KAPITEL 2

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Falls ich irgendwie geglaubt haben sollte, dass Joey nicht einmal den ersten Tag seines Marsches überleben wird, hätte ich mich nicht gründlicher irren können. Eigentlich hätte ich es ja besser wissen müssen, ich kenne Joey schließlich gut genug.
Nach einem sechs Stunden-Marsch - ich hätte, wohlgemerkt, nicht einmal eine Stunde durchgehalten - taucht Joey pfeifend und gut gelaunt aus dem Wald auf dem Parkplatz am Hostel Above the clouds auf und ich kann nur kopfschüttelnd eine Augenbraue hochziehen. Dieser Typ ist doch wirklich unverbesserlich.

Wir haben schon vorher abgesprochen, nicht im Hostel zu schlafen - zu laut, zu viele Leute, also habe ich den Bulli zurecht gemacht. Der Parkplatz neben dem Hostel, direkt am Trail, ist groß, ein paar andere Bullis und sogar Zelte stehen hier. Zelt, denke ich fröstelnd. Es ist Anfang März und doch noch recht kalt - ich würde sterben. Der Bulli ist wirklich komfortabel, beherbergt eine Schlafkoje für Joey und eine für mich, duschen will er im Hostel. Überhaupt hat Joey die Routen gut im Voraus geplant, ich war wirklich beeindruckt, als er mir die Strecke in Flugzeug zeigte.
Ich habe im Supermarkt in Newport ein paar Würstchen besorgt, Salat dazu, etwas zu trinken. Es gibt eine Nische im Bulli mit zwei Herdplatten, ich habe noch Campingbesteck besorgt und einige andere Utensilien. Eigentlich ist es sehr gemütlich, ich mag es durchaus. Tausend mal besser als sich durch den Wald zu quälen und im Zelt zu pennen.

Joey umarmt mich gut gelaunt. »So ein toller Waldweg, echt, du solltest mitlaufen«, schwärmt er.
Ich bringe augenblicklich etwas Abstand zwischen uns und drohe ihm mit dem Zeigefinger. »Du kennst meine Antwort, Joey«, grinse ich.
Joey zwinkert mir zu. »Wirklich, es ist echt toll«, berichtet er. »Gut markiert, man kann sich gar nicht verlaufen.«
»Na, wie herrlich«, bemerke ich sarkastisch. »Ist ja nicht so, dass der Wald hier anders aussieht als unten am Springer Mountain.«
Joey lacht auf. »Deshalb hab ich dich mitgenommen, Lieblingsschwägerin«, grinst er. »Was hätte ich nur ohne deinen Sarkasmus gemacht.«
»Du verstehst meinen Sarkasmus wenigstens«, gebe ich halb belustigt, halb bedrückt zurück.
»Hey«, droht nun Joey mir. »Ich hab dich mitgenommen zum Abschalten, nicht zum Trübsal blasen. Hilfst du mir kurz beim Videodreh?«

Natürlich muss eine Insta-Story herhalten, bevor Joey ins Hostel zum Duschen verschwindet. Ich schmeiße derweil die kleine Pfanne an, brate Würstchen und stelle die beiden Bierflaschen auf den schmalen, ausklappbaren Tisch. Es gibt einen kleinen Kühlschrank, man kann sogar, und das finde ich wirklich faszinierend, Fahrer- und Beifahrersitz nach hinten drehen und hat so zwei gemütliche Sitze zum Essen. Überhaupt ist es ein sehr moderner Bulli, in den ich mich ja tatsächlich schon ein bisschen verliebt habe. Was ich natürlich niemals vor Joey zugeben würde, aber ich glaube, der Bulli und ich könnten gute Freunde werden.
»Noch ein Grund, warum ich dich mitgenommen habe und nicht Luke«, vernehme ich da Joeys Stimme hinter mir. »Du kochst definitiv besser.«
»Ich brate nur Würstchen und der Salat ist gekauft«, lache ich. »Aber abgesehen davon kann ich mich jetzt nicht zwei Monate davon ernähren. Ich denke, ich bekomme es schon hin, hier ein bisschen zu kochen.«
»Siehst du, du bist doch schon best friends mit dem Bulli«, bemerkt Joey zufrieden. »Auf den Trail bekomme ich dich auch noch, verlass dich drauf. Ehrlich, es ist so schön, ab und zu hast du einen wunderschönen Blick über die Landschaften. Ein Traum.«

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Willst du sicher sein, dass ich morgen Abend auch noch auf dich warte, Joey Kelly? Wo sind wir morgen eigentlich?«
Joey zückt sein Handy, um die Etappenkarte zu studieren. »Crossing Creeks«, stellt er fest. »Das wird dir gefallen, ist ein Ressort und Spa Hotel.«
»Oh ja«, zeige ich mich begeistert. »Das ist schon eher nach meinem Geschmack.«
»Du wieder«, lacht Joey. »Sind übrigens nur 38 Kilometer für mich.«
Ich pruste in meine Cola. »Nur«, kichere ich.
»Ich hätte auch noch weiterlaufen können, aber ich dachte bei der Routenplanung, dass du dir den Tag in dem Spa gut vertreiben und entspannen kannst«, zwinkert Joey.
»Ich glaube, ich stelle dich als Urlaubsplaner ein«, grinse ich zurück. »Wobei ich mich ja immer noch frage, wo der Haken ist.«
Dann aber denke ich daran, dass solch ein Urlaub für Patrick niemals infrage käme und Schwere erfüllt mein Herz. Er erzählte mir schon früh in unserer Beziehung, dass er ein Campingtrauma hat, nachdem er im Campingwagen in Irland geboren wurde. Ich habe nie gedacht, dass selbst eine solche Kleinigkeit uns irgendwann voneinander entfernen würde. Wir waren immer stolz darauf, welch gutes Team wir waren, wir haben alles gemeinsam durchgestanden. Und jetzt hocke ich in einem Campingwagen an einem Wanderweg in den USA und Patrick im Luxusresort in Südafrika.
Manchmal beneide ich Joey und Tanja oder Patricia und Denis, Jimmy und Meike um ihre so ehrlichen Beziehungen. Ich habe das lähmende Gefühl, dass mir alles entgleitet und ich nichts dagegen tun kann. Und ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wann wir angefangen haben uns voneinander zu entfernen.

Never Gonna Break Me DownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt