Kapitel 6

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Wir waren nun an der Rezeption des Museums und bestellten unsere Eintrittskarten. Daraufhin ging es los. Als wir die erste große Halle betraten, überfiel mich die Enttäuschung. Schmollend schaute ich zu Hyunjin. ,,Hyunjin, warum hast du mir nicht gesagt, dass das ein Museum für abstrakte Kunst ist?"
,,Keine Sorge, die haben noch andere Werke hier. Außerdem sind einige moderne Gemälde doch schön."

Ich gab ihm einem entsetzten Blick. ,,Ich weiß ja nicht, was du an wahrlos hingespritzten Farbklecksen, einer einfarbigen Leinwand oder buchstäblicher Scheiße schön findest, aber mir missfällt es zutiefst. Meiner Meinung nach sollte Kunst in erster Linie als ästhetisches Werkzeug dienen, daher achte ich sehr auf Schönheit, Technik, Details und Komposition. Mir gefällt eine Mischung aus Realismus und Idealismus."

Hyunjin widersprach:,,Hmm. Vielleicht verstehst du einfach die Bedeutung hinter den  Bildern nicht."
Ich zuckte mit den Schultern. ,,Vielleicht ist das so. Aber meiner Meinung nach sollte Kunst nicht zu subjektiv sein, sie sollte eine Verbindung zwischen dem Kunstwerk und dem Betrachter aufrechterhalten. Wenn sie sich zu sehr auf die Interpretation des Betrachters verlässt, ist das Werk zu vage, und verliert somit endgültig an objektiver Bedeutung."

,,Das sehe ich nicht so. Ich mag Kunst, die eine tiefere Bedeutung hat als das, was beim Betrachten klar sichtbar ist. Ich mag es, tief in den Werken zu graben."

,,Man kann in jedem Kunstwerk tiefer graben, wenn man will, egal, ob figurativ oder abstrakt. Im Endeffekt spiegelt Kunst immer die Gesellschaft wider, und das Spiegelbild, was ich sehe, ist desorientiert, leer und ohne einen Hauch von Anmut, Originalität und künstlerischem Genius."

Den anderen wurde unsere Diskussion zu viel. ,,Boah, das ist ja nicht auszuhalten.", rief Changbin und entschied sich, sich hinzusetzen. Er platzierte sich jedoch nicht auf eine Bank sondern auf eine abstrakte Skulptur. Plötzlich ging der Alarm los und Changbin sprang erschrocken auf. Der Security-Typ kam langsam zu uns und schaute kurz, was hier los war, und als er sah, dass nichts kaputt war, verschwand er wortlos dann schnell wieder. Warum ist Museumspersonal eigentlich immer so inkompetent?

Nunja, jeder begann nun seine eigenen Wege zu gehen. Während Hyunjin noch bei den Impressionisten rumhing, und die anderen aufgrund ihres mangelnden Interesses schon wieder halb draußen waren, stand ich hier noch vor den Werken der alten Meister. Insbesondere ein Gemälde hat es mir angetan, ich stand nun schon einige Minuten vor diesem und bewunderte dessen Details und Anmut.

,,Woah..", hörte ich auf einmal jemanden mir neben flüstern. Erschrocken drehte ich mich um und erblickte einen interessierten Minho. ,,Was suchst du denn hier?", erkundigte ich mich überrascht. ,,Naja, das Museum ist nun mal ziemlich groß und so blöd, wie du bist, verläufst du dich bestimmt, also bin ich dir hinterhergekommen." Verdutzt schaute ich ihn an. Das machte ja mal gar keinen Sinn. ,,Aha.", meinte ich nur.

Minho trat näher an das Werk heran und las dessen Schild. ,,"Die Entführung der Psyche" von William Adolphe... ähm... Bügereeu", las er vor. Ich musste mich beherrschen, nicht laut loszulachen wegen seiner schrecklichen französischen Aussprache. ,,Was denn?", fragte er gespielt verärgert. ,,Er heißt Bouguereau.", verbesserte ich ihn immer noch lachend. ,,Ja, ja, ist ja gut. Hey, ich habe dich noch nie so herzlich lachen gehört, solltest du vielleicht mal öfter machen anstatt immer nur grimmig durch die Gegend zu gucken." Darauf drehte ich nur mit den Augen.

,,Naja, das Bild ist wirklich schön. Ich frage mich, worum es dort wohl geht." Er legte sich nachdenkend einen Finger ans Kinn und beäugte das Gemälde intensiver. Mich verwunderte und erfreute sein plötzliches Interesse an Kunst, also bot ihm an, mehr über die Geschichte zu erzählen. ,,Bist du etwa Kunstexpertin, oder was?"
,,So zu sagen."
,,Nun gut, schieß los."

Ich räusperte mich einmal und fing dann an, ihm mehr über diese römische Sage zu erzählen:,,Es geht dabei um Psyche, die sterbliche jüngste Tochter eines Königs und Amor, den Gott der Liebe. Psyche war die schönste von den drei Töchtern. Sie war so schön, dass es Gerüchte gab, sie könnte eine Göttin oder sogar Venus selbst sein, und die Menschen begannen, sie anstelle besagter Göttin zu verehren. Venus war deshalb sehr wütend, weswegen sie ihren Sohn, Amor, zu Psyche schickte, damit er sie zur Strafe mit einem Pfeil erschießt, und sie so dazu zwingt, sich in ein Scheusal von Mann zu verlieben. Doch selbst Amor war der Schönheit Psyches unterlegen und entschloss sich, sie nicht zu erschießen.

Er verliebte sich in sie, aber ironischerweise hatte er keine Ahnung, wie man damit umging. Also bat er Apollo, den Gott der Wahrheit um Hilfe, welcher aber auch keinen Rat wusste. Er wusste, dass Venus in Wut geraten würde, würde sie diese Liebschaft herausfinden, also beschloss er, Psyches Vater zu befehlen, sie auf einen entfernten Berg zu verbannen - weit entfernt von jeglichen Verehrern.

Psyche weinte Tag und Nacht, Amor konnte das nicht mehr mitansehen, also ließ er sie von Zephyr, dem Gott des Windes, in seinen Palast bringen. Auf diese Weise konnte sie einer Ehe mit einem Dämon entgehen.

Sie lebte nun glücklich in seinem Palast und wurde immer nachts von ihm besucht, die Bedingung war jedoch, dass sie nie ihren Geliebten zu Gesicht bekommen sollte. Sie musste ihm vertrauen, denn wenn es kein Vertrauen gab, war die Liebe unmöglich. Psyche verliebte sich immer mehr in Amor.

Aufgrund ihrer Einsamkeit tagsüber, erlaubte Amor ihr den Besuch ihrer Schwestern. Weil diese eifersüchtig waren, redeten sie ihr ein, dass ihr Liebhaber eine hässliche Schlange sei. Verängstigt fing Psyche an, Amor nachzuspionieren, wobei sie aufgrund seiner Schönheit überwältigt war und ihn dann versehentlich mit dem Öl einer Lampe verbannte, woraufhin er fluchtartig verschwand.

Venus schwor Rache und hielt die Liebenden getrennt. Psyche musste mehrere Prozesse durchlaufen, um sich das Recht zu verdienen, ihren Amor wiederzusehen. Er sprach sich gegen Venus' Rachezug aus und rettete Psyche aus einen todesähnlichen Schlaf. Nun, waren die Geliebten wieder vereint und baten Jupiter um Erlaubnis für eine Hochzeit. Dieser machte Psyche zu einer unsterblichen Göttin, sodass einer Hochzeit nichts mehr entegenstand."

Minho schaute mich mit geweiteten Augen an. Ein Hauch von Röte huschte über seine Wangen.
,,Die Geschichte zeigt, dass Liebe keine Grenzen kennt. Dass selbst ein Gott sich in ein sterbliches Wesen und man sich über das Aussehen hinaus verlieben kann.", schlussfolgerte er. ,,Genau. Es zeigt, wie rein und aufrichtig Liebe sein kann. Etwas kitschig, wenn du mich fragst, aber freilich eine schöne antike Geschichte und noch schöner in der Form von Kunst.", entgegnete ich.

,,Du weißt ja ziemlich viel.", meinte er erstaunt. Ich dachte, ich hör' nicht richtig. Seit wann gab Minho mir Komplimente? Ich grinste etwas und fragte neckend:,,War ich nicht gerade noch blöd?"
,,Ja, bist du ja auch." Leicht lachend schüttelte ich den Kopf.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 06, 2023 ⏰

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Prejudices || Lee Know x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt