Kapitel 4

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Die Jungs sahen uns an, als hätten sie einen Geist gesehen.
,,Waaas?!", brüllte Hyunjin theatralisch und hielt sich vor Schock die Hand vor dem Mund. ,,Ja, mehr will ich dazu auch nicht sagen.", stellte ich klar.
,,Ich hab mich nämlich schon gewundert, seit wann Minho solche Schönheiten kennt. Du bist nicht nur der Hammer, du bist der ganze Werkzeugkasten.", flirtete Jisung und zwinkerte mir zu. Mir lief ein Schauder über den Rücken. Was ein schmalziger und schlechter Spruch.

,,Verstehe ich nicht. Kannst du das erklären?", fragte ich und legte meine Gabel weg. Jisung kratzte sich verlegen am Hinterkopf:,,Ähm, nunja,"du bist der Hammer" sagt man doch, wenn man jemanden hübsch findet und äh, Werkzeugkasten ist sozusagen noch eine Steigerung davon... Verstehst du das wirklich nicht?"
,,Natürlich verstehe ich das. Aber jetzt, wo du dich erklären musstest, kommst du dir dumm vor, oder?"
,,Ja..."

Minho hatte mal wieder den Drang, sich ungefragt einzumischen. ,,Die ist doch keine Schönheit.", und lachte sich halb tot.
,,Wow, man schenkte dir Augen, aber leider keine Sehkraft. Das finde ich untröstlich.", konterte ich, stand auf, warf selbstbewusst mein Haar über die Schulter und brachte schließlich mein Tablett weg.

Den weiteren Schultag über passierte nichts Spannendes. Ich wollte versuchen, mich mit den Mädels in meiner Klasse etwas anzufreunden, da ich mit Mädchen eigentlich besser klar kam, aber dass sie alle sehr unnahbar waren und ich zu sozial inkompetent, um den Mund aufzukriegen, machte die ganze Sache schwierig.
Also ließ ich das lieber bleiben, und hielt mich mehr an Seungmin, Felix und Jeongin.

Nach der Schule ging ich dann zu Fuß nach Hause. Ja, ich ging zu Fuß. Frau Lee meinte zwar immer, ich könne jeder Zeit den Chauffeur anrufen, aber das wollte ich nun wirklich nicht. Für diesen kurzen Fußmarsch ist so ein exklusiver Transport nicht notwendig.

Als ich ankam, ruhte ich mich erstmal für zehn Minuten aus, bevor Minhyun zurück vom Kindergarten kam.
Dann ging die mehr oder weniger anstrengende Arbeit wieder los. Ich spielte mit ihm, machte uns was zu essen und legte ihn anschließend wieder schlafen.

Minho war, genauso wie gestern, noch ziemlich spät unterwegs. Wenn ich dem nachher schon wieder was zu essen machen muss, dann raste ich aus. Undzwar richtig.

Ich hörte, wie die Haustür aufgeschlossen wurde und bereitete mich auf den Horror vor.
,,(Y/N)!!!!", hörte ich ihn schon lautstark nach mir schreien, wie ein Baby, welches gerade nach seiner Mama rief. Genervt ging ich zu ihm rüber und riss die Tür auf. Minho stand mit verschränkten Armen mitten im Raum und dank seines Blickes konnte ich sehen, dass er schon wieder was im Schilde führte. ,,Bist du noch ganz knusper, dass du hier so rumbrüllst?! Der Kleine ist gerade erst eingeschlafen! Außerdem was willst du überhaupt? Dass ich dir schon wieder was zu essen mache?"

Er kam näher auf mich zu, ich jedoch, rührte mich nicht von der Stelle, bis er schließlich direkt vor mir stehen blieb. ,,Danke, dass du so aufmerksam bist, aber ich habe schon gegessen.", meinte er gespielt freundlich und täschelte meinen Kopf. ,,Was soll dieses Eingeschleime? Sag doch direkt, was du willst.", giftete ich ihn an und schlug seine Hand weg. Wenn ich eines nicht leiden konnte, dann waren es Leute, die nicht auf den Punkt kamen.

,,Ist ja gut, sei nicht so zickig. Ich wollte nur mal fragen, ob du gut in der Schule bist."
,,Ja, sehr gut sogar."
,,Das ist schön." Auf seinen Lippen lag immer noch diesem preziösem Lächeln, welches sich aber in zwei Sekunden zu einen ernsten Ausdruck wandelte.

,,Mach meine Hausaufgaben.", forderte er mich auf.

Skeptisch sah ich ihn an. ,,Du hast doch wohl 'ne Meise bis zum geht nicht mehr. Ich muss selber noch meine erledigen, da hab ich keine Zeit für deinen Scheiß.", rief ich aufgebracht, während ich dabei war, sein Zimmer schon wieder zu verlassen. Wegen meiner Widerworte blinzelte Minho erschrocken.
,,Gut.", fing er an zu sprechen, sogleich zog er sein Handy aus seiner hinteren Hosentasche. ,,Wenn du deinen Job unbedingt loswerden willst, sag das doch sofort." Er wählte irgendeine Nummer, daraufhin hielt sich das Handy ans Ohr.
,,Ja, hallo, Mama.", betonte er extra und sah mich dabei so warnend an.

