenden Freunde hatten inzwischen alle Schreckensszenarien durch. Zu allem Überfluss mussten sie dann noch eine Bemerkung seitens des Harris-Jungen über sich ergehen lassen. Dieser drückte sein Gesicht am Fenster platt und schrie ohrenbetäuben dlaut: „MOOOOM, ich will auch eines Tages in der Band von Jerry und Ben trommeln!".

Dann rannte er auch schon wieder auf und davon. Daraufhin fiel ihnen ein, dass sie nicht nur ihren Schlagzeuger, sondern auch ihre Bassistin vergessen hatten zu kontaktieren. Zum Glück besaßen die Zwei ebenfalls Festnetznummern und unsere Freunde mussten kein zweites Mal nach ihrem Motorola suchen, das schon wieder auf magische Weise abhandengekommen war. Als Berry (der Schlagzeuger) und Jen (die Bassistin) murrend zusagten, fiel ihnen jedoch ein Stein vom Herzen.

Noch eine Stunde - Jerry und Ben beluden den Cutless Supreme mit Jerry's Gitarre. Die letzten 10 Minuten hatten sie sich noch drei Songs in die Köpfe gehämmert. Inzwischen beherrschten sie 7, vielleicht ganz vage 8 Songs. Ihre Laune war dahin. Eine richtige Bühnenshow lag ihnen ferner denn je. Eigentlich sehnten sich beide nur noch nach einem warmen Bett, zwei Chipstüten und Dave 's Auftauchen - das wäre die Rettung in letzter Sekunde. Als sich beide in den Wagen setzten, erwähnte Jerry etwas, das Ben nachdenklich stimmte: „Wäre uns heute nicht DAS ZEUG ausgegangen, hätten wir den Song von gestern bestimmt auf der Bühne gespielt."

Jerry nickte. „Ja, mein Freund, das hätten wir."

„Dude, glaubst du, dass deine Augen auch so abgefahren auf der Bühne geploppt hätten?" Jerry zuckte mit den Schultern. „Das wäre bestimmt legendär geworden." 

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