Lost Passion

07. Messed With My Head

~ Tokio, 12. Dezember 2015 ~

Heute steht ein wichtiges Spiel an. Ein sehr wichtiges Spiel. Die 'All Japan Intercollegiate Volleyball Championship'. Die Volleyballmeisterschaft für Universitäten. Unser erstes Turnier an der Uni. Und wir stehen tatsächlich im Finale. Nachdem wir uns gegen harte Gegnern durchsetzen konnten. Es ist nochmal eine komplett andere Erfahrung als das Frühlingsturnier der Oberschulen. Sowohl Hina als auch ich gehören zu den Stammspielerinnen und dürfen somit von Anfang an auf dem Feld stehen. Zudem müssen wir auch noch den Titel unserer Universität verteidigen. Gegen die Tōkai-Universität, deren Team unglaublich gut ist. Ich freue mich auf das Spiel. Selbst mit so einem anstrengenden Team. Da frage ich mich schon, wie sie es letztes Jahr geschafft haben überhaupt zu gewinnen. Andererseits sind sie in einem richtigen Spiel viel konzentrierter. Arbeiten mehr wie ein richtiges Team zusammen. Zu meiner Überraschung. Sie können sich also doch zusammenreißen. Wenn es darauf ankommt.

Nach dem Aufwärmen und Einspielen beginnt auch schon das Finale. Welches ich mit meinem Aufschlag eröffnen darf. Kurz drehe ich den Ball in meinen Händen und blicke zu Hina, die vorne am Netz steht. Mit einem Daumen nach oben und einem Lächeln, zeigt sie mir an, dass alles gut wird. Womit sie auch recht hat. Immerhin sind wir jetzt schon so weit gekommen. Einmal atme ich tief durch. Werfe den Ball in die Luft, nehme Anlauf, springe hoch und schlage den Ball auf die andere Seite des Netzes. Selbstverständlich mit links. Die gegnerische Libera taucht noch nach dem Ball. Vergebens. Der erste Punkt gehört uns. So kann es doch weiter gehen.

Was es auch tut. Deutlich dominieren wir den ersten Satz. Wobei Hinas und mein Zusammenspiel besonders hervorsticht. Allein wegen ihrer Zuspiele gelingen mir sehr schöne Angriffe. Sowohl mit rechts als auch mit links. Selbst Hina startet Angriffe, als ich ihr zuspiele. Daran haben wir in letzter Zeit immer wieder gearbeitet. Einfach, um eine Überraschung zu haben. Immerhin ist es eher untypisch, wenn Zuspieler angreifen. Und so holen wir uns den ersten Satz mit beachtlichem Punktevorsprung.

Auch der zweite Satz läuft bisher sehr gut. Es ist doch beeindruckend, wie gut wir hier im Team zusammenspielen. Obwohl es im Training eigentlich immer Stress gibt. Gerade führe ich einen Schnellangriff aus, der tatsächlich durchgeht. Wenn auch knapp. Die gegnerische Mittelblockerin hätte mich fast ausgebremst. Aber nur fast. Und dann sehe ich ihn. Unter den Zuschauern. Nur einen Augenblick sehe ich zu den Tribünen. Eine einzelne Sekunde. Welche vollkommen ausgereicht hat. Ich würde ihn unter Millionen anderen Menschen wiedererkennen. Braune Haare, die nach oben gestylt sind. Diese blonden Strähnen zwischen seinen ebenfalls braunen Augen. Die jede meiner Bewegungen genaustens beobachten. Nishinoya.

Meine kurze Unaufmerksamkeit wird sogleich bestraft. Sofort knallt mir ein Ball mitten ins Gesicht. Gar nicht bemerkt, dass die nächste Runde bereits angefangen hat. Aber immerhin ist er noch oben. „Konzentration! Hör auf in der Gegend herumzuträumen!", fährt mich unsere Kapitänin sogleich an, „Sonst wechseln wir dich aus." Murrend reibe ich mir die schmerzende Nase. Kein Nasenbluten. Immerhin etwas. „Kommt nicht wieder vor", antworte ich ihr trocken. Sollte ich wirklich ausgewechselt werden, verlieren wir, füge ich in Gedanken hinzu. „Alles okay?", erkundigt sich Hina besorgt. Der Punkt ging mittlerweile an unsere Gegner. „Ja, alles gut. Hab nur wen gesehen." Irritiert sieht sie mich an. „Wen denn?", will sie wissen, „Auf der Tribüne?" Kurz lässt sie ihren Blick über die Zuschauer gleiten. Bis sie ihn wohl ebenfalls entdeckt hat. Leicht weiten sich ihre Augen. „Lass uns bitte später darüber reden, ja?" „Okay." Dankbar lächle ich sie an.

So gut es geht, versuche ich mich auf das weitere Spiel zu konzentrieren. Was mir nicht wirklich gelingt. Mir passieren viele Fehler, die man von mir nicht kennt. Weshalb wir den zweiten Satz verlieren. Verdammt! Das kann doch nicht wahr sein. Wenn selbst Hina ihn gesehen hat, kann ich ihn mir nicht eingebildet haben. Aber warum? Was macht er hier? So plötzlich? Seit über einem Jahr hat er sich bei mir nicht mehr gemeldet. Ich bin über ihn hinweg gekommen. Nie wieder wollte ich ihn sehen. Nachdem er mich so verletzt hat. Warum jetzt? Warum taucht er genau jetzt wieder auf? Kräftig klatsche ich mir gegen meine Wangen. Überraschte und verständnislose Blicke liegen auf mir. Nein, Alisya! Du konzentrierst dich jetzt auf das verdammte Spiel vor dir. Dieser Idiot wird nicht wieder mein komplettes Leben auf den Kopf stellen. Er ist es nicht wert!