Das ist doch jetzt nicht sein Ernst.
So schnell wie möglich stürmte ich auf ihn so und umklammerte seine Hand, in welcher das Mobilgerät war. Ich betätigte die Auflegtaste und atmete erleichtert aus. Keiner von uns löste sich aus dieser unangenehmen Position. Im Gegenteil, wir machten es nur noch fataler, indem wir brennenden Augenkontakt austauschten. Ich mit einem wütenden, giftigen, aber auch enttäuschtem Blick, dass ich jetzt doch seine Hausaufgaben machen musste und er mit einem triumphierenden, maliziösem Grinsen.

,,Na, willst du noch weiter Händchen halten oder endlich mal mit deiner Aufgabe beginnen?"
Seufzend ließ ich seine warme Hand fallen und setzte mich an seinen Holzschreibtisch. Vor mir lagen etliche Matheaufgaben. Er zeigte mir noch, welche Aufgaben genau ich machen sollte und ich fing dann auch schon gleich an.

Minho stand immer noch hinter mir und war verblüfft darüber, wie schnell ich das verstanden habe, obwohl ich die Themen ja noch nicht im Unterricht hatte. ,,Gutes Mädchen.", meinte er spielerisch und klopfte mir zweimal auf die Schulter. Am liebsten hätte ich ihm wie eine wilde Katze die Augen ausgekratzt.

Als ich dann ein paar Minuten später fertig war, hob ich die Arbeitsblätter hoch und schmiss ihm diese vor seine Nase. ,,Hier, bitteschön. Ich geh jetzt."
Ich machte Kehrt, da ich so schnell wie möglich hier weg wollte, doch er hielt mich wieder auf.
,,Hey, hey, warte mal, Fräulein, du bist noch nicht fertig." Minho ging an seinen Rucksack und kramte die nächste Partie Aufgaben für ein anderes Fach raus.

Diesmal war Physik dran. Ich liebte zwar diese Naturwissenschaft (nein, das ist keine Ironie), aber wenn ich die Aufgaben für so einen faulen Arsch verrichten musste, machte mir das auch keinen Spaß.
Nichtsdestotrotz erledigte ich auch diese Arbeit und war froh, als ich endlich fertig war. Ich hatte das Gefühl von Zeit komplett verloren, wodurch ich erstmal auf meine lederne schwarze Armbanduhr schauen musste. Kurz nach zehn.
Oh man, da ging mir doch mehr Zeit flöten, als ich eingeplant hatte. Ich musste zugeben, am Ende hatte ich doch noch Spaß daran gefunden, über Einsteins Postulat der Relativitätstheorie zu lernen.

Ich war wohl so in den Aufgaben vertieft, dass ich gar nicht mehr bemerkte, dass Minho schon eingeschlafen war. Ach, deswegen war es aufeinmal so ruhig. Vorher hatte er die ganze Zeit irgendwelche nicht pädagogisch wertvollen Egoshooterspiele auf seiner blöden Spielekonsole gezockt, und jedes Mal als er "abgeballert" wurde, brüllte er primitiv wie ein Elch rum. Das war unerträglich.

Nun stand ich von seinem Stuhl auf und schlich an sein Bett. Ich wusste nicht, warum ich das tat - irgendwas verleitete mich dazu. Nun stand ich dort und starrte ihn mit voller Antipathie an. Feindselige als auch intrusive Gedanken darüber, wie gern ich ihn jetzt mit dem naheliegenden Kissen ersticken wollen würde, schwirrten durch meinen Kopf.
Doch als ich so sein schlafendes Gesicht sah, welches so unschuldig und friedlich wirkte, verflogen diese Überlegungen rasch. Ich hatte plötzlich Hoffnungen, dass er sein Verhalten gegenüber mir noch ändern würde, und wenn nicht, werde ich schon dafür sorgen, dass er handzahm wird.

Aufeinmal riss er seine Augen blitzschnell auf, wodurch ich erschrocken nach hinten taumelte. Er hohnlachte und meinte:,,Wow, jetzt beobachtest du mich sogar schon im Schlaf. Du scheinst mich echt toll zu finden, was?"
Mein Herz schlug schon wieder wir verrückt, aber ich schob das mal auf den gerade erlebten Schock und nicht auf Minhos Worte.

Ich lenkte vom Thema ab:,,Deine Aufgaben sind jetzt fertig."
,,Na, geht doch."
Kann der nicht einmal "Danke" sagen?!
Genervt rollte ich die Augen und stürmte aus seinem Zimmer. Ich versuchte, die Tür nicht zu laut zu knallen, aber meine Wut war schon wieder zu gewaltig.

Prejudices || Lee Know x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt