Der Schneeengel I

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Es war einer der Tage, an denen man nichts zu tun hatte. Mein Blick klebte, wie ein Kleinkind an der Fensterscheibe. Heute, so hatten sie es in den Nachrichten angekündigt, sollte es schneien und das noch vor Weihnachten. Und tatsächlich fielen schon feine und wunderschöne Flocken auf den tristen Boden, wovon aber nur wenige längere Zeit verweilten. Aber was ist schöner als dieses besondere Wetter zu beobachten? Es hat eine magische Ausstrahlung, als wäre die Welt, wenn es schneit, ein bisschen friedlicher.

Ich beschloss mir die Schneepracht von der Nähe anzuschauen. Also schnappte ich mir schnell Jacke, Schal und warme Stiefel und eilte auch schon raus. Erst als ich einige Meter von der Tür weggegangen bin, merkte ich, wie kalt es wirklich war. Selbst die Antarktis hätte da nicht mithalten können. 

Immer mehr Schneeflocken fielen auf mein braunes, längeres Haar. Das war mir egal, denn der Moment war einfach zu wunderschön. Doch als plötzlich die wenigen Vögel, welche nicht in den Süden gezogen sind, aufschreckten und wegflogen, schlug ich ruckartig meine Augen auf. Die Flocken waren auf einmal auch nicht mehr fein und ruhig; sie fielen nun sehr klumpig und unruhig. Was war auf einmal passiert?

Die Schneeflocken bewegten sich nun immer ungewöhnlicher und schienen mich zu umkreisen. Was passiert hier? Der Wind wurde immer stärker und aus dem friedlichen Schneetanz wurde schnell ein Schneesturm. 'Das ist nicht gut', dachte ich mir. 'Ich muss schnell wieder rein.' Ich bewegte mich also vorsichtig, aber trotzdem zügig in Richtung meiner Eingangstür. Doch es wurde noch viel schlimmer. Der Schneesturm nahm alles mit, was er mitnehmen konnte, so auch mich. Ich spürte schon, wie meine Beine drohten, abzuheben. Panisch krallte ich mich an einen Baum, der in meinem Vorgarten stand. Jedoch nahm die Bedrohlichkeit von Sekunde zu Sekunde zu.

Der Himmel färbte sich fast schwarz und es war bitterkalt; kälter als vorhin. Ein lautes Knacken ertönte. Hätte ich die Augen zu gehabt, hätte ich gedacht, dass sich jemand das Genick gebrochen hätte.  Leider musste ich feststellen, dass es vom Baum, an dem ich mich festhielt, kam. Es war sowieso zu spät. Ich würde meinem Ende nun ins Gesicht blicken. Nun befand sich kein Körperteil mehr von mir auf dem Boden. Das war mein Ende. 

Eine Kälte breitete sich auf meinen Wangen aus, so als würde jemand Eiswürfel daran schmieren. Das ignorierte ich, denn ich zitterte ja eh schon am ganzen Körper. Doch im nächsten Augenblick spürte ich kalte, schwache Hände um meinen Brustkörper, die mich festhielten. Verwundert sah ich mich um. Hier war doch niemand. Verlier ich jetzt komplett den Verstand? Ich blickte nun runter und sah wie sich immer mehr Schneeflocken zusammenformten und blasse, zieliche Arme bildeten. Ich drehte mich um und was ich sah, ließ meinen Atem anhalten. Ich verlor den ganzen Glauben an die Menschheit. Ich sah in die Perfektion in Person. Ich schaute in das wunderschöne Gesicht eines Engels. 

Eines Schneeengels.

Der Schneeengel [Germanletsdado]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt