°○ Leon ○°
Was für ein Dreckstag!
Erst hatte ich verschlafen, wobei ich dank Minchen und ihrem Alptraum gestern Nacht ohnehin kaum noch ein Auge zubekommen hatte, und dann hatte Rehberg in der ersten Stunde auch noch einen Test schreiben lassen, natürlich unangekündigt und ich hatte die Aufgaben alle an der Tafel lösen müssen. Bestanden hatte ich nicht, von zehn Aufgaben waren gerade mal zwei richtig gewesen und das auch nur, weil Hilke, die nach Eddie Klassenbeste war und so schlecht sehen konnte, dass sie trotz der Glasbausteine vor ihren Augen in der ersten Reihe sitzen musste, mich hatte abschreiben lassen.
Aber immerhin war Politik danach ausgefallen. Frau Alberts war krank, jedoch ging es ihr wohl gerade noch gut genug, uns so viele Hausaufgaben aufzuschreiben, dass die gut eine ganze Woche abdecken konnten.
Zum Glück hatte ich ja noch Eddie, der würde das schon machen. Hatte ja ohnehin nichts Besseres zu tun, außer vielleicht Maria anzuhimmeln. Aber da könnte er wohl schön weiterträumen.
Maria wollte nichts von ihm, das erkannte doch ein Blinder!
"Was haben wir gleich?", fragte Mehmet, nachdem er fast die ganze Pause über damit beschäftigt gewesen war, in sein Smartphone zu glotzen und mit Melanie zu schreiben, wobei die beiden die meiste Zeit über nur versuchten, sich in Sachen lustige Spruchbilder zu übertreffen.
"Deutsch", sagte ich und wollte einen schnellen Blick in sein Handy werden, da stieß Mehmet mich grob zur Seite. "Glotz nicht!"
Ich grinste. "Was schreibt ihr denn da?", fragte ich und machte noch einen Versuch in Mehmets Handy zu gucken, doch auch diesmal war er schneller, stieß mich wieder zurück und hielt gleichzeitig sein Handy hoch.
"Geht dich nichts an!"
"Ist es was versautes?", fragte ich weiter und sprang mehrmals hoch, um an sein Handy zu kommen und lachte, als Mehmet auf das Spiel einging und mich in den Schwitzkasten nahm.
"Wenn du was versautes willst, dann schreib doch mit deiner eigenen Freundin. Wie wäre das?"
Ich verzog das Gesicht. "Nee, lass mal. Die textet mich auch so schon genug zu", sagte ich, kniff Mehmet fest in den Oberschenkel und wirbelte gleichzeitig so schnell herum, dass es ihn fast von den Füßen riss.
"Scheiße!", ächzte Mehmet und rieb sich sein Bein. "Hast genau den Nerv getroffen."
"Jetzt heul nicht rum!" Ich lachte, da verpasste er mir einen heftigen Stoß in die Rippen. Ich kam ins Stolpern, taumelte keuchend zurück und-
"Was fällt dir eigentlich ein?", fing Maria schon an, auszurasten, da hatte ich mich noch gar nicht zu ihr umgedreht. "Du verdammtes ARSCHLOCH!"
"Was zum - Jetzt komm mal runter!", sagte ich und packte Maria an den Händen, als sie begann, wie wild auf mich einzuschlagen. Da fing sie an zu schreien: "FASS MICH NICHT AN!"
"Was ist denn in dich gefahren?" Ich hielt sie noch eine Weile fest und musterte sie.
Ihr Gesicht war feuerrot, die Augen schienen vor Wut zu sprühen. So hatte ich sie noch nie gesehen.
"LASS MICH LOS!"
"Aber was-"
"DU SOLLST MICH LOSLASSEN!"
"Okay... ist gut. Aber dann hör auch auf mich zu schlagen!" Ich ließ Maria los und wappnete mich gleich für den nächsten Angriff, doch Maria blieb ruhig. "Ich hab das Video gesehen."
"Welches Video?", fragte ich.
Maria antwortete nicht. Tränen traten in ihre Augen und liefen ihr im nächsten Moment an den Wangen hinunter.
"Wovon redest du?", fragte ich und wollte meinen Arm um ihre Schulter legen, doch sie schlug ihn fort.
"Fass mich nicht an!", sagte sie wieder, diesmal leise, fast schon tonlos, wandte sich zur Seite und versuchte sich wieder zu fangen.
"Maria, was hast du denn?", fragte Eddie, der kam natürlich gleich angelaufen, gerade so, als hätte er nur auf die Gelegenheit gewartet, hier den Helden zu spielen.
"Warum weinst du?" Eddie legte Maria einen Arm um die Schulter, ihn stieß sie nicht fort. "Kann ich irgendetwas-"
"Nein!", fiel Maria ihm ins Wort. "Nein", wiederholte sie nochmal, diesmal weniger heftig. "Halt du dich da besser raus, Eddie. Ich muss das hier klären." Sie schniefte laut, dann sah sie mich wieder an. "Also, was war das jetzt mit dem Video?"
"Welches Video?"
"Jetzt tu doch nicht so! Warum hast du das reingestellt?"
"Wovon redest du?", fragte ich weiter, doch Maria fuhr einfach fort mit ihren Anschuldigungen, gerade so, als hätte ich gar nichts gesagt.
"Warum filmt man sowas? Das ist doch abartig, das... Und den Rest hast du dann wahrscheinlich auch alles eingefädelt. Die Sache mit dem Alkohol, das war alles deine Idee, oder? Das war doch von Anfang an dein Plan."
"Ich weiß wirklich nicht, was du meinst."
"Und als du dann auf nett gemacht hast, das war doch auch alles nur Verarsche. Stimmt doch!" Sie lachte, was verrückt war, da sie gleichzeitig immer noch weinte. "Wie konnte ich denn nur so blöd sein?"
"Du bist doch nicht blöd, sag sowas nicht!" Eddie warf mir einen vernichtenden Blick zu. Dann nahm er Maria an die Hand. "Komm mit, wir-"
"Lass mich!" Maria stieß ihn weg.
"Aber wir können doch besser-", begann Eddie, doch erneut schnitt Maria ihm mitten im Satz das Wort ab: "Nein!"
Sie zeigte mit dem Finger auf mich. "Er soll es jetzt zugeben!"
Sie sah mich an, fing wieder heftig an zu schluchzen und brauchte mehrere Versuche, bis sie die nächsten Worte raus bringen konnte: "Gib es zu!"
"Was soll ich zugeben?", fragte ich.
"Das weißt du ganz genau", meinte Eddie.
"Gar nichts weiß ich!"
"GIB ES ZU!", sagte Maria wieder, schrie es so laut hinaus, dass sich ihre Stimme überschlug. Sie musste husten.
Eddie klopfte ihr auf den Rücken, da schlug Maria seine Hand wieder weg. "Nein bitte, lass mich einfach", krächzte sie.
"Vielleicht sollten wir doch besser erst mal zu deinem Vater gehen."
"Nein!", widersprach Maria, ihre Augäpfel schienen dabei auf die doppelte Größe anzuwachsen. "Hör zu Eddie! Mein Vater darf davon nichts wissen!"
"Aber-"
"Versprich mir, dass du ihm nichts sagst!"
"Maria, das-"
"Versprich es mir!", sagte Maria.
Sie sah ihn eindringlich an, da schlug Eddie die Augen nieder, holte tief Luft. "Dann kommt er damit durch, wieder mal."
Erneut funkelten Eddies Augen mich an, richteten sich dann wieder auf Maria. Er überlegte, schien hin- und hergerissen. Dann seufzte er.
"Tut mir leid, aber so geht das nicht. Er hat etwas schlimmes getan und muss dafür bestraft werden. Komm, wir müssen das jetzt melden", sagte Eddie, packte Maria am Arm und versuchte sie mitzuziehen, doch die hielt dagegen.
"Nein, lass mich los! Eddie, du verstehst das nicht... LASS MICH LOS!", brüllte Maria und als Eddie sie daraufhin immer noch nicht losließ, schlug ich ihm ins Gesicht.
"Jetzt lass sie schon los, verdammt noch mal!" Ich stieß ihn von Maria weg.
Er fiel zu Boden. "Und misch dich nicht in Sachen ein, die dich nichts angehen!", schnauzte ich ihn an, verpasste ihm einen Tritt gegen den Bauch und wollte gerade noch mal nachlegen, als Maria sich zwischen uns stellte: "Nein, hör auf! Tu ihm nicht weh!"
"Ach was! Der ist doch selber schuld! Wenn der sich hier so aufspielt." Ich sah zu Eddie herunter, der lag immer noch zu einer Kugel zusammengerollt auf dem kotzgelben Linoleum und hielt sich den Bauch, das Gesicht schmerzverzerrt. Blut lief aus seiner Nase.
"Hast du ihr diese Scheiße erzählt?"
"Was willst du von mir?", fragte Eddie mit erstickter Stimme. Er stand langsam wieder auf, wirkte dabei wie ein Betrunkener. "Ich hab ihr nur dein Video gezeigt."
"Mein Video?"
"Das von der Party, auf der Maria abgefüllt worden ist... und wer weiß, was sonst noch. Aber darüber weißt du wahrscheinlich noch am meisten."
Ich schnaubte. "Gar nichts weiß ich!" Ich wandte mich an Maria, die hatte mittlerweile mit dem Weinen aufgehört und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
"Ich hab mit der Sache nichts zu tun, Süße."
"Hältst du mich für so naiv? Das Video wurde auf deinem Konto hochgeladen!"
"Davon weiß ich nichts", meinte ich. "Ehrlich, sowas würde ich mit dir nicht abziehen."
"Glaub ihm kein Wort! Er will dich bloß-"
"HALT'S MAUL!", unterbrach ich Eddie, verpasste ihm einen so heftigen Fausthieb zwischen die Rippen, dass er in die Knie ging und wollte gerade nochmal zuschlagen, als eine Hand sich um meinen Arm schloss und ihn wie einen Schraubstock festhielt.
"Jetzt bin ich mal gespannt auf deine Erklärung, Waldner. In mein Büro!"
DU LIEST GERADE
Vogelscheuche und Gürtelschnalle - Teil 1
Teen FictionDie Hölle, das sind immer die anderen. Braucht es dafür noch Beweise? Maria bekommt bereits mehr als genug davon. In ihrer Klasse wäre sie am liebsten unsichtbar, wird stattdessen immer mehr zur Zielscheibe der anderen. Solange, bis ihr jemand zur...