twenty two

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Unruhig wälzte ich mich umher.

Dunkelgrau war der Himmel von den Rauchschwaden, die emporzogen. Ein Gestank nach Asche und Pestilenz lag in der Luft. Mein Herz flatterte. Stimmen gröhlten in der Ferne, schwere Räder rasselten über festen Stein. Eine Eiseskälte überzog meine Wangen. Sie hatte bereits meine Nase und meine Fingerspitzen taub werden lassen. Ein Atemzug der Luft, die sich in meinen Lungen erwärmt hatte, entkam meinen gefroren Lippen. Als eine Wolke aus Wasserdampf ergoss sie sich aus meinem Mund und stieg auf im Versuch sich mit dem Rauch hoch am Himmel zu vermischen. Der Winter hatte den Regen hoch in den Wolken gefrieren lassen. Vereinzelt rieselten klitzekleine, weiße Flocken hinab. Ich wollte sie berühren, jedoch versagte mir mein Körper den Dienst. Meine Sinne suchten nach etwas, hielten Ausschau. Allmählich wich der Gestank anderen Gerüchen, die ihn in den Hintergrund rücken ließen. Der scharfe Duft von Spirituosen stach mir in die Nase. Das Gelächter wurde lauter. Ein pochendes Geräusch begleitete es, gepaart mit einem Rauschen.
Die Straße, erleuchtet von flackernden Straßenlaternen, war menschenleer. So angespannt, so konzentriert auf jegliche Sinneswarnehmungen dröhnte das einsame Geräusch meiner Schritte in meinen Ohren. Die Häuserwände warfen sie als Echo zurück, doch das war es nicht was meine Aufmerksamkeit forderte. Das pulsierende Rauschen wurde mit jedem Schritt lauter. Ich folgte wie von Sinnen dem Gelächter. Zwei Stimmen. Ein Mann und eine Frau. Ein bisher nicht da gewesenes Gefühl machte sich in meinem Inneren breit. Gier. Die aufkommende Gier, das Verlangen, paarte sich mit einem Kratzen in meiner Kehler. Jedes Schlucken, jeder Atemzug fühlte sich an als würde mein Fleisch an Sandpapier reiben. Schmerzhaft. Ich war ausgedohrt. Mich lächtzte es nach...

Der alleinige Gedanke setzte eine Euphorie frei, die sämtlichen Menschenverstand aussetzen ließ. Meine Muskeln spannten sich an und während ich rannte zogen die düsteren Straßen in Zeitlupe an mir vorbei. Die Zeit zog sich wie Kaugummi in die Länge. Ich folgte dem Drang, der mich zu dem Brausen lockte, das mich anzog wie das Licht die Motten. Alles geriet in einen Tunnelblick. Ich roch Schweiß und... Lust. Die Erregung der Beiden wehte mir entgegen. Hätte ich noch ein Quentchen Zurückhaltung bessesen wäre sie spätestens jetzt zerbröselt. Für mich gab es kein Halten mehr. Inmitten der Kälte, die dafür sorgte, dass die Bürger in ihren Wohnungen blieben, der Anonymität der Großstadt war ich unsichtbar.
Sie sahen mich nicht kommen.

Mein Geist spaltete sich. Mit Schrecken musste ich zusehen wie sich meine Finger um die Kehle der Frau schlossen. Erst da begriff ich, dass ich gefangen war im Körper eines Anderen. Der Arm, dessen angespannte Muskeln ich spüren konnte, war unter dem Ärmel eines Fracks verborgen. Ich war entsetzt von der Kraft, die er besaß. Den Herzschlag der jungen Frau spürte ich durch die dünne, blasse Haut hindurch. Hasselnussbraune Locken fielen aus ihrer eleganten Hochsteckfrisur auf ihr entblößtes Dekolleté. Aus weit aufgerissenen, brauen Augen starrte sie mich angsterfüllt an. Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht.

Meine Stimmenbänder begannen zu vibrieren.

"Sei still, Liebes! Ich möchte, dass kein Ton diese wunderschönen Lippen verlässt. Beweg dich nicht!", raunte eine Männerstimme.

Mein Herz wäre stehengeblieben, wenn es das gekonnt hätte. Ich kannte diese Stimme. Unter tausenden hätte ich sie erkannt, doch der Unterton, gefährlich, rau und blutrünstig, mit dem er sprach war mir fremd. Er machte mir Angst. Kol. Mein Kol.

Mit seinen Ohren hörte ich den Protest des Gentelman neben ihm, doch dieser verwandelte sich in ein erschrockenes Keuchen, als der Vampir vorschnellte und seine Reißzähne die zarte, weiche Haut an ihrem Hals durchdrangen. Der Mann rannte davon, doch ich spürte bereits die Freude, die sich bei dem Gedanken an die Jagd nach ihm in Kol breitmachte. Es war obszön Vergnügen zu empfinden bei etwas das in mir puren Schrecken auslöste. Doch jeder Zweifel war vergessen, sobald mir der metallische Geruch in die Nase stieg. Ich hätte damit gerechnet, dass sich ein Geschmack nach Eisen in meinem Mund ausbreiten würde, doch stattdessen explodierten meine Geschmacksknospen. Eine warme Flüssigkeit, so süß wie Nektar, ergoss sich über meine Zunge. Der Geschmack war berauschend, überwältigend. Ich schmeckte das Adrenalin in ihrem Blutkreislauf. Ihr Blut wurde von ihrem rasenden Herzen angetrieben, durch ihre Arterien gejagt. Es machte mich süchtig. Bereits nach den ersten Tropfen gab es kein Halten mehr. Der Rhymus von Kols Herzschlag passte sich dem seiner Nahrung an. Das ruhige Pochen wurde zu einem rapiden Hämmern in seiner Brust. Er riss mich mit all seinen Sinnen, mit Haut und Haar mit in seinen Blutrausch. Sein Atem streifte ihren erkaltenden Nacken. Ihr unbeweglicher Körper erschlaffte in seinen Armen. Kraftvoll presste er ihn an seine Brust. Ein widerwärtiges, lautes Knacken ging mir durch Mark und Bein. Er hatte seine Stärke nicht unter Kontrolle. Ganz nebenbei, als wären ihre Knochen nicht stabiler als ein Zahnstocher, hatte er ihr Rippen und Rückrad gebrochen. Sie röchelte an seinem Ohr. Mit einem Ruck riss er seine Fänge aus ihrem Fleisch, zerfetzte dabei ihre Kehle und setzte dem grausamen Schauspiel ein Ende. Die kalte Luft schien zu gefrieren bei dem Kontakt mit der süßen Flüssigkeit, die aus seinem Mund übers Kinn zu Boden tropften. Mit seinem keuchenden Atemzügen hoben und senken sich seine muskulösen Schultern. Jeder Muskel war angespannt. Er war bereit zur Jagd. Als sein Kopf, getrieben von der Gier nach mehr Blut, herumfuhr reflektierte eine Fensterscheibe seine dunkle Gestalt. Das was ich sah war nicht ich und auch nicht Kol. Nein! Nein, das war nicht der Mann mit dem ich Stunden verbracht hatte nur mit reden. Das war nicht der Mann, der alles daran gesetzt hatte mich bei dem Angriff meines Zirkels zu beschützen und sogar um meinetwillen Leben verschont hatte. Dunkle Adern zeichneten sich unter seinen blutunterlaufenden Augen ab. Sie wirkten tiefschwarz. Von dem warmen Braun war nichts zu sehen. Messerscharfe Reißzähne blitzten bedrohlich im schwachen Licht auf. Rubinrotes Blut hatte den Stoff des weißen Hemdes getränkt und verunstaltete sein engelsgleiches Gesicht mit den markanten Zügen. Das was ich dort vor mir erblickte war das Abbild sämtlicher Albträume und Schauergeschichten, die man sich bei Kerzenschein erzählte.

Schreiend fuhr ich aus dem Schlaf. Das schrille Geräusch kratzte in meiner Kehle, während sich einzelne Tränen aus meinen Augenwinkeln lösten. Panisch griff ich um mich. Meine Finger gruben sich in das Laken. Ich strampelte mit den Beinen, um die beklemmende Enge abzuschütteln, die dadurch entstand, dass sich meine Decke, um meine Waden gewickelt hatte.
Die Tür wurde ausgerissen. Ein vertrauer Duft umfing mich, als Elijah mich in seine Arme zog. Ich vergrub meinen Kopf schluchzend an seiner Schulter. Das Grauen aus meinem Traum verfolgte mich.

"Was zum Teufel ist passiert?", zerschnitt Rebekahs Stimme die Luft angesichts meines aufgebrachten Zustands.

Ich war nicht in der Lage zu Antworten. Meine Gedanken rasten. Elijah nahm mein Gesicht in seine Hände und zwang mich ihn anzusehen. Bei seinem Anblick schmerzte mein Herz. Inzwischen erkannte ich Kol in ihm. Sie sahen sich so verdammt ähnlich.

"Claire, du hattest einen Albtraum! Du hast nur geträumt!"

Zitternd klammerten sich meine Hände an seinem Hemd fest.

"War es nur ein Traum?", hauchte ich weinerlich.

Rebekah scheuchte ihren Bruder fort, der aufstand, um ihr Platz zu machen. Nur ungern entließ ich ihn, doch sie hatte von uns Dreien eindeutig das sagen. Sie nahm meine Hand in ihre. Ihre Stimme war ruhig, samtig weich, als sie mir eine Haarsträhne zurückstrich und zu mir sprach.

"Wieso denkst du es könnte mehr gewesen sein als ein böser Traum?"

Mütterlich strich sie mir übers Haar.

"Ich habe Kol gesehen... Eine Seite von ihm...", ich atmete scharf ein. "Das Stück seiner Seele ist noch in mir. Ich war er und ich... ich habe alles gesehen. Ich habe es geschmeckt, das Blut, seine Zähne in ihrem Hals..."

Die Geschwister warfen sich einen Blick zu bevor Rebekah mich an sich zog. Behutsam strich sie mir über den Rücken.

"Sch... Alles gut. Es war nur ein Traum. Vorhin hattest du doch keine Magie mehr. Was auch immer euch möglicherweise auf übersinnliche Weise miteinander verbunden hat ist fort. Alles ist in Ordnung."

Ich wusste ihren Versuch mich beruhigen zu wollen, doch ich hatte den Blick in ihren blauen Augen gesehen. Sie wollte mir einreden, dass das was mich mit ihm verband nicht mehr existent sei...

,..

doch ich wusste es besser.

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To my beloved witchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt