Chapter 6

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Der nächste Tag war ein verregneter Samstag, und somit hätte Zoro ihn eigentlich gemütlich mit einer Tasse Tee und einem guten Film daheim verbringen können, wie es sich für solche Tage gehörte. Stattdessen stand er den ganzen Vormittag auf dem alten Fußballplatz drei Straßen von seiner Wohnung entfernt, unter dem spärlichen Schutz dreier knorriger Eichen und mit seinen Übungsschwertern in den Händen. Bis vor ein paar Jahren hatte er regelmäßig Stunden in einem Dojo genommen, doch er war ausgestiegen, nachdem der Lehrer nichts mehr wusste, was er ihm hätte beibringen können. Nun sorgte er selbstständig dafür, dass er nicht aus der Übung geriet, ging nur noch ein paar Mal im Monat hin, um seine Reflexe scharf zu halten, und verbrachte einige Abende in der Woche auf dem kaum benutzten Platz, um seine Routine durchzugehen.

Die Betonung lag auf Abend. Unter normalen Umständen käme er nie auf die Idee, sich Samstagvormittags in den Regen zu stellen, als wüsste er keine schönere Beschäftigung. Er konnte Regen nicht ausstehen. Doch er brauchte Zeit zum Nachdenken. Zeit, die er nicht in der Gesellschaft eines Prinzen mit goldenen Haaren und unverschämten Kommentaren verbrachte. Es reichte schon, dass ihm der Abend mit ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Sein Lachen, seine blauen Augen und sein eigenes bescheuertes Herz, das plötzlich komplett verrückt gespielt hatte. Die halbe Nacht lang war er wach gelegen, und als er doch endlich weggedämmert war, war der Schlaf kurz und traumlos gewesen, und er hatte sich nach dem Aufwachen gefühlt, als wäre er von einem Troll überrollt worden. Vermutlich konnte er mit seinen Augenringen sogar Law Konkurrenz machen.

Solche Gefühle waren neu für ihn, doch er war nicht blöd genug, um nicht zu wissen, was sie bedeuteten. Nämlich einen ganzen Haufen Ärger, wenn er nicht aufpasste. Er ging hier schließlich um Sanji, das durfte er auf gar keinen Fall vergessen. Nicht dass er das überhaupt könnte. Aber er hatte ihn entführt. Ihn durch ein Fenster geworfen. Sie hatten die ganze letzte Woche gestritten und sich gegenseitig angefaucht. Wenn Sanji also nicht hellauf begeistert von ihm war, konnte er ihm das kaum verdenken. Und kaum schaffte es die blonde Nervensäge, sich einen Abend lang wie ein zivilisiertes Wesen zu verhalten, winkte ihm sein Hirn zum Abschied und machte sich auf die Socken. Unbrauchbares Stück.

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Als er tropfend und mit durchweichten Kleidern nach Hause kam, saß Sanji im Schneidersitz auf dem Sofa und las Zeitung. Zoro unternahm erst einen kurzen Abstecher ins Badezimmer, um heiß zu duschen und sich trockene Kleider anzuziehen, bevor er sich zu ihm gesellte. Sanjis Blick hatte sich auf dem Papier verloren; er schien seinen Gedanken nachzuhängen, statt den Artikel wirklich zu lesen. Als Zoro hinter ihn trat, hob er den Kopf und blätterte dann schnell eine Seite weiter. Zoro tat, als hätte er es nicht bemerkt.

„Ein Horoskop?", fragte er mit einem Blick auf die nun aufgeschlagene Seite. „Dir muss ja wirklich ganz schön langweilig sein."

Sanji schien zu beschließen, dass dies nun seine beste Ablenkungsstrategie war, und gab vor, aufmerksam zu lesen.

Zoro folgte seinem Blick auf eine der Spalten. „Du bist Jungfrau?"

Sanji antwortete abgelenkt mit einem „Ja". Dann fiel ihm auf, was er da eigentlich gerade gesagt hatte, und er wurde rot bis in die Haarspitzen. „Ähm, ich meine, mein Sternzeichen ist Fische."

Zoro konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Es sah auch einfach zu süß aus, wie Sanji sein Gesicht hinter seinen blonden Haaren zu verstecken versuchte. „Das passt ja zu dir", sagte er. „Ich bin Skorpion."

„Das passt aber auch ganz gut", meinte Sanji. „Obwohl ich eigentlich dachte, dass Gärtnern nicht so deine Stärke wäre."

Er zeigte auf die Spalte unter dem Bild des Skorpions, in der stand: << In dieser Mondphase gedeihen Ihre grünen Schützlinge beinahe von selbst. >>

„Außer natürlich, sie meinen damit deine Haare. Dann solltest du vielleicht schon mal einen Termin beim Friseur ausmachen."

„Mm-hm", machte Zoro abwesend. Ihm war gerade die nächste Zeile seines Horoskops aufgefallen.

<< Ihre große Liebe steht direkt neben Ihnen. Sie müssen nur einen Schritt auf sie zu machen. >>

Er hielt nichts von Horoskopen. Absolut rein gar nichts. Und dennoch hatte ihn dieser Satz getroffen wie ein äußerst präzise geworfener Ziegelstein. Dabei wusste er genau, dass die Elfen, die diese Horoskope verfassten, sich selten genug die Mühe gaben, ihre Seherfähigkeiten auch wirklich einzusetzen. Meist rauchten sie nur irgendein Kraut, von dem Zoro gar nicht so genau wissen wollte, was es war, und hatten einen Heidenspaß daran, sich unsinnige Wahrsagungen aus den Fingern zu saugen. Aber diese Gewissheit änderte leider auch nichts an dem unangenehmen Gefühl in seinem Bauch. Und er wusste selbst, wie blödsinnig das war. Er kannte Sanji jetzt wie lange – anderthalb Wochen? Und eine davon hatten sie mit Streitereien und gegenseitigen Drohungen verbracht. Also nicht gerade die beste Basis für eine „große Liebe".

Sanji wandte sich um und musterte ihn. „Alles okay?"

„Ja", sagte er. Dann hielt er kurz inne. „Warte hier", fügte er hinzu, wobei er nicht auf Sanjis verwirrten Gesichtsausdruck achtete. Er ging zurück in den Eingangsbereich. Als er wieder zum Sofa zurückkam, wandte er sich wieder an Sanji.

„Ich habe die Schutzzauber aufgehoben. Du kannst gehen."

Sanji sah ihn an, als habe er plötzlich den Verstand verloren. „Was?"

„Du hast gehört, was ich gesagt habe. Du kannst gehen", wiederholte er. „Wenn du das willst."

Er hatte Sanji schon viel zu lange hier festgehalten. Die ganze Aktion hatte von Anfang an auf extrem wackligen Beinen gestanden, und mit dem Gedanken an eine Entführung konnte Zoro sich schon sein ganzes Leben lang nicht anfreunden. Jetzt hatte er es doch durchgezogen, und man sah ja, was es ihm gebracht hatte. Lieber ließ er den Prinzen gehen und nahm sich damit selbst jede Chance auf ein einigermaßen normales Leben, als dass er weiter dieses... dieses Risiko einging. Er wusste, was seine Gefühle für Sanji waren. Er wusste, dass sie mehr waren als etwas vorübergehendes. Und er wusste, dass sie nur stärker werden würden, jeden Tag, den Sanji bei ihm verbrachte, bis zu dem einen, an dem er ihn unweigerlich verlassen und mit einer unerträglichen Leere in seiner Wohnung und in seinem Herzen zurücklassen würde. Es war besser, ihn jetzt gehen zu lassen, bevor das passierte. Auch so war es schon schmerzhaft genug. Doch es war die richtige Entscheidung. Er würde ein Leben in Schande jederzeit einem mit zersplittertem Herzen vorziehen.

Doch dann sagte Sanji ein einziges Wort, das Zoros Welt gleichzeitig komplett aus den Angeln warf und sie wieder gerade zu richten schien.

„Nein."

Zoro musste wohl ziemlich blöd geschaut haben, denn Sanji fügte hinzu: „Wo sollte ich denn hingehen? Ich habe nichts anderes als... als das hier. Als dich. Ich habe keine Wohnung, keinen Job, kein Geld. Keine Familie, die mich aufnehmen würde. Ich weiß noch nicht einmal, wie ich mich in dieser Stadt zurechtfinden sollte. Vielleicht bin ich ein Prinz...", seine Stimme nahm einen bitteren Unterton an, „... aber dafür bin ich ziemlich wertlos. Das Einzige, was ich tun kann, ist, dir zu helfen. Und wenn ich dafür das Entführungsopfer spielen muss, dann bitte schön."

Er lächelte traurig. „Und außerdem beginne ich langsam, mich hier wohlzufühlen. Also, wenn du mich noch haben willst..."

Den Rest seines Satzes ließ er verklingen. Zoro sah ihn einen langen Moment nur an, wie er da auf seinem Sofa saß, im Schneidersitz und mit der gefalteten Zeitung im Schoß, und mit diesen blauen Augen, die ihn mit einer Mischung aus Trauer und Verlegenheit ansahen.

Dann sagte er leise: „Du bist nicht wertlos. Niemand der dich kennt würde so etwas sagen."

„Und du kennst mich?"

„Gut genug."

Sanji konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf seine Züge stahl. Dann unterbrach er schließlich die kurze Stille, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte.

„Ich will aber trotzdem, dass du mir die Stadt zeigst."

„Natürlich."

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