(Ein)Blicke

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Julian saß in seiner Kajüte an seinem Schreibtisch über einem Stapel Papiere gebeugt, als plötzlich die Tür aufflog. „Papaaa!" Eliza stürzte aufgeregt herein. „Papa, komm schnell! Das musst du dir anschauen. Komm!" Eliza zerrte energisch an dem Arm ihres Vaters. „Langsam, langsam, ich komme ja. Was gibt es denn so aufregendes?" Bereitwillig ließ sich Julian von seiner Tochter mitnehmen. „Ganz große Fische. Und die pusten Wasser ganz hoch in die Luft.", sprudelte es aus ihr heraus. „Selina, hat gesagt, das sind Wale. Wie der in der Biebel, der Jona verschluckt hat." Auf Deck angekommen, zog sie ihn an die Reling, dort wo bereits Selina stand. Diese lächelte verlegen: „Verzeihen Sie, aber ich konnte Eliza nicht davon abbringen, sie zu holen." „Schau doch Papa, dort!" Eliza wies auf eine Wasserfontäne, die aus dem Wasser in Höhe schoss und hüpfte vor Freude von einem Bein auf das andere. „Weißt du denn auch, was das für ein Wal ist?", fragte Julian seine Tochter. Eliza schüttelte den Kopf und sah Selina fragend an: „Was ist das für ein Wal?" Selina spürte, wie Eliza und auch Julian sie erwartungsvoll ansahen und auf ihre Antwort warteten. Sie überlegte kurz und gab dann leicht errötet zu: „Das kann ich auf die Entfernung schlecht erkennen. Ich vermute mal, dass es sich bei der Größe um einen Blau- oder Bartwal handelt." Sie warf Julian einen leicht verlegenen Blick zu. Eliza drehte sich zu ihrem Vater um: „Weißt du es besser?" „Tatsächlich weiß ich es auch nicht besser. Miss Linnard hat schon Recht, das kann man auf diese Entfernung wirklich nicht erkennen." Er sah dabei allerdings Selina an und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Sie erwiderte sein Lächeln. Für einen kurzen Augenblick trafen sich ihre Blicke und blieben an einander hängen, bis ein aufgeregter Aufschrei von Eliza sie wieder in Realität zurückholte. „Da! Da ist noch einer! Schaut, was der mit seiner Schwanzflosse macht." Beide mussten über den begeisterten Ausruf von Eliza lachen. Julian nahm seine Tochter auf die Schultern und rief ihr zu: „Matrosin Eliza, machen sie mir sofort Meldung, wenn sie noch weitere Wale sichten." Dann eilte er mit einer laut kichernden Eliza die Reling entlang. Selina hatte Julian schon lange nicht mehr so unbefangen und vergnügt erlebt. Sie selbst spürte ein seltsames Kribbeln in ihrer Brust und ein ungewohntes Glücksgefühl breitete sich in ihr aus. Später schallte sie sich selber als töricht. Wie konnte sie nur ein kurzer Blick, ein kurzes Lächeln von ihm so aus der Fassung bringen? Er war schließlich immer noch ihr Herr, ihr Arbeitgeber. Wo blieben ihre Manieren, ihr Respekt? Trotz allem konnte sie insgeheim nicht verhehlen, dass sein Blick eine Spur in ihrem Herzen hinterlassen hatte. Nur ganz kurz hatte sie eine andere Seite von ihm in seinem Blick gesehen. Tief in ihm drin war etwas, was er bis jetzt vehement vor ihr verborgen hatte. Nur für diesen kurzen Augenblick hatte ein junger Mann vor ihr gestanden, neugierig und auch verletzlich, der sich nach Liebe sehnte. So wie sie.

Doch kurze Zeit später war sein Verhalten ihr gegenüber wie vorher höflich distanziert, als er ihr Eliza wieder übergab. Danach zog er sich wieder in seine Kajüte zurück. Selina ließ er mal wieder verwirrt und nachdenklich zurück. Doch Eliza ließ ihr Gottseidank nicht viel Zeit sich weiter Gedanken zu machen. Sie ließ Eliza in den Büchern nach Bildern von Walen suchen und lass ihr Geschichten über diese majestätischen Tiere vor. Später brachte sie Eliza für ihren Nachmittagsschlaf zu Bett und ging wieder an Deck. Sie spürte sofort, dass eine angespannte Stimmung an Deck herrschte und sie schaute in sorgenvolle Gesichter. Bald entdeckte sie auch den Grund dafür. Am Horizont war eine tief schwarze und undurchdringliche Wand aufgezogen. „Sie kommt direkt auf uns zu!", rief einer der Matrosen. Der Kapitän machte eine sorgenvolles Gesicht, aber gab ruhig seine Befehle. Thomas sagte zu ihr: „Bitte Miss, gehen sie wieder unter Deck, in den nächsten Stunden wird es etwas ungemütlich werden. Alles was lose ist, am besten gut festbinden." Dann eilte er davon. Blitze zuckten bereits über den Himmel gefolgt von Donnerrollen. Sie eilte unter Deck und begegnet auf ihrem Weg Julian. „Passen sie auf sich auf!", sie sah Julian beinahe bittend an. Einen kurzen Augenblick zögerte er, sie war schon fast an ihm vorbei, da griff er nach ihrer Hand und hielt sie fest. „Ich weiß, das ist jetzt sicherlich nicht der richtige Zeitpunkt, aber vielleicht habe ich ja später nicht mehr die Gelegenheit. Ich weiß, mein Verhalten muss ihnen mit unter seltsam und auch verletzend vorgekommen sein. Ich möchte mich dafür bei ihnen entschuldigen. Der Grund dafür liegt in meiner Vergangenheit." Er zog sie näher an sich und sah sie wieder mit diesem sehnsüchtigen Blick an. Er war ihr ganz nah, sie konnte seinen Atem spüren. „Selina, ich....." Ein lauter Donnerschlag unterbrach ihn, das Schiff neigte sich plötzlich zur Seite. Erschrocken starrten beide zum Niedergang „Geh in die Kajüte und kümmere dich um meine Tochter", rief er und eilte davon. Selina nickte nur und lief zurück zu ihrer Kajüte, wo Eliza weinend ihn ihrem Bett sass. Draußen war nun die Hölle des Gewittersturmes losgebrochen, dessen gewaltige Kraft man bis in das Schiffsinnere spürte. Selina und Eliza kauerten sich angstvoll in einer Ecke unter einer Decke zusammen und erlebten, wie das Schiff schutzlos den zerstörerischen Elementen ausgesetzt war.

Vertrauen und HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt