1. Kapitel

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Janinas Sicht

Ich bin müde. Und wütend. Seit 6 Stunden sitzen wir jetzt im Auto und stehen davon 3 im Stau. Ich habe extra eher Feierabend gemacht, damit wir pünktlich los kommen und jetzt das. Es sind 29 Grad im Auto. Wozu hab ich diese scheiß Klimaanlage, wenn ich im Stau nicht den Motor laufen lassen kann? Und warum schläft Lea seit 50 Minuten auf dem Beifahrersitz und sieht dabei aus wie gemalt, während mir der Schweiß die Arme runter läuft und mein Pony in Strähnen an meiner Stirn klebt? Lea. Ein Name und Gesicht wie eine Grundschullehrerin, aber die Leber meiner ehemaligen Russischlehrerin aus der Oberstufe. In der Zeit, in der wir hier stehen, hat sie sich bereits 1 ½ Flaschen Wein einverleibt und schlummert jetzt friedlich ihren ersten Rausch des Tages aus. Es sind noch 24 Kilometer bis zum Veranstaltungsort. 24 fucking Kilometer. Würden wir die Karre stehen lassen und laufen, würden wir es vielleicht noch pünktlich zur Show schaffen. Aber so seh' ich hier schwarz. Verdammt, warum schläft die Frau neben mir als wäre nichts!? Als hätten wir nicht Zeitdruck des Todes. Ich hasse sowas. Versteht mich nicht falsch. In 8 von 10 Fällen bin ich unpünktlich. Aber auf Reisen, am Flughafen oder in anderen Städten dreh ich durch, wenn ich nicht mindestens 30 Minuten vor vereinbarter Uhrzeit ankomme. Und diese 30 Minuten sind jetzt angebrochen. Ich drehe die Musik lauter. Nura schreit mich an, dass sie meine Mutter ohne Schwanz fickt. OK. Lea wird wach. „Na." „Na." – Wow. Unsere Gespräche sind so geistreich. Lea: „Wo sind wir?" „Das hast du vor ner' Stunde schon gefragt." „Also sind wir noch nicht weiter gekommen?" „Offensichtlich nicht." „Darf ich mir n Joint an machen?" „Nein." „Ne Kippe?" „Nein.", sage ich und zünde mir eine Zigarette an. Ich schaue nach vorn und grinse. Im Augenwinkel sehe ich, dass sie auch grinst während sie anfängt sich eine Kippe zu drehen.

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Wir haben es tatsächlich noch Pünktlich geschafft. Immerhin gab es feste Sitzplätze. Den Opener haben wir zwar verpasst, aber wenigstens war es als wir ankamen an der Bar nicht mehr so voll, weil fast alle schon in der Halle saßen. Wir haben das Auto in einem 24 Stunden Parkhaus abgestellt, alle unsere Sachen im Kofferraum verstaut und sind los gerannt. Der Plan: Show anschauen, draußen saufen, im Auto schlafen und irgendwann wieder heim fahren. Ich hab während der Veranstaltung gut aufgeholt. 4 Cuba Libre und 3 Pfeffi. „War gut, wa?" „Mega! Is einfach n guter Typ." Find ich wirklich. Ich steh aber allgemein auf Comedy. Ich lache einfach unglaublich gern. Manchmal sagen die Leute: „Ah die Sonne geht auf.", wenn ich irgendwo hin komme. Ich strahle einfach. Meistens. „Du, da stehen die zwei von vorhin aus der Kloschlang. - EY? WAS MACHT IHR JETZT NOCH?" Lea schreit mir ins Ohr. Wie schafft es die Alte ständig Leute kennen zu lernen UND sie dann immer wieder zu treffen? Die zwei aus der Kloschlange heißen Mara und Denise. Und Mara und Denise gehen jetzt zum Späti und später noch zu ner Party. Und weil Mara und Denise das jetzt machen, machen wir das auch, beschließt Lea. Mir ist alles egal. Ich werde langsam wieder müde. Die Nachtschichten der letzten Tage und die Fahrt ballern. Im Gegensatz zum Pfeffi. Ich muss dringend was nach kippen, damit ich wieder wach werde. Kaffeelikör oder so. Ach ne, ich hasse Kaffee. Hatte ich kurz vergessen. Aber was tut man nicht für die beste Freundin. Eigentlich hatte ich gar nicht so viel Lust auf den Trip. Ich hatte mir den Start in meinen Urlaub anders vorgestellt. Einfach mit einem Glas Weißweinschorle auf dem Balkon in der Sonne einschlafen und dann drei Tage über meinen Sonnenbrand jammern. Bester Vorwand um nicht die Wohnung verlassen zu müssen. Ich liebe meine Erdgeschosswohnung im Sommer. Durch die Unterkellerung ist es immer angenehm kühl im Vergleich zu draußen. Stattdessen werde ich nun drei Tage brauchen um nach der Nacht meinen Biorhythmus wieder in die Reihe zu bekommen. Wir sitzen vorm Späti und lachen viel. Ich mag Mara und Denise. Scheinen wirklich gut drauf zu sein. Laut, aber nicht aufdringlich. Nachdem wir bis um 2 vorm Späti gesessen haben, fragen sie, ob wir noch mit zu der Party kommen wollen. Ist wohl eine Homeparty und es gibt kostenlose Getränke und Pizza. Lea lehnt sich an meine Schulter und schaut mich von schräg unten aus ihren haselnussbraunen Augen an. „Bitte, bitte Mami?" Ich lasse sie noch fünf Minuten betteln bevor ich mit den Augen rolle und: „Na gut.", sage. Als hätten sie mich nicht schon bei den Worten 'kostenlose Pizza' überzeugt, aber das muss sie ja nicht wissen. Lea schreit den Typen im Späti an, dass wir noch zwei Flaschen Weißwein brauchen bevor er zu macht.

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Man sind hier viele Menschen. Ich war doch nur kurz auf Toilette. Wo zur Hölle ist Lea? Mara und Denise kann ich auch nirgends sehen. Wow. Wenigstens weiß ich wo die Pizza steht. Ich nehme mir ein Stück Margarita, schenke mir ein Glas Weißwein ein und schlängle mich zurück in Richtung Flur von dem aus die Toilette abgeht. Hier sind auf jeden Fall weniger Menschen als im Wohnbereich. Durch die Wohnung schallt Hip Hop Musik und überall stehen und sitzen kleine Gruppen von Menschen zusammen die sich über die laute Musik hinweg unterhalten. Wer zur Hölle wohnt hier? Hätte nicht gedacht so einen Palast vorzufinden, als wir in die Straße eingebogen sind. Ich habe mindestens 8 Obdachlose gesehen und einen davon im Eingangsbereich zu dem Gebäude in dem wir uns jetzt befinden. Ich muss bei Gelegenheit mal bei Maps checken in welchem Stadtteil wir uns eigentlich befinden. Apropos wir. Ich kann Lea immer noch nicht sehen. Ich drücke die Türklinge zu einer verschlossenen Tür runter. Vielleicht geht es ja hier noch weiter. In den Südflügel oder ins Klavierzimmer oder so. Ich stehe in einem dunklen Raum. Hoffentlich hat hier gerade keiner Sex. „Lea?" Nichts. „Irgendwer?" Wieder nichts. Ich suche den Lichtschalter und stehe schließlich in einer Art Gästezimmer/Rumpelkammer/Arbeitszimmer. Ein 2,10m Bett, Schreibtisch, Wäscheständer und zwei Kommoden. Das Bett sieht gemütlich aus. Ich merke wieder wie müde ich eigentlich bin. Ist das eine Balkontür? Ich trete hinaus auf einen kleinen Balkon mit einem Stuhl und einem kleinen Tisch, mehr nicht. Ich setze mich, zünde mir eine Zigarette an und schaue über Berlin. So komme ich doch noch zu meiner entspannten Weißweinschorle auf dem Balkon. Ich liebe diese ruhigen Momente für mich allein wenn um mich herum gerade alles laut ist. Durch die geschlossene Balkontür dringt gedämpft die Musik zu mir. KIZ-Mehr als nur ein Fan. Ich mag den Song. Ich drücke meine Zigarette aus und gehe wieder in den im Vergleich zum Rest der Wohnung eher kleinen Raum. Verdammt sieht das Bett kuschelig aus. Vielleicht sollte ich mich nur kurz eine halbe Stunde hin legen, bevor ich mich wieder auf die Suche nach Lea mache. Die kommt schon kurz ohne mich klar.

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Oh Gott was ist das? Mein Arm fühlt sich an als wäre er über mehrere Stunden stranguliert worden. Also soweit sich ein totes Körperteil überhaupt noch nach etwas anfühlen kann. Shit. Der Riemen meiner Umhängetasche hat sich unnötig fest und wirr um meinen Arm gewickelt. Aua. Moment mal. Warum hab ich die Tasche denn überhaupt im Bett um? Und warum trag ich mein Kleid von letzter Nacht. Und... oh scheiße. Ich springe hoch. Die Sonne knallt in den Raum in dem ich mich vor geschätzt fünf Stunden für 30 Minuten hingelegt habe. Wie spät ist es? Ich fummle mein Handy aus der Tasche, aber meine Hand verweigert mir nach der stundenlangen Mangelversorgung mit Blut den Dienst und mein Telefon klatscht auf den Boden. Zum Glück liegt hier ein Teppich vorm Bett. Aber was bringt mir ein intaktes Handy, wenn der Akku leer ist? Fuck. Wo ist Lea? Und wo bin ich? Ich stehe auf und schleiche zur Zimmertür hinaus. Ok. Also die Musik und die Menschen sind auf jeden Fall weg. Ich schleiche in den Wohnbereich in dem es erstaunlicherweise überhaupt nicht danach aussieht, als hätte hier gestern an die 60 Leute eine Party gefeiert. Nur riechen tut es noch nach Alkohol, aber ansonsten ist alles aufgeräumt. Moment mal? Hat jemand das Sofa abgesaugt und die Fenster geputzt? Wow. Ich liebe saubere Wohnungen. Aber nicht mal nach einer Großputzaktion sieht es bei mir so reinlich aus, wie es hier nach einer fucking Party aussieht. Wie lange habe ich bitte geschlafen? Haben wir überhaupt noch Juli? Ich lehne mich an die Küchenzeile und suche den Raum nach einer Uhr ab. Warum haben die Menschen die hier leben keine Uhren? In diesem Moment öffnet sich die Badtür und eine Frau Ende 30 tritt hinaus. Sie trägt eine Sportleggings und ein hellblaues T-Shirt. In einer Hand hält sie einen Putzeimer und mit dem Fuß schiebt sie einen Wischeimer zur Tür hinaus. Als sie mich sieht lächelt sie freundlich. „Oh Hallo. Sie müssen der Schlafgast sein. Ich hoffe ich hab Sie nicht geweckt, aber mancher Lärm lässt sich beim sauber machen nicht vermeiden." „Alles gut, danke." Sie sieht mich weiter lächelnd an. „Ähm. Entschuldigung, aber können sie mir sagen wie spät es ist?" Sie hebt ihre freie Hand an und schaut auf ihre Armbanduhr. „Kurz nach 15 Uhr." Fuck. Ich stammle ein leises: „Dankeschön", und massiere meine Schläfen mit beiden Händen. Wir wollten schon seit Stunden wieder auf der Autobahn sein. Wo ist Lea nur? Verdammte scheiße. „Ich soll ihnen von Herr Lobrecht ausrichten, dass er gleich wieder da ist. Er holt nur kurz etwas zu essen." Essen klingt immer gut. Moment. HERR WAS!? In diesem Moment öffnet sich die Wohnungstür.

Verkettung ungünstiger Umstände (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt