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Es kam Atsumu vor, als wären sie schon eine Ewigkeit unterwegs.
 
Es war kalt, es schneite, seine Füße taten weh, er hatte Hunger.
 
„Kiyoomi?"
„Ja?" Der Alpha blieb stehen, drehte sich zu ihm.
„Können wir bitte eine Pause machen?"
„Wir sind gerade erst aufgestanden."
„Aber ich bin müde."
 
Kiyoomi rollte mit den Augen, legte seinen Rucksack ab, setzte sich auf einen der Baumstämme, und schon kurz darauf setzte sich Atsumu neben ihn, rieb sich die Hände aneinander, um etwas Wärme abzubekommen.
 
„Willst du wirklich nicht meinen Mantel?", bot der Dunkelhaarige ihm erneut an, doch Atsumu schüttelte den Kopf.
„Ich will nicht, dass Ihr wegen mir friert."
„Ich komm damit klar, wirklich."
„Nein. Ich will, dass Ihr ihn anlässt."
 
Kiyoomi rollte wieder mit den Augen, sah zur Seite. Mit Atsumu ein paar Tage ununterbrochen zusammen zu sein, war schwieriger als gedacht, und ab und zu fragte er sich, ob der Omega auch in Zukunft – sollte ihr Plan erfolgreich sein – so anstrengend sein würde.
 
Unterdessen war der Blonde in seinen Gedanken versunken, starrte auf den weißen Schnee vor sich. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen, und wenn er ehrlich war, wünschte er sich gerade nichts mehr, als wieder in seinem Bett liegen und sich ausruhen zu können.
Besonders in den Nächten war es eiskalt, und da Atsumu nun mal kälteempfindlich war, zitterte er immer am ganzen Leib. Er lehnte Kiyoomis Angebote, seinen Mantel zu haben, immer wieder ab, doch wenn er einschlief, legte der Alpha diesen dennoch auf ihn, sodass er gut zugedeckt war, während er sich an ihn kuschelte, um ihm noch zusätzliche Wärme zu geben.
Und wenn Atsumu dann am Morgen aufwachte, kam es ihm so vor, als wäre sein Körper mit Wärme gefüllt, wenn er bemerkte, dass er dem Jüngeren so nahe war.
 
Sein Herz spielte noch immer verrückt, wenn er Kiyoomi nahe war, und er wurde den Gedanken nicht los, dass er sich womöglich tatsächlich in ihn verliebt hatte. Aber was, wenn er nicht dasselbe fühlte? Wollte er ihn nur, damit er halt jemanden hatte? Sollte er ihn darauf ansprechen?
 
„Worüber denkst du nach?", fragte Kiyoomi vorsichtig.
„N-Nichts..."
„Willst du wirklich-"
„Nein. Ich will Euren Mantel nicht."
 
Kiyoomi seufzte. „Geht es wieder?"
 
Atsumu sah sich um, dabei fiel sein Blick auf ein altes Schild, das vom Schnee vollständig bedeckt war. Er erhob sich, ging auf dieses zu, wischte den Schnee weg, sodass er die Schrift darauf lesen konnte. „Bis nach Fukuro ist es noch ein Kilometer..."
 
Kiyoomi stand auf, ging zu ihm, sah ihm über die Schulter. „Denkst du, dort gibt es eine Unterkunft?"
„Denkst du, die lassen uns dort rein? Ich bin mir sicher, die suchen schon nach uns..."
 
Der Schwarzhaarige legte seinen Kopf auf Atsumus Schulter ab, was sein Herz noch viel, viel höher schlagen ließ.
 
„Du solltest dich etwas aufwärmen. Deshalb würde ich das Risiko eingehen", sagte er.
 
Atsumu starrte ihn überfordert an, als Kiyoomi mit dem Zeigefinger gegen seine gerötete Nase stupste.
„Hey..."
„Tut mir Leid... aber... du siehst irgendwie-" Kiyoomi unterbrach sich, presste die Lippen zusammen. Hatte er ihm gerade wirklich sagen wollen, dass er süß aussah, wie er da stand mit der roten Nase, der Haube, dem hochgezogenen Schal und der Kapuze?
„Wie? Was?"
 
Kiyoomi schluckte. Atsumu drehte sich zu ihm, sah ihm tief in die Augen. „Wie sehe ich aus?"
 
Der Alpha wurde ebenfalls rot im Gesicht, als er sich wegdrehte, dem Weg weiter folgte.
„Kiyoomi?"
 
Er kannte dieses Gefühl nicht, das sich da auf einmal an die Oberfläche drängte. Dieses Kribbeln, das er verspürte, wenn der Omega in seiner Nähe war, wenn sie sich berührten, und er musste zugeben, dass er es genoss, denn manchmal stieß er ihm auch gegen die Schulter, nur um ihn berühren und es wieder spüren zu können.
In seiner Nähe fühlte er sich irgendwie wohl – das war bestimmt der Grund dafür, ganz sicher.
 
 
Etwa eine Stunde später – mit sehr vielen Pausen dazwischen – kamen sie bei dem Dorf an.
 
Dort war gerade so einiges los, denn viele Menschen hatten sich am Marktplatz versammelt, es roch nach frisch Gekochtem Essen.
 
Atsumu knurrte der Magen. Seit Tagen hatten sie nichts Anständiges mehr gegessen, ihre Mahlzeiten hatten aus Broten, Kartoffeln und Fisch bestanden, die sie sich von einzelnen Märkten oder fahrenden Händlern mit dem Geld, das Kiyoomi mitgenommen hatte, gekauft hatten.
 
„Kiyoomi?"
„Ja?"
„K-Können wir uns bitte was zu essen holen?"
 
Kiyoomi sah zu ihm, dann zu der Menschenmenge. „Ich weiß nicht so recht... Wir suchen uns jetzt erstmal eine Unterkunft, dort gibt es bestimmt auch etwas. Du weißt ja, in Fukuro sind die Zustände anders, da hat jeder was zu essen."
 
Atsumu wandte den Blick von ihm ab, sah zur Seite.
 
„Was ist?"
„Nichts, egal. Ihr habt recht..."
 
 
Eine längere Zeit verging, in der sie in den kleinen Gassen des Dorfes umherstreiften, verzweifelt nach einer Unterkunft suchten.
 
Als sie endlich eine gefunden hatten, stellte sich heraus, dass diese leider keine Zimmer mehr zur Verfügung hatte, weshalb sie ihre Suche fortsetzen mussten.
 
 
Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit hielten sie in eine der leeren, dunklen Gassen an, als sie keinen weiteren Gasthof gefunden hatten.
 
„Und jetzt?"
„Können wir bitte-"
„Jetzt warte mal...", meinte Kiyoomi etwas genervt. „Du musst dich aufwärmen, ich will nicht, dass du krank wirst."
 
Atsumu seufzte, wollte etwas sagen, als es plötzlich am Hauptplatz ganz laut wurde. Menschen riefen durcheinander, und etwas entfernt konnte er Hufe auf dem Steinboden wahrnehmen.
 
Die Leute jubelten, stellten sich sofort in einer Reihe auf.
 
Kiyoomi und Atsumu betrachteten das Schauspiel – zumindest, bis sie sahen, wie Soldaten in einzelne Gassen einbogen, dort die Menschen zusammentrieben und baten, auf den Platz zu kommen.
 
Der Größere griff nach Atsumus Hand, als vor ihnen eine solche Wache stand. „Hey! Wer seid ihr?"
 
Überfordert sah Atsumu zwischen ihm und Kiyoomi hin und her, dann lief der Alpha plötzlich los, riss ihn mit sich.
Der Soldat lief ihnen hinterher, doch schaffte es nicht, sie einzuholen, da sie ihm geschickt ausweichen konnten, indem sie sich hinter einem Container in der nächsten Gasse versteckten.
 
Kiyoomi hielt dem Blonden die Hand auf den Mund, damit der Mann ihn nicht hörte und seinen Geruch nicht sofort wahrnehmen konnte – gottseidank ging auch der Wind gerade stärker.
 
„Was tust du da?", fragte da plötzlich eine ihnen unbekannte Stimme den Mann.
„Mir sind zwei Unbekannte entwischt. Vermutlich welche auf der Durchreise."
„Und wieso hast du sie nicht gekriegt?"
„Weil... weil sie weggelaufen sind."
„Das ist kein Grund. Dann hättest du sie eben geschnappt."
„Natürlich. Mein Fehler." Er verbeugte sich entschuldigend.
„Du weißt, dass ich absolut jeden auf dem Platz sehen will. Und wenn es nur Durchreisende sind..."
„Verstehe."
„Also such sie. Sonst muss ich das melden, dass du gegen deinen Befehl verstoßen hast."
 
Der Soldat verbeugte sich erneut, lief in die nächste Gasse.
 
Der Unbekannte stand noch immer auf seinem Platz, seufzte, schloss die Augen.
 
„Der Typ riecht euch nicht, aber ich tu's", sagte er plötzlich. „Kommt da raus."
 
Atsumu sah verängstigt zu Kiyoomi, doch dieser schüttelte den Kopf.
 
Die Schritte kamen näher, und die beiden machten sich kleiner, als der Unbekannte mit dem Rücken zu ihnen stand.
 
Sie hielten die Luft an, Atsumu zitterte bereits etwas.
 
Dann drehte sich der Fremde zu ihnen um, starrte sie an.
 
Seine Augen prägten sich sofort in Kiyoomis Gedächtnis – metallblau war nicht gerade eine sehr verbreitete Farbe.
 
„Wer seid ihr?", fragte der Unbekannte, den der Alpha gleichalt schätzte. Er war ein Omega, doch er bemerkte auch anhand seines veränderten Geruchs und der Markierung an seinem Hals, dass er gematet war – so früh schon?
 
„Ich habe euch etwas gefragt", wiederholte der Junge.
 
„W-Wir... also..." Kiyoomi griff wieder nach Atsumus Hand, dann sprintete er erneut mit ihm los.
 
„Hey! Was soll-" Ohne weiter zu zögern lief der fremde Omega ihnen nach, war überraschend schnell und schaffte es auch schon bald, die beiden in eine Sackgasse zu treiben.
 
Kiyoomi und Atsumu keuchten, sahen sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, doch fanden keine.
 
„Trickst mich nie wieder in meinem Heimatdorf aus. Da führt ihr euch nur selbst in die Irre, glaubt mir."
 
Da Atsumu immer noch massenweise Pheromone aufgrund seiner Angst ausstieß, übernahm Kiyoomi das Reden.
„Wir wollen euch nichts tun, wir... wir haben bloß nach einer Unterkunft gesucht, und... wir... wir wollten gerade wieder gehen, und-"
„Und wer hat gesagt, dass ich euch was tun will?"
 
Der Alpha schluckte nervös. „Ähm..."
 
Der Fremde lachte. „Aber ich muss zugeben, diese kleine Verfolgungsjagd hat Spaß gemacht. Das hab ich früher mit meinen Freunden auch immer gemacht."
 
„Warum seid Ihr uns dann nachgelaufen?", fragte Atsumu.
 
Der Unbekannte Omega lächelte und zeigte Richtung Hauptplatz. „Einmal in der Woche geben wir im Dorf etwas Essen aus, da wir in der Burg zu viel und die Leute hier zu wenig haben. Das gilt auch für Touristen, und ihr könnt euch gerne etwas nehmen, wenn ihr hungrig seid."
 
„ECHT?!", rief Atsumu, wollte schon nach vorne stürmen, doch Kiyoomi hielt ihn an der Kapuze fest, zog ihn zurück.
 
„Und Ihr seid wer nochmal?", erkundigte sich der Dunkelhaarige.
 
Der Unbekannte lächelte wieder breit. „Mein Name ist Keiji. Und jetzt kommt mit, ihr seht aus, als würdet ihr jeden Moment verhungern."

A Million Dreams - SakuAtsuWo Geschichten leben. Entdecke jetzt