Chapter 2

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Am Nachmittag verließ Zoro den Laden, nachdem er einer äußerst anspruchsvollen Kundin entkommen war, indem er sie nach einer Stunde erfolgloser Beratung an Kidd weitergereicht hatte. Die Kunden waren einfach nicht sein Ding, das konnten die anderen beiden besser. Normalerweise musste er sich auch gar nicht mit ihnen auseinandersetzen, sondern arbeitete nur in der Werkstatt an den Schmuckstücken, doch heute war so viel losgewesen, dass er einspringen musste. Erleichtert seufzt er, als die Ladenglocke hinter ihm seinen Feierabend verkündete. Wie man es schaffen konnte, sich nach einer Stunde nicht zwischen zwei Paaren fast identischer Perlenohrringe zu entscheiden, war ihm ein echtes Rätsel.

Er schlug den Weg nach Hause ein. Die Werkstatt befand sich im Herzen des Einkaufsviertels, direkt neben einem Modegeschäft und einem Café. Er folgte der Einkaufsstraße vorbei an Friseuren, Bäckern, Buchhandlungen und dem Geschäft einer Waldhexe, die auf leuchtend gelben Plakaten Heilmittel und Liebeszauber anbot, bis er sich schließlich in einem deutlich weniger belebten Wohnviertel landete. Bis zum Stadtrand, wo sich seine Wohnung befand, müsste er noch eine halbe Stunde zurücklegen. Eigentlich könnte er auch einfach den Bus nehmen, aber es gab nichts Schlimmeres als enge, überfüllte Fortbewegungsmittel, von daher verließ er sich lieber auf seine eigenen Füße.

Schließlich kam er an dem kleinen Wohnhaus an, in dem sich seine Wohnung befand. Es lag ziemlich am Rand der Stadt in einer ruhigen Straße, in der die meisten Häuser kleine Vorgärten hatten, in denen Blumen und Gartenzwerge um die Wette leuchteten. Die Nachbarin, eine hochgewachsene Fee mit rotblonden Haaren, grüßte ihn im Vorbeigehen. Soweit Zoro wusste, waren sie beide die einzigen Nicht-Menschen in der Straße, wenn man den Law, den Vampir in der Nummer 11, nicht mitzählte, und ob die als Nicht-Menschen zählten, wusste noch immer keiner so recht.

Zoro öffnete die Eingangstür, stieg hoch in den ersten Stock und wollte gerade seine Haustür aufsperren, da traf ihn die Erkenntnis wie ein Güterzug. Ihm war eine Idee gekommen, wie er sich aus seiner Situation befreien konnte. Er öffnete die Tür, warf seine Schlüssel auf die Kommode und stürmte durch die offene Küche ins Wohnzimmer, wo er sein Manual aus einer Schublade herauskramte. Dann ließ er sich damit auf dem Boden nieder und schlug es im Kapitel „Entführungslehre" auf. Nach einigen Minuten aufmerksamen Lesens kam er schließlich zu dem Schluss, dass seine Idee funktionieren könnte. Sie könnte sogar ganz hervorragend funktionieren. In dem Drachenhandbuch wurde an keiner Stelle explizit erwähnt, dass die Prinzessin wirklich weiblich sein musste. Klar, der Titel Prinzessin setzte eine gewisse Weiblichkeit voraus, aber wenn man es genau nahm, war in dem Manual immer nur die Rede vom „Subjekt aus direkter königlicher Abstammung (kurz: Subjekt)". Die Herrscherfamilie dieses Königreichs hatte drei Söhne. Er würde nur zu ihrer Villa fliegen müssen und könnte sich sogar noch einen aussuchen! Die Idee hätte ihm aber auch wirklich früher kommen können.

Erleichtert klappte er das Handbuch zu und legte es auf seinen angestammten Platz zurück (den es gerade eben zum ersten Mal seit zwölf Jahren verlassen hatte). Es war zwar ein unkonventionelles Vorhaben, aber erstens hatte er sich um so etwas noch nie geschert, und zweitens war es die einzige Möglichkeit, die ihm blieb. Ohne Prinzessin würde er sein ganzes Leben als derjenige gelten, der es versemmelt hatte. In allen Bereichen. Er würde für immer ein als junger Drache angesehen werden, weil man sich den Erwachsenenstatus erst mit erfolgreicher Entführung sichern konnte, und das brachte eine ganze Reihe unangenehme Nebeneffekte mit sich. Spott, Ausgrenzung von den Drachenversammlungen, Vorladung zum Geschuppten Ältestenrat. Bloß nicht. Das alles galt es tunlichst zu vermeiden, denn auch, wenn Zoro die Meinungen Anderer im Grunde am Allerwertesten vorbeigingen, wollte er doch nicht als unfähiger Volltrottel abgestempelt werden. Die kleine Gesetzeslücke kam ihm da gar nicht mal so unrecht.

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Als an diesem Abend endlich die Sonne unterging, machte Zoro sich auf den Weg. Genauer gesagt, er ließ sich aus dem Wohnzimmerfenster fallen, das er für seine Rückkehr offen stehen ließ, entfaltete seine Flügel und stob davon. Für den kurzen Weg machte er sich nicht die Mühe, in seine große Drachengestalt zu wechseln. Außerdem wäre es viel zu auffällig, wenn ein vier Meter großer Drache auf die Villa der Königsfamilie zuhalten würde. Da könnte er sich auch gleich ein neongelbes Flugbanner mit der Aufschrift „Entführer in spe" an den Knöchel binden. Stattdessen war er in seiner normalen Gestalt geblieben und hatte nur seine Schwingen materialisiert, die er entstehen und wieder verschwinden lassen konnte, wenn er sie nicht mehr brauchte.

Er wusste, dass der Zaun des Grundstücks von außen durch Wachposten gesichert war, doch das Gelände war weitläufig. Wenn er direkt am Haus landen würde, dürfte man ihn von der Grundstücksgrenze aus nicht mehr sehen können. Und keiner rechnete mehr mit einem Drachen, nachdem sich die Prinzessin abgesetzt hatte, das verschaffte ihm einen enormen Vorteil. Er flog einen großen Bogen um die Vorderseite des Grundstücks und wartete einen passenden Moment ab, um den Zaun zu überfliegen. Geräuschlos landete er neben dem Hintereingang des Gebäudes und ließ seine Flügel verschwinden, während er sich aufrichtete. Als er sich umsah, traf ihn fast der Schlag. Da stand jemand, mit dem Rücken zu ihm, direkt am riesigen Fischteich und sah in die Nacht hinaus. Wie hatte er den übersehen können? Mit den blonden Haaren leuchtete der Typ quasi im Dunkeln. Er hätte ihm auffallen sollen, verdammt noch mal. Zoro schlich vorsichtig auf die Hausecke zu, doch sein Glück schien absolut nicht auf seiner Seite zu stehen.

„Was hast du hier zu suchen?"

Der Kerl hatte sich umgedreht. Er hatte sich umgedreht und sah ihn unverwandt an. Überhaupt nicht gut. Seinen schönen Plan konnte er jetzt wohl abschreiben. Sobald er von hier entkommen war, würden sie die Sicherheitsmaßnahmen erhöhen, das Grundstück von oben abriegeln oder was auch immer, und dann würde sich seine Chance in Dampf auflösen. Vielleicht sollte er ihn einfach ausschalten, bevor er Hilfe holen konnte, dann blieb ihm vielleicht noch genug Zeit. Doch die Entscheidung wurde ihm ziemlich schnell abgenommen.

„Du bist ein Drache", stellte der Blonde fest. „Und ein schlecht informierter noch dazu. Meine Schwester ist schon lange nicht mehr hier."

Zoro stockte. Seine Schwester? Das konnte nicht sein; die Vinsmoke-Königsfamilie hatte nur drei Söhne, alles drei ziemlich hässliche Gestalten. Kein Vergleich zu dem hier. Und keiner von ihnen war blond. Allerdings hatte die Königin die gleiche Haarfarbe. Und bei genauerem Hinsehen konnte Zoro auch die gekringelte Augenbraue erkennen, die charakteristisch für die Familie war. Es konnte also stimmen, dass er ein weiterer Sohn war. Doch warum hatte er dann noch nie von ihm gehört?

Hinter ihm bewegten sich die Schatten. Jemand im Haus war wach, man konnte seine Silhouette im schwachen Licht des Fensters erkennen. Zoro blieb keine Zeit mehr. Ein Blick nach draußen würde genügen, um ihn zu verraten.

Kurzerhand verwandelte er sich in seine große Drachengestalt, packte den Blonden mit seinen Krallen und erhob sich mit mächtigen Flügelschlägen in die Luft. Daran hatte er vorher gar nicht gedacht, aber er konnte einen anderen Menschen nicht einfach in seiner menschlichen Gestalt befördern, dafür reichte seine Flügelspannweite nicht aus. Also blieb ihm nur diese Wahl, auch wenn er damit ungefähr so sichtbar wäre wie ein kleines Passagierflugzeug. Und der Prinz machte ihm die Sache auch nicht gerade leichter. Bis sie einige Meter an Höhe gewonnen hatten, war er in eine Art Schockstarre gefallen, doch nun wehrte er sich verbissen und veranstaltete einen solchen Lärm, dass es ein Wunder war, dass sie niemandem auffielen. Bemerkenswerterweise schaffte Zoro es mit seinem adligen Ballast sogar über die Grundstücksgrenze, ohne gesehen zu werden. Entweder waren die Wachen ausgesprochen unaufmerksam oder unterbezahlt, jedenfalls bemerkten sie ihn nicht. Zoro durchpflügte die Luft mit großen Flügelschlägen, um möglichst schnell von diesem Ort wegzukommen, bevor doch noch jemand in den Himmel sehen würde.

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