Die dunkle Straße schien nicht enden zu wollen. Die Sonne war vor einigen Minuten untergegangen und der Himmel hatte ein dunkles, fleckiges Grau-Blau angenommen. Die Luft war kühl und klar und der Weg zur Bushaltestelle nicht mehr weit. Es war Frühling und am Waldrand war der ein oder andere blühende Baum zu sehen. Die weißen Blüten stachen aus der dunklen Atmosphäre hervor wie Sterne an einem klaren Nachthimmel.
Nur das Tapsen von vier kleinen Pfoten und das Knirschen von ausgelatschten Sneakers waren zu hören.
Kyara war schon eine Weile so gelaufen und hatte versucht, einen Gedanken auszublenden, der in ihrem Kopf nun immer klarer wurde. Sie hatte keine besondere Lust darauf, wieder nach Hause zu kommen, eigentlich gar keine. Aber hier draußen konnte sie auch nicht viel länger bleiben, das wusste sie. Die Nächte waren noch bitterkalt und sie würde unfassbaren Ärger bekommen. Eigentlich war sie ja nur hier, um nachzudenken. Sie hatte sich ihren Hund geschnappt und war spazieren gegangen, sehr lange. So lange, dass sie jetzt den Bus nehmen musste, um nach Hause zu kommen, bevor es endgültig dunkel war.Aber es hatte so viele Dinge gegeben, über die sie hatte nachdenken müssen...und sie drückte sich auch schon seit Stunden davor, wieder nach Hause zurück zu gehen. In der beinahe vollkommenen Stille stellten sich ihr immer wieder die gleichen Fragen.
Wie sie ihrer Ex-besten-Freundin Claire am besten aus dem Weg gehen konnte, warum ihr Vater ihr schon wieder das Reiten verboten hatte, wann sie wohl endlich aus diesem grässlichen Haus ausziehen und ihr eigenes Leben führen konnte, weit weg von Claire und allem, was sie zu Hause bedrückte.
Wie erwartet waren ihre Überlegungen, was ihre pubertären Probleme anging, wenig hilfreich gewesen, aber sie hatte einen klaren Kopf bekommen und das war auch schonmal was. In Kyaras normalerweise recht trostlosen Alltag war es notwendig, einen klaren Kopf zu behalten. Sie musste sich stets daran erinnern, was wirklich wichtig war.
Der wahrscheinlich größte Hoffnungsschimmer in Kyaras Leben war ihr bester Freund Gene. Er war genau die Person, die am besten an sie heran kam, ganz egal wie verschlossen sie auch war. Er war da, wenn sie ihn brauchte, versuchte zu helfen und hatte die wundersame Eigenschaft, sie allein mit seiner Anwesenheit zu beruhigen. Er gab sich alle Mühe mit ihr und sie versuchte seit eh und je ihm zu zeigen, wie dankbar sie ihm dafür war. Leider war sie nicht besonders gut darin.
Kyara wurde von einem kurzen Aufleuchten im Wald aus ihren Gedanken gerissen. Angestrengt kniff sie die Augen zusammen und versuchte durch die Brille zu erkennen, woher es kam. Sie bemerkte aber nur ein schwaches Leuchten zwischen den Bäumen. Kurz sah sie auf ihr Handy. Sie hatte noch genug Zeit. Als sie vorsichtig in Richtung des Leuchtens ging, fing Mailo an zu jaulen. Hätte sie auf die Intuition ihres Hundes gehört und wäre zurück gegangen, dann wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. Aber sie war entschlossen, ihre Ankunft zu Hause so weit wie möglich hinauszuzögern.
Während sie also zwischen den Bäumen umherstolperte und der Himmel rasch immer dunkler wurde, fragte sie sich, wer oder was denn um diese Uhrzeit noch im Wald aufzufinden war. Mailo gefiel ihr waghalsiges Manöver überhaupt nicht, weshalb er sich, äußerst erfolgreich, dagegen zur Wehr setzte. Schließlich sah sich Kyara dazu gezwungen, seine Leine an einem dünnen Stamm festzuknoten und alleine weiter zu gehen.
Obwohl sie langsam ging stolperte Kyara, was sie nicht einmal mehr wunderte, und fiel unter einem Aufschrei einen kleinen Abhang hinunter.
Sofort hatte sie jegliche Orientierung verloren. In diesem Teil des Waldes war sie noch nie gewesen, er kam ihr überhaupt nicht bekannt vor, auch wenn sie früher häufiger hier gewesen war. Sie erkannte unter viel Moos und Gestrüpp gerade noch so einen steinernen Torbogen. Er war filigran und aufwendig mit Teufels- und Engelsköpfen verziert und sah unglaublich alt aus. Das Leuchten war inzwischen nur noch ein Schimmern und es war schwer überhaupt etwas zu erkennen, trotzdem verschlug es ihr den Atem.
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Halbengel
FantasyHimmel und Hölle, Engel, Dämonen, Magie und der ganze andere Hokuspokus - Kyara hat nie daran geglaubt. Und dann lernte sie ihn kennen, diesen hässlichen, widerlichen Dämon der sie fressen wollte. Mit dieser Begegnung trifft sie auf eine vollkommen...