KAPITEL 3

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Das Crossing Creeks Resort ist genau nach meinem Geschmack. Joey bricht schon früh am nächsten Tag auf, und ich bin überzeugt, dass er nur so früh losmarschiert, damit er nachmittags die Annehmlichkeiten noch ein wenig zu genießen. Natürlich würde er das niemals zugeben, Joey Kelly doch nicht. Manchmal bin ich mir allerdings nicht sicher, was Joey als annehmlicher empfindet – einen 38 Kilometer Lauf quer durch den Wald und Berge oder einen Pool, Saunen und eine Nacht in einer schönen Blockhütte anstelle des Bullis. Dieser Typ ist einfach nicht von dieser Welt.

Es ist ja schon ein wenig unfair. Für mich bedeutet das nächste Tagesziel nur eine knappe dreiviertel Stunde Autofahrt, für Joey etwa sieben Stunden Wandern durch die Blue Mountains von Georgia. Dennoch hält sich mein schlechtes Gewissen ihm gegenüber in Grenzen – er hat’s schließlich nicht anders gewollt. Das schlechte Gewissen meldet sich jemand anderem gegenüber, als ich mein Handtuch auf der Liege am Pool ausgebreitet habe, einen Blick über die wunderschöne grüne Anlage und die Berge im Hintergrund werfe und mein Handy klingelt.

Zuerst rechne ich, weil Patrick sich einfach noch gar nicht gemeldet hat, mit Joey. Vielleicht ist ihm im Wald etwas passiert, er hat etwas vergessen, oder…
Ich beginne schon, mir Sorgen zu machen, aber dann schlägt mein Herz doch einen Takt schneller, als endlich der erhoffte Name auf dem Display erscheint. Vielleicht sollte ich nicht ran gehen, ihn einmal zappeln lassen, aber die Sehnsucht, seine Stimme zu hören, siegt.

»Hi, my love«, löst Patricks Stimme gleich ein Lächeln auf meinen Lippen aus und mein Herz klopft warm. Ich sollte ihn nicht so sehr vermissen. Ich sollte so tun, als wäre es die beste Entscheidung meines Lebens gewesen, Joey zu begleiten. Mir endlich darüber klar zu werden, was ich will. »Ich… es tut mir leid, dass ich mich nicht früher gemeldet habe.«
»Schon okay«, versichere ich ihn, dabei ist es nicht in Ordnung. Absolut nicht. »Ich… hab mir Gedanken gemacht, ob du gut angekommen bist, und…«
»Sorry, I know«, erwidert Patrick. »Es war einfach so viel zu tun sofort und…«
»Und du konntest nicht einmal eine kurze Nachricht schreiben?«, werde ich sofort wieder anklagend, dabei ist das doch gar nicht der Plan.
»Ich weiß, I just forgot it, I’m sorry«, verfällt er sofort wieder ins Englische, was mich früher so oft schmunzeln ließ. Noch eine der vielen Gemeinsamkeiten, wobei es bei mir eher das Italienische ist. Da er aber auch Italienisch spricht, haben wir uns schnell ein Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch und Italienisch angewöhnt.

Ich atme tief durch. Ich will jetzt bestimmt nicht gleich wieder streiten.
»How are you two, also… wie geht’s euch in den USA?«
Ich schließe kurz die Augen. Kein Ich vermisse dich, wie geht es DIR, dabei wünsche ich mir nichts sehnlicher, als bei ihm zu sein. Und ich höre doch an seinem müden Ton, wie erschöpft er jetzt schon ist. »Joey geht’s gut wie immer«, antwortete ich. »Ich fahre zu den Etappenzielen und warte auf ihn, heute sind wir in einem Spa direkt am Trail. Er will im Bulli schlafen, weil ihm die Hostels zu laut und zu voll sind. Aber ich glaube, es ist gut, dass jemand dabei ist.«

»Spa hättest du auch hier haben können«, bemerkt Patrick und ich muss schlucken.
Das ist jetzt nicht sein Ernst. »Falls du mir zugehört hättest, mir geht es doch nicht um das Spa«, beginne ich, merke aber sofort, dass das nichts bringen wird. »Es geht mir darum, mir über etwas klar zu werden und…«
»I know, sorry«, antwortet Patrick nur, und ich sehe ihn vor mir wie er am Balkon des Grootbos steht, sich müde durch die dichten Haare fährt.
Ich seufze. Das alles tut ihm doch nicht gut, und ich muss ihn nicht einmal sehen, um das zu erkennen. Warum, um alles in der Welt, hat er es soweit kommen lassen? Wieder?

»Und wie ist die Truppe so diesmal?«, versuche ich ein wenig abzulenken und ihn trotzdem bei mir zu halten. Denn natürlich bemerke ich, dass er mit den Gedanken schon längst wieder bei Sing meinen Song ist. Das war auch im letzten Jahr so, als ich ihn begleitet habe. Er war ständig in der Gastgeberrolle, quasi ununterbrochen, wollte einfach alles perfekt machen. Mit dem Endeffekt, dass Johannes Oerdings Freundin Ina Müller und ich die meiste Zeit allein am Grootbos-Pool chillten. Ich war froh gewesen, Ina dabei zu haben, die eine gute Freundin geworden war, sonst hätte ich die Schönheit dieses Ortes wohl nicht zu schätzen gelernt.
»I don’t know yet, to be honest«, konnte er da gleich erzählen. »Wir sind eine coole Truppe, aber der Flow ist noch nicht so wie letztes Jahr. Ich bin froh, dass Ilse dabei ist. Sie ist ein Sonnenschein, so herzlich und… open, und ich glaube, das tut der Truppe gut.«

Never Gonna Break Me DownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt