Nach dem Sturm

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Als sie wieder wach wurde, war es beinahe totenstille. Ihre Augen mussten sich erst an das dämmrige Licht gewöhnen. Eliza schlief an sie geklammert und atmete ruhig. Nach und nach nahm sie das Chaos um sie herum war und jetzt hörte sie neben einem leisen Plätschern auch leise dumpfe Stimmen von außen. Vorsichtig trug sie Eliza zu ihrer Koje und deckte sie sorgsam zu. Die Stimmen draußen wurde lauter. Sie hörte wie ihr Name gerufen wurde. Daher watete sie durch das knöcheltiefe Wasser zur Tür und öffnet sie. Da stand Julian vor ihr: „Selina, Gott sei es gedankt. Geht es Eliza auch gut?" Sie nickte nur. Erleichtert schloss er sie fest in seine Arme und sie ließ ihren Tränen freien Lauf. „Ich habe solche Angst gehabt, dass unsere letzten Stunden geschlagen hätten", flüsterte sie tränenerstickt. Er strich ihr sanft durchs Haare und antwortete leise: „Es ist vorbei und alles wird wieder gut." Nachdem sie sich vergewisserten hatten, dass Eliza noch fest schlief, folgte sie Julian an Deck. Dort bot sich ein Bild der Zerstörung. Takelage, zerfetzte Segel und geborstenes Holz lagen über das Deck verteilt. Dazwischen Menschen, denen man die Schrecken und die Anstrengungen der letzten Nacht noch ansehen konnte. „Dem Schiff und der Mannschaft hat der Sturm ziemlich zugesetzt. Es gibt etliche Verletzte und auch Tote sind zu beklagen. Das Schiff ist derzeit manövrierunfähig.", berichtete Julian als sie sich umsah. „Oberste Priorität ist das Schiff wieder segelfähig zu machen und dafür wird jede noch einsatzfähige Hand gebraucht." Sie nickte: „Ich werde mich um die Verletzten kümmern. Eliza kann mir da sicher ein wenig zur Hand gehen." „Danke!", antworte er dankbar und küsste ihre Hand. Selina verliess das Deck und kehrte zu Eliza in die Kajüte zurück. Zusammen mit Eliza bereite sie einen Bereich unter Deck vor wohin man die Verletzten brachte. Sie war erstaunt und dankbar, dass Eliza trotz ihrer jungen Jahre recht gut mit dem Anblick von Blut und Verletzungen umging. So kümmerten sie sich beide um die Verletzten und die verbliebenen Männer um das Schiff. Unter ihnen auch Thomas, der nach der Versorgung einer Kopfplatzwunde auch wieder mit anpackte. Jeder half mit so gut es eben ging. Die Sonne berührte bereits den Horizont als bei den Männern an Deck gedämpfter Jubel ausbrach. Selina ging zum Niedergang als ihr Julian entgegen kam. Völlig erschöpft aber erleichtert berichtet er: „Wir haben es geschafft, das Schiff ist wieder manövrier- und mit Einschränkungen auch wieder segelfähig. Es gibt also wieder Hoffnung." „Sehr gut.", sie lächelte erleichtert. „Ihr müsst euch jetzt aber dringend ausruhen.", fügte sie besorgt hinzu. Er nickte nur und schleppte sich mit letzter Kraft in seine Kajüte. Sie brachte Eliza mit der guten Nachricht ins Bett und kehrte dann zu den Verletzten zurück. Erst als alle zufriedenstellend versorgt waren und Ruhe an Bord eingekehrt war, suchte sie auch völlig erschöpft ihre Koje auf.
Am nächsten Tag teilte Julian Selina mit, dass der Kapitän und er entschieden hätten, den nächstgelegenen Hafen anzulaufen, um das Schiff reparieren zu können. Damit verbunden wäre natürlich ein längerer Aufenthalt, denn es würde seine Zeit brauchen, bis das Schiff wieder komplett seetüchtig sei. Er werde versuchen, für sie und seine Tochter eine adäquate Unterkunft an Land zu finden bis das Schiff repariert sei. Selina fragte leise: „Und wo werdet ihr solange wohnen?" Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, alleine in einer fremden Stadt in einem fremden Haus ohne den Schutz von Julian und der Schiffsbesatzung leben zu müssen. Als habe er ihre Gedanken erraten, antwortete er lächelnd: „Keine Angst, ich werde schon für euere Sicherheit und euer Wohlergehen sorgen und wenn es die Zeit zu lässt, nach meiner Tochter und euch schauen." Julian nickte ihr aufmunternd zu und ging. Seine Worte hatten es allerdings nur bedingt geschafft, ihre Sorgen zu zerstreuen. Die beängstigende Begegnung in Gascona war noch immer präsent in ihrem Kopf und der Gedanke, dass sie Julian in der Zeit recht wenig zu Gesicht bekommen würde, besorgten sie.
Als sie Abends nach der Versorgung der Verletzten noch nach Eliza sah und sich selbst bettfertig machte, dachte sie noch mal über seine Worte vom Mittag nach. Sie hatte grundsätzlich nichts dagegen, nach den Ereignissen der letzten Tage wieder ein paar Tage an Land zu verbringen und sicherlich täte es Eliza ebenso gut. Aber es machte ihr auch ein wenig Angst, da sie damit auch ihr sichere Zuflucht verlassen musste. Auf dem Schiff mit diesen Menschen, denen sie inzwischen vertraute und wo sie eine Art Heimat gefunden hatte, fühlte sie sich sicher und frei von Sorgen. Daran hatte auch die schwere Sturmnacht letztlich nichts geändert. Dazu kamen noch ihre verwirrende Gefühle für Julian. Er war schliesslich immer noch ihr Dienstherr und sie seine Untergebene. Es war doch letztlich töricht zu hoffen, dass ein Mann von seiner gesellschaftlichen Stellung sich ernsthaft mit einer Untergebenen einlassen würde. Die Lektion hatte sie bei ihrer Mutter gelernt und die Konsequenzen am eigenen Leib verspürt, wenn man sich zu sehr von einem höhergestellten Herrn abhängig macht. Sie würde diesen Fehler bestimmt nicht machen. Sie schloss die Augen und hörte plötzlich durch das Dunkel Eliza's Stimme. „Selina, bist du wach?" „Ja, mein Schatz. Aber warum schläfst du nicht?" „Mein Kopf lässt mich nicht schlafen, da sind gerade zu viele Gedanken und Fragen drin." „Oh, das ist natürlich nicht gut. Magst du mir mitteilen, was dich gerade so beschäftigt, dass dich nicht schlafen lässt?" „Darf ich dich was fragen?" „Ja, natürlich." „Hast du meinen Papa und mich lieb?" Selina verschlug es erst einmal die Sprache. Dann antworte sie ehrlich: „Natürlich habe ich dich und deinen Papa lieb." „Ich wünsche mir nämlich, dass du meine Mama wirst und für immer bei mir und Papa bleibst. Ich habe nämlich gestern geträumt, dass du uns verlässt, wenn wir wieder nach Hause kommen. Ich werde meinen Papa bitten, dich zu heiraten, damit du für dann für immer bei uns bleiben kannst." Selina seufzte: „So einfach geht das leider nicht, mein Schatz." „Aber warum nicht?", bohrte Eliza nach. „Das ist nicht so einfach zu erklären. Dein Vater ist ein reicher Geschäftsmann, der eine anerkannte Stellung in der Gesellschaft hat und ich nur eine arme Gouvernante. Das passt einfach nicht. Dein Vater findet bestimmt eine Frau, die besser zu seiner gesellschaftlichen Stellung passt." Die letzte Erklärung war mehr an sie selbst als an Eliza gerichtet. Eliza began zu schluchzen. „Ich will aber nicht eine andere Frau als Mama, ich will, dass du meine Mama wirst.", antwortete sie ein wenig trotzig. Selina stand noch mal auf und ging zu Eliza hinüber. Sie strich ihr liebevoll über die Wangen und wischte ihre Tränen weg. „Es gibt vieles was wir uns erträumen und erhoffen. Vieles scheint unerreichbar, doch wer die Hoffnung nicht aufgibt und geduldig ist, der wird am Ende doch belohnt und der eine oder andere Wunsch erfüllt sich doch noch." Sie gab Eliza einen Kuss auf die Stirn. „Jetzt schlaf gut, mein Schatz."

Vertrauen und HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